„Zehn Schwarzfahrer waren Pflicht“

Fang-Quoten, aggressive Fahrgäste und fieser Konkurrenzkampf: Ein Aushilfskontrolleur hat ein Enthüllungsbuch über die Zustände bei den Kölner Verkehrsbetrieben (KVB) geschrieben. Enno Dreßler schildert die zwei Jahre Dienst am Fahrgast als die härtesten seines Lebens.

VON LESLIE BROOK

 

köln Die Geschichte von Enno Dreßler beginnt mit einem Aushang in der Kölner Agentur für Arbeit. Eigentlich will der arbeitslose Kunsthistoriker nur den „Antrag auf Fortzahlung des Arbeitslosengeldes II“ abgeben. Dann sieht er an der Pinnwand den Aushang der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB), die neue Fahrausweisprüfer suchen. Von Anfang an ist klar: Nach zwei Jahren wird nur etwa die Hälfte der 30 Kontrolleure übernommen - das bestätigt ein Sprecher der Verkehrsbetriebe. „Angetrieben von dem Wunsch nach einer festen Stelle, verwechseln schon bald viele Projektteilnehmer Kollegialität mit einem ,Dschungelcamp?“, schreibt Dreßler. Als die Entscheidung fällt, gehört er nicht zu denjenigen, die weiterbeschäftigt werden.

 

Über Quotendruck, aggressive Fahrgäste, Konkurrenzkampf und Mobbing hat der frühere Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe jetzt ein Buch geschrieben und im Eigenverlag veröffentlicht. Die zwei Jahre im Dienst der KVB seien die härtesten seines Lebens gewesen. Zuvor arbeitete Dreßler als Hörfunkredakteur und Zeitungsreporter und verfasste ein Buch über Rita Süssmuth. „Ich bin Zeit meines Lebens nicht so oft angepöbelt, beleidigt oder bedroht worden“, berichtet er. In „Die Freiheit des Fahrausweisprüfers“ beleuchtet er vor allem die Fang-Quote, die Kontrolleure bei den KVB zu erfüllen hätten.

 

„Zehn Fälle pro Prüfer und Schicht“ habe ihnen der Leiter Einnahmensicherung anfangs vorgegeben, schreibt Dreßler. Er macht dem Unternehmen schwere Vorwürfe: „Wir sollten Regelungen zur kostenlosen Mitnahme von anderen Passagieren verschweigen, um eine Mitteilung schreiben zu können.“ Wer am Ende der Schicht mit weniger als der vorgegebenen Zahl der Fälle Feierabend machte, habe sich auf ein Gespräch mit der Verwaltung einstellen müssen. Über mehr als die geforderten Fälle habe man sich in der Kontrolletage hingegen nie beschwert - in der Spitze seien es bis zu 29 gewesen.

 

Den Kölner Verkehrsbetrieben ist der Inhalt des „Enthüllungsbuches“ bekannt. Sie bestätigen, dass Dreßler von 2007 bis 2009 für sie gearbeitet hat. Die Existenz einer Fang-Quote dementiert das Unternehmen jedoch: „Wir geben keinen Zielwert vor“, sagt KVB-Sprecher Stephan Anemüller. Und: „Wir kontrollieren unsere Kontrolleure nicht.“ Ein Buch, das den oftmals schwierigen Job des Kontrolleurs analysiert, hätte das Unternehmen sogar begrüßt, meint Anemüller. Die Darstellung Dreßlers aber sei in vielen Punkten falsch. Richtig sei, dass sich ein Kontrolleur, der brutto im Monat etwas weniger als 2000 Euro verdient, statistisch gesehen bei zehn ertappten Schwarzfahrern pro Tag rechne. Wenn es mehr als zehn Fälle pro Schicht seien, mache das Unternehmen Gewinn. „Unser Ziel ist es aber nicht, mit den Kontrolleuren Gewinn zu erwirtschaften. Wir wollen die Zahl der Schwarzfahrer durch die Kontrollen minimieren“, so der Sprecher.

 

Die Zahl der EBE-Fälle (erhöhtes Beförderungsentgelt) pro Schicht und Kontrolleur liegt nach Angaben der KVB im Schnitt deutlich über zehn. „Bei der Vielzahl der Fahrgäste ohne gültigen Fahrschein im öffentlichen Nahverkehr in Köln ist es meist kein Problem, zehn oder mehr Schwarzfahrer zu erwischen“, so der Sprecher. Wenn eine Gruppe von meist drei Kontrolleuren auf einer Linie mehrmals nur wenige Schwarzfahrer ertappe, führe das zu einer Änderung des Einsatzplans, nicht zu einem klärenden Gespräch, betont er.

 

Eine „fatale Entscheidung“ nennt Dreßler seinen Entschluss heute, sich auf den Job beworben zu haben. Nicht nur das Klima unter den Kollegen sei von Misstrauen durchsetzt gewesen, auch von den Fahrgästen habe er sich übel beschimpfen lassen müssen. „Kontro“ sei die harmloseste Beleidigung gewesen. Manches Mal sei es richtig brenzlig geworden. Ein junger Mann habe ihm gedroht: „Hey Alter, an der nächsten Haltestelle gehst du besser beiseite“ und ihm dann einen Faustschlag verpasst. Selbst vor seinen weiblichen Kollegen hätten die Fahrgäste nicht Halt gemacht. Eine Prüferin habe einen heftigen Tritt gegen den Kopf bekommen und musste stationär behandelt werden. „Als ich diese Tätigkeit nach langer Arbeitslosigkeit begann, war ich überzeugt, aus dem inneren Kreis der Hölle in deren Vorhof zu treten. Bald zeigte sich jedoch, dass es umgekehrt war.“

 

 

Publikation     Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH

Lokalausgabe    Rheinische Post Düsseldorf

Erscheinungstag         Donnerstag, den 09. Juni 2011

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