Ein Ticket, das die
Kreise nicht ziehen wollen
26.10.2011 | 18:16 Uhr
Ausgebremst: Viele Kreise in Südwestfalen wollen das neue Sozilaticket für Bedürftige nicht einführen - aus Angst vor
den Kosten. Foto: Walter Fischer / WAZ Foto Pool
Hagen. Für 29,90 Euro sollen Bedürftige in NRW ab November
Bus und Bahn fahren können. Doch viele Kommunen in Südwestfalen lehnen es ab,
das Sozialticket einzuführen. Denn die Kosten sind unberechenbar.
Mit keinem Cent wird die Fahrkarte den Haushalt belasten, hofft man im Ennepe-Ruhr-Kreis. 10 Millionen Euro könnten
schlimmstenfalls auf den Märkischen Kreis zurollen, fürchtet man dort in der
Kreisverwaltung.
15 Millionen Euro will das Land in diesem Jahr den Kommunen für die
Einführung des Sozialtickets zur Verfügung stellen, in den kommenden sind es 30
Millionen. Per Erlass hat das Innenministerium zudem verfügt, dass an dem
Projekt auch hoch verschuldete Kommunen teilnehmen dürfen, damit die Menschen
dort nicht benachteiligt werden.
Doch in der Nothaushalt-Kommune Hagen will man das freundliche Angebot nicht
annehmen. 500 000 Euro Mehrkosten, so warnt die Verwaltung, kämen auf die
Stadt zu. Und so hat sich der Rat nach langer Diskussion gegen das Ticket
entschieden. Weil die Stadt Verluste womöglich durch weitere Netzausdünnungen
ausgleichen müsste - zu Lasten anderer Kunden, so ein SPD-Politiker.
In Südwestfalen haben sich der Ennepe-Ruhr-Kreis
sowie die Kreise Olpe und Siegen-Wittgenstein für das
Sozialticket entschieden. „Die Verwaltung geht von einer schwarzen Null aus“,
heißt es im Ennepe-Ruhr-Kreis auf die Frage nach den
Kosten. Auch in Siegen-Wittgenstein hofft man, mit
dem Landeszuschuss von 133 084 Euro hinzukommen. Das allerdings setzt
voraus, dass sich nur 10 Prozent der Bedürftigen für ein Ticket entscheiden.
Würden 15 Prozent eines beantragen, müsste Siegen-Wittgenstein
bereits 180 000 Euro zuschießen. Mit zusätzlichen Kosten zwischen knapp
3000 und 70 000 Euro rechnet man im Kreis Olpe, wenn 10 bis 15 Prozent der
Berechtigten die Fahrkarte ziehen. Daher hat man dort ebenfalls für das
Sozialticket gestimmt.
Im Hochsauerlandkreis erwartet man hingegen einen Zuschussbedarf von
500 000 Euro - wenn nur 5 Prozent der Bedürftigen ein Ticket beantragen.
Mit 2 Millionen würde der Kreishaushalt belastet, wenn 20 Prozent der
Berechtigten das Sozialticket kaufen wollen.
Das Problem ist, dass keine Kommune so recht abschätzen kann, wie viele Hartz-IV-Empfänger tatsächlich ein Ticket wollen und ob man
mit den Zuschüssen des Landes dann hinkommt. Im Märkischen Kreis hat die
Verwaltung einmal den „schlimmsten Fall“ ausgerechnet: Alle Bedürftigen wollen
ein Ticket. Dann müsste die Kommune mehr als 10 Millionen Euro darauflegen - und bekäme dafür vom Land gerade einmal eine
Fördersumme zwischen 600 000 und 1 Million Euro. Im wahrscheinlicheren
Fall, dass 10 Prozent der Berechtigten die Karte nutzen, müsste der Kreis immer
noch zwischen 750 000 und 1,14 Millionen Euro ausgleichen.
Hinzu kommen im Übrigen zusätzliche Personalkosten, wie die Kreisverwaltung
vorrechnet. Denn die Jobagenturen und Sozialämter müssen den
Bedürftigen Berechtigungsscheine ausstellen, die diese dann wiederum beim
Verkehrsunternehmen vorzulegen haben, und zwar alle drei Monate. Schließlich
könnte ein Hartz-IV-Empfänger unterdessen eine Stelle
gefunden und keinen Anspruch mehr haben. Macht nach Berechnung der
Kreisverwaltung mindestens 1,5 zusätzliche Personalstellen. Hinzu kommt eine
weitere Stelle für das Abrechnungsverfahren zwischen Verkehrsunternehmen und
Kreis. Macht unter dem Strich Personalkosten von 122 000 Euro. Immer unter
der Voraussetzung, dass nur zehn Prozent der Bedürftigen das Ticket wollen.
In jedem Fall „ist diese Subventionierung mit dem Haushaltssicherungskonzept
des Kreises nicht vereinbar“ heißt es aus der Verwaltung. Zumal
Geringverdiener, die kaum mehr Lohn haben als den Hartz-IV-Satz,
nach wie vor den vollen Preis aufbringen müssten, am Ende also weniger im
Portemonnaie hätten als Langzeitarbeitslose.
364 Euro Hartz-IV erhalten diese im Übrigen
derzeit. Da sind 29,90 Euro eine stattliche Summe.