Es droht der Fehlstart

10.01.2012 | 18:00 Uhr

Foto: KREIKENBOHM, Udo

Am Niederrhein.  Das Sozialticket gibt es seit Dezember auch in den Kreisen Wesel und Kleve - doch der VRR erhebt eine Nutzerquote von nur 14 Prozent.

Ob die Geschichte des Sozialtickets irgendwann einmal eine Erfolgsgeschichte wird, bleibt abzuwarten. Fakt ist, dass man langsam und sicher vom klassischen Fehlstart ausgehen kann. Die Zahl der verkauften Ausweise steigt nur langsam - wenn das Ticket denn überhaupt eingeführt wird. In Krefeld etwa hat die Politik nach „gründlicher Kostenschätzung“ die Bus- und Bahnkarte für Menschen mit geringem Einkommen abgelehnt. Was wiederum die Vertreter des Krefelder „Sozialbündnis“ auf den Plan gerufen hat. „Die Politiker behaupten, das alles sei zu kostspielig, gehen aber von völlig falschem Zahlenmaterial aus“, erklärt Bündnis-Sprecher Ulrich Knur. „In den Unterlagen ist von 4000 Nutzern die Rede, es sind de facto aber viel weniger Leute, die in Krefeld das Angebot in Anspruch nehmen würden.“

In Duisburg blieb der große Ansturm aus

Und das ist offenbar überall so. So vermeldet etwa die Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG), dass im ersten Monat seit Einführung des Sozialtickets (also im November) mehr als 4000 dieser Fahrausweise verkauft wurden. „Es läuft an, aber schleppend“, sagt DVG-Sprecher Helmut Schoofs, der gestern noch keine aktuellen Dezemberzahlen präsentieren konnte, jedoch davon ausgeht, dass die große Nachfrage auch um die Weihnachtszeit ausgeblieben ist. „Wir hatten einen Ansturm erwartet, doch der ist bislang ausgeblieben“, so Schoofs. Vor dem Start des Angebots sei man in Schätzungen davon ausgegangen, dass bis zu 18 000 der insgesamt 98 000 Duisburger Berechtigten das Sozialticket in Anspruch nehmen werden.

Das Sozialticket ist am Automaten buchbar, hier in Duisburg. Foto: Hayrettin Özcan

Wenige Tage nach Verkaufsstart Anfang November wurden knapp 1700 Sozialtickets abgesetzt, Ende November waren es immerhin 4183. Zugleich hat das Jobcenter Duisburg bis Ende November rund 6000 Berechtigungsscheine ausgegeben. Das heißt, knapp 2000 Tickets warten noch auf Abholung. Dabei seien die meisten Inhaber Neukunden, die zuvor keine Abo-Fahrkarte genutzt hätten. Lediglich 281 Nutzer hätten auch zuvor ein Aboticket gehabt. Da liegt Duisburg völlig abseits des Trends, denn laut VRR-Schätzungen machen Neukunden einen verschwindend geringen Anteil aus.

Im Kreis Wesel sind die Sozialtickets seit Anfang Dezember verfügbar. „Es ist aber noch zu früh, um konkrete Aussagen darüber zu machen, wie das Ticket angenommen wird“, sagt Sabine Stolte, im Kreishaus zuständig für den öffentlichen Personennahverkehr. Auch wenn man bereits jetzt mit den zuständigen Verkehrsunternehmen in Kon­takt stünde, gebe es wohl erst Ende Januar Zahlen, die besagen, wie viele der 52 750 Berechtigten im Kreis von dem neuen Angebot Gebrauch machen. Angepeilt sei eine Marke von mehr als 7000 Personen.

Im Kreis Kleve, in dem die Fahrausweise ebenfalls seit Anfang Dezember erhältlich sind, sind rund 23 500 Menschen berechtigt, ein Sozialticket zu erwerben. „Ob sich das Angebot bewährt, wird sich noch in der Praxis zeigen“, sagt Sprecher Eduard Großkämper. „Und man sollte zudem unterscheiden zwischen denjenigen Leuten, die sich nur darum bemühen, einen Berechtigungsschein zu bekommen und denen, die ihn dann auch wirklich vor Ort einlösen.“

Der VRR hat laut eigener Aussage durch „umfangreiche interne Berechnungen“ eine Nutzerquote des Tickets aufgestellt. Daraus ergibt sich, dass derzeit nur 14 Prozent der Berechtigten das neue Angebot nutzen. Von diesen 14 Prozent sind allerdings noch einmal nur sechs Prozent Neukunden. Laut dieser Erhebung würden im Kreis Kleve etwa 3300 Personen das Ticket nutzen“, rechnet Großkämper. „Aber nur 200 davon wären Neukunden, und das wäre dann schon sehr dünn.“

Der Kreis Kleve plant im Frühjahr eine, so Großkämper, „umfassende Angebotsnachfrage bei den Kommunen“. Dann wisse man mehr.

Der neue Fahrausweis steht schon lange in der Kritik: er sei mit zurzeit 29,90 Euro zu teuer, die Reichweite sei zu gering und Zusatzoptionen, die bei anderen Abofahrkarten selbstverständlich seien - etwa die kostenfreie Mitnahme des Partners in den Abendstunden - seien nicht vorgesehen.

Initiative fordert Fahrausweis für 15 Euro

Klaus Kubernus-Perscheid, Sprecher der parteiunabhängigen Initiative „Sozialticket Niederrhein jetzt“, die sich schon lange für die Einführung eines solchen Angebots stark gemacht hat, bezeichnet die Umsetzung daher auch als „Pseudo-Sozialticket“. Wer im Alltag nicht mobil sein könne, werde vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt. Und dabei sei doch gerade die Zielgruppe des Sozialtickets auf Mobilität angewiesen: Lebensmittel-Tafeln, Kleiderkammern, günstige Einkaufsmöglichkeiten oder der Arbeitsplatz seien, besonders in ländlichen Regionen, häufig nicht unbedingt fußläufig erreichbar.

Die Initiative fordert daher, ein Ticket für maximal 15 Euro anzubieten, damit die Kosten niemanden vom Kauf abschrecken. Schließlich sei der aktuelle Preis eine Menge Geld für Empfänger sogenannter Transferleistungen.

Doch zunächst hieße es auch für die Mitglieder der Initiative: „Abwarten, wie es sich entwickelt.“ Das Projekt ist befristet, eine Evaluierung im kommenden Frühsommer soll Aufschluss darüber geben, ob es auch nach 2012 fortgesetzt wird. Die Initiative fürchtet, dass die Verantwortlichen dann argumentieren, dafür sei die Nachfrage zu gering. „Wir bleiben also dran“, sagt Sprecher Kubernus-Perscheid.

In Krefeld hat sich derweil das städtische Sozialbündnis Möglichkeiten ausgedacht, wie man den Verzicht aufs Ticket kompensieren kann. „Es kommt ja vor, dass Leute an den Haltestellen fragen, ob sie jemand, der ein Ticket 1000 oder Ticket 2000 besitzt, mitnehmen kann“, weiß Sprecher Ulrich Knur. „Wir wollen in einem ersten Schritt für die Leute, die dazu bereit sind, Buttons verteilen.“ Darauf könnte etwa stehen: Ich bin sozial eingestellt, ich teile meine Fahrkarte!

Sozialticket: Wer es haben kann

Das Sozialticket, das den Inhaber zur ganztägigen Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs innerhalb einer Preiszone berechtigt, kostet 29,90 Euro pro Monat. Beantragen können das Sozialticket Bezieher von Arbeitslosengeld II beziehungsweise von Sozialgeld nach dem Sozialgesetzbuch II, außerdem Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Zudem können es Asylbewerber, Empfänger von wirtschaftlicher Jugendhilfe, Wohngeldempfänger und Leistungsberechtigte nach dem Bundesversorgungsgesetz beantragen.

Tobias Appelt

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