Hinz&Kunzt-Winternotquartier
Wir bewohnen ein Büro
6. November 2012 | Von BEB | Kategorie: Das
Thema
Wo ein Wille ist, ist auch eine menschenwürdige Unterkunft: 15 Hinz&Künztler verbringen den Winter in einem – jetzt
nicht mehr – leerstehenden Bürogebäude.
Stefan ist rund um die Uhr auf dem Brummi. Nachts fährt er
seine Stammstrecke nach Kassel – und tagsüber schläft er in einem LKW. Seine
Wohnung hat der ehemalige Hinz&Kunzt-Verkäufer
vor ein paar Monaten verloren. In der Firma spielte er mit offenen Karten und
erzählte dem Chef davon. Lügen oder sich durchmogeln wollte er nicht: „Ich
hatte Angst, dass ich auch noch meine Stelle verliere.“ Sein Chef erlaubt ihm,
im Ersatz-LKW zu schlafen. Bis heute war das so:
Nachts Brummi fahren, tags im Brummi schlafen. Doch der Schlaf-LKW
wird jetzt wieder für Transporte gebraucht.
Stefan stünde buchstäblich auf der Straße – könnte er nicht
ins Notquartier einziehen. Nicht ins städtische Winternotprogramm. Was soll er
da auch: Das hat tagsüber gar nicht geöffnet. Stefan zieht ins
Winternotquartier von Hinz&Kunzt. Zusammen mit
anderen Obdachlosen wird er bis März in einem bisher leerstehenden
Bürogebäude, 20 Minuten vom Zentrum entfernt, wohnen. Das zweistöckige Gebäude
hat Hinz&Kunzt von einer großen Hamburger
Immobiliengesellschaft gemietet.
Zehn Betten in sechs Zimmern sind
schon eingerichtet. Im Untergeschoß gibt es Toiletten und Duschen, oben
eine kleine Küche. Die Zimmer sind mit Einzelbetten, Tisch, Stühlen und
Schränken zweckmäßig eingerichtet. „Es gibt sogar eine Leselampe“, sagt Hinz&Künztler Thorsten, und knipst sie gleich an.
Thorsten macht in den wärmeren Monaten Platte unter der Kennedy-Brücke, genau
wie Fritz und Jürgen. Einen Tag vor ihrem Einzug sind sie gemeinsam schonmal zum Hinz&Kunzt-Winternotquartier
gefahren – um die Busverbindung auszukundschaften und wo der nächste Waschsalon
und Einkaufsmöglichkeiten sind.
Auch Monica Freise ist begeistert.
„Genau so habe ich mir das vorgestellt.“ Sie ist als Vertreterin der Sparda-Bank, der wichtigsten Spenderin, zum Einzug
gekommen. „Mich freut es besonders, dass hier auch Menschen mit Hunden
unterkommen“, sagt die Marketingleiterin. Das ist auch für Hinz&Kunzt
wichtig. Denn Obdachlose mit Hunden haben noch weniger Möglichkeiten auf eine
Unterkunft als Menschen ohne Hund. Doch von ihren Tieren würden sie sich nie
trennen – auch nicht auf Zeit, weiß Monica Freise
„Ein Hund ist ein Wegbegleiter, ich würde meinen auch niemals weggeben.“ Da
bleibt vielen nur die Straße.
Hut ab: Vermieter und eine großzügige
Spende der Sparda-Bank machen das Winternotquartier
möglich
Hinz&Künztler
Christian sagt, gerade wegen seines kleinen Hundes Socke ist es ihm
wichtig gewesen, hier einzuziehen. „Ich habe dem Vorbesitzer versprochen, dass
Socke im Winter nicht draußen bleibt.“ Vergangene Nacht haben Christian und
Socke zum vorerst letzten Mal Platte gemacht. Die vergangenen Monate haben sie
auf dem Parkplatz einer Kirchengemeinde geschlafen. „Das ist eine gute Platte“,
sagt Christian. „Sauber und trocken. Und die Gemeinde duldet uns da.“ Trotzdem:
Das Leben auf der Straße ist anstrengend. In den kommenden Monaten mit einem
festen Dach über dem Kopf wird Christian eine Menge Zeit und Energie allein
dadurch sparen, dass er seine Habseligkeiten nicht ständig mit sich herumtragen
muss.
Dass der Vermieter das Haus zur Verfügung stellt, ist nicht
selbstverständlich, findet Monica Freise. „Super,
dass das so schnell möglich gemacht wurde. Ohne Vorurteile und ganz
unbürokratisch. Hut ab!“
Hut ab: Das gilt vor allem für das finanzielle Engagement
der Sparda-Bank. Die stellt jetzt schon zum dritten
Mal 20.000 Euro zur Verfügung – und zwar unaufgefordert. Das Geld kommt aus
einem besonderen Spendentopf: 25 Cent von jedem sogenannten
Gewinnsparlos, das Sparda-Kunden
kaufen, landen darin. Einmal im Jahr wird das Geld ausgeschüttet. Ein Komitee
prüft, an wen. Nur gemeinnützig muss der Zweck sein. „Wir machen viel für
Kinder und Jugendliche in Sportprojekten“, sagt Monica Freise.
Im Herbst 2010 hatten sie und ihre Kollegen erstmals
überlegt, wo das Geld aus dem Spendentopf noch gut angelegt sein könnte.
„Schnell dachten wir an Hinz&Kunzt.“ Die 20.000
Euro von der Sparda-Bank machten unser erstes
Winternotquartier in einem Monteursheim möglich, ein Jahr später auch die
Wiederholung. Und jetzt bezahlen wir von dem Geld die Miete und die Einrichtung
für das neue Winternotquartier.
Dass die Hinz&Künztler nicht wieder im
Monteursheim einziehen, sondern in das leerstehende
Gewerbehaus, hat mehrere Gründe. Zum einen kostet es weniger Geld. Zudem sind
wir beziehungsweise die Bewohner dort noch eigenständiger. Und es hat auch
einen aktuellen politischen Hintergrund. In Hamburg stehen etliche Bürogebäude
leer. Nicht nur große Komplexe, sondern auch kleinere Einheiten. Gleichzeitig
werden Menschen, die keine Wohnung finden, in zu große und oft unwürdige
Unterkünfte gezwungen: Studenten in Turnhallen, Einwanderer in Zelte,
Obdachlose in Hochhäuser.
Zum einen viel Gewerbeleerstand, zum
anderen viele Wohnungslose: Die Lösung liegt nahe
Für uns ist die naheliegende Lösung,
zumindest vorübergehend: Leerstehende Häuser, die mit Wasser, Strom und
sanitären Einrichtungen ausgestattet sind, in Unterkünfte zu verwandeln. Wie
das geht, haben wir vorgemacht: Streichen, möblieren, ein paar Schlüssel
nachmachen, fertig. Innerhalb weniger Tage können Menschen einziehen.
Optimalerweise bleiben sie, bis sie eine Wohnung gefunden haben.
Wichtig bei Wohnprojekten wie unserem: Dass die Gruppen
möglichst klein bleiben. Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter
Stephan Karrenbauer ist überzeugt: „Wenn es nur acht, zehn oder maximal 15
Personen sind, schaffen die es, sich selbst zu organisieren.“ Denn Badbenutzung
und Spüldienst müssen natürlich abgesprochen werden. „Das wird spannend“,
glaubt Hinz&Künztler Stefan.
Aber jetzt kommen die Hinz&Kunzt-Verkäufer
erst mal an in ihrem Winterquartier. Stefan hat sich einen Kaffee gemacht.
Jürgen und Thorsten ziehen los zum Discounter, Lebensmittel kaufen. Christian
stapelt ordentlich seine T-Shirts im neuen Schrank und überlegt, dass er ein
Paar Pantoffeln brauchen könnte, während Socke schnüffelnd das Stockwerk erkundet.
Monica Freise freut sich für alle
elf Bewohner, die heute schon eingezogen sind – neun Menschen und zwei Hunde.
„Das ist ein toller Anfang, sagt sie. Aber es gibt ja noch so viel mehr
Menschen, die so etwas brauchen könnten.“ Sie blickt aus dem Fenster und zeigt
auf ein zweistöckiges Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Innenhofes.
„Was ist denn damit. Steht das vielleicht auch leer?“
Text: Beatrice Blank
Fotos: Mauricio Bustamante
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