"Für eine öffentliche Kultur der Begegnung und Achtsamkeit -
Abschied von der Ideologie eines problemfreien Großstadtalltags
und Plädoyer für intelligente sozialpolitische Strategien"

Stellungnahme zur Düsseldorfer Straßenordnung (DStO § 6)in der bisherigen Fassung und im Neuentwurf
(Stand 6.1.2000)
 

vorgelegt von:

Hubert Ostendorf (Dipl. Rel.Päd.),
Redaktion fiftyfifty Düsseldorf

Peter Bürger (Dipl. Theol.; Kr.Pfl.)
Pfarrer Dr. Hans Georg Wiedemann,
Düsseldorfer Initiative "Ökumenische Erklärung
zur Achtung gegenüber Wohnungslosen und Suchtkranken"

Holger Kirchhöfer (Dipl. Soz.Arb.)
Initiativkreis Armut, Düsseldorf

Wolfgang Sieffert OP,
Dominikanerpater, Düsseldorf
 
 
 
 

Inhalt

 

I. Ausgangslage und grundsätzliche Kritik
am § 6 der Düsseldorfer Straßenordnung (DStO)

 

  1.Der politische Horizont der aktuellen Diskussion
  2.Die Mißachtung des Gleichheitssatzes der Verfassung
  3.Interessensperspektive, Rechtsunsicherheit und juristische Anfechtbarkeit des vorgelegten Eilentwurfes
  4.Fehlender Nachweis des Handlungsbedarfes - oder:
    Die Dynamik subjektiver "Sicherheitsbedürfnisse"

 

II. Die einzelnen Punkte im § 6 der geltenden DStO und im Neuentwurf

  1.Aggressives Betteln
  2.Lagern
  3.Störungen in Verbindung mit Alkoholgenuss
  4.Verrichten der Notdurft
  5.Nächtigen
  6.Lärmen

 

III. Ausblick:

    Die Alternative einer solidarischen Begegnungskultur in unserer Stadt -
    Abkehr vom Ordnungs- und Sicherheitsdenken
    zugunsten sozial- und gesellschaftspolitischer Perspektiven

 

 
 
 

 

I. Ausgangslage und grundsätzliche Kritik am § 6 der Düsseldorfer
Straßenordnung (DStO)

 

1. Der politische Horizont der aktuellen Diskussion

Gleichsam als Überschrift der vorliegenden Neufassung der DStO ist die Forderung der Mettmanner Erklärung vom 6.8.1999 zu lesen, "die öffentliche Ordnung gegen .... Alkoholismus-Szenen, Pennertum, aggressives Betteln und Pöbelei... (zu) verteidigen" (vgl. dazu die Zitate und Quellenhinweise in den Anmerkungen der "Ökumenischen Erklärung von Düsseldorfer TheologInnen und Christen in Sozialberufen zur Achtung gegenüber Wohnungslosen und Suchtkranken, 12/1999; abgedruckt ebenso in der fiftyfifty-Sonderausgabe vom Jan. 2000). Diese und andere Wendungen - etwa "Schmarotzer" (NRZ 18.9.1999) - zeigen sprachlich ein erhebliches Maß an militant-aggressiver Feindbildorientierung. Für die aktuelle Diskussion ist es unerläßlich, daß sich der Oberbürgermeister Joachim Erwin als Mitunterzeichner der Mettmanner Erklärung öffentlich in der Presse oder vor dem Rat der Stadt ausdrücklich unter Bezug auf die Quelle von der oben genannten sprachlichen Entgleisung distanziert. Bis heute ist trotz mehrfacher Aufforderung lediglich begütigende Rhetorik in Briefen und Pressegesprächen, nicht aber eine explizite Distanzierung vom "Mettmanner Wortlaut" durch den Oberbürgermeister erfolgt. Eine solche wäre leicht zu bewerkstelligen, würde den Oberbürgermeister ehren und den Horizont der aktuellen politischen Diskussion auf eine sachlichere Ebene stellen.

Auch an anderer Stelle konstatieren wir einen fahrlässigen Sprachgebrauch, wenn etwa in der jüngsten drogenpolitischen Vorlage des Rates (Drucksache 01/213/99) vom repressiven "Zersprengen der ,Scenen‘" die Rede ist. Das "(Zer-)Sprengen" bezieht sich hier auf Menschen, die im sozialen Bezug zueinander stehen!

Von Interesse ist im Gesamtzusammenhang jedoch auch der Hinweis auf die Landesgesetzgebung in der Mettmanner Erklärung. Das gilt auch für den Neuentwurf der Düsseldorfer Straßenordnung, die leider alle Befürchtungen im Vorfeld erfüllt. Angesichts der vorliegenden juristischen Bedenken gegen die DStO (s.u.) ist nämlich durchaus zu fragen, inwieweit hier der angestrebten Änderung von Landesgesetzen auf dem Wege von behördlichen Verordnungen schon vorgegriffen werden soll.

Nach den Erfahrungen von Betroffenen aus den verschiedenen "Szenen" und für jedermann sichtbar ist seit den Kommunalwahlen 1999 eine verschärfte Vertreibungspraxis gegenüber Drogengebrauchern und Obdachlosen in Düsseldorf zu beobachten. Äußerungen von Bediensteten des Städtischen Ordnungsdienstes gegenüber Wohnungslosen sollen der Tendenz nach einen "anderen Wind" angekündigt haben.

Ausdrücklich muß jedoch festgehalten werden, daß bereits die geltende - von SPD und Grünen beschlossene - DStO die Präsenz von Obdachlosen, Bittstellern und anderen Gruppen in juristisch äußerst fragwürdiger Weise "beantwortet"! Insgesamt wird dazu in dieser Stellungnahme das Rechtsgutachten von Rechtsanwalt Dr. Michael Terwiesche vom 9.5.1997 angeführt (zitiert nach dem veröffentlichten Beitrag: M. Terwiesche: Innenstädte - eine obdachlosenfreie Zone? In: Verwaltungsrundschau 12/1997, S. 410-415).

 

2. Die Mißachtung des Gleichheitssatzes der Verfassung

Der Neuentwurf der DStO (zum Großteil deckungsgleich mit einem früheren Antrag der CDU-Ratsfraktion, Drucksache 01/080/97) macht noch deutlicher, wie hier eine Straßenordnung gleichsam maßgeschneidert auf bestimmte Zielgruppen und "Szenen" abgestimmt ist (s.u.; II). Niemand kann so naiv sein, zu übersehen, auf welche "Bedürfnisse" - über den populistischen politischen Sprachgebrauch in der Vorgeschichte hinausgehend - hier geantwortet wird: ""Vertreter von Handels-, Hotel- und Bankenzusammenschlüssen erklären, "Obdachlose aber seien wie Graffitis und Taubenkot ,kein Anblick, der zur Steigerung von Attraktivität und Kaufkraft beiträgt‘". Daher "gehören die Obdachlosen weggeräumt"..."" (Zitate aus der Lokalpresse, hier nach: Terwiesche 1997, 410). So kann es nicht verwundern, daß der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer dem DStO-Neuentwurf jetzt Beifall zollt und in einem weiteren Schritt die 40 städtischen Ordnungskräfte durch Hilfspolizisten ergänzt sehen möchte. (vgl. IHK verschärft Debatte. In: NRZ, 7.1.2000). Hier wird eine Vertreibungsdynamik sichtbar, die soziologisch kennzeichnend ist für Großstädte, in denen auf das Armutsproblem sicherheitspolitisch, nicht aber durch sozialpolitische Konzepte und Strategien reagiert wird.

Bislang hat sich die Praxis der Platzverweise des Städtischen Ordnungsdienstes zielgerichtet gegen sog. Randgruppen ("Punks", Wohnungslose, Drogengebraucher) gewendet. Die Ausführungen zum "Lagern" im Neuentwurf der DStO bekräftigen, daß weiterhin "insbesondere" dies auch die Praxis der Zukunft sein soll. Im Vergleich dazu bleiben Störungen etwa durch den geselligen Alkoholkonsum wesentlich größerer Menschenmassen im sommerlichen Alltag der Altstadt, die zu
erheblichen Einschränkungen für den Fußgänger- oder Autoverkehr (Rheinstraße, Ratinger Straße) führen, unberücksichtigt.
Die willkürliche Ungleichbehandlung und die entsprechende Gefährdung des Gleichheitssatzes der Verfassung (Art. 3 Abs. 1 GG) springen förmlich ins Auge.

 

3. Interessensperspektive, Rechtsunsicherheit und juristische Anfechtbarkeit des vorgelegten Eilentwurfes

Befremden muß angesichts der gravierende juristischen Anfechtbarkeit der DStO-Bestimmungen (sachlich dazu u.a.: Terwiesche 1997) das eilige Vorgehen bezogen auf den Neuentwurf. Auf diese Weise wird ein offener Bürgerdialog in der politischen Diskussion über ein Thema des Stadtalltags geradezu unmöglich gemacht. Es ist aus unserer Sicht offenkundig, daß die juristischen Einwände geflissentlich übergangen werden sollen, obwohl man weiß, daß wesentliche Bestimmungen einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten können Wir schlagen demgegenüber vor, ein unabhängiges juristisches Gutachten vor einer Beschlußfassung des Rates einzuholen und im Entscheidungsprozeß eine Beteiligung der Bürger zu ermöglichen.

Erklärter Anspruch der Neufassung ist es, durch Konkretisierung der "Verbotstatbestände" eine größere Rechtssicherheit zu schaffen. Tatsächlich jedoch grenzen die Konkretisierungen durch "insbesondere" oder "zum Beispiel" die jeweiligen Spiegelstriche maßgeschneidert auf "Normadressaten" im Bereich von Wohnungslosen und sog. Szenen ein.
"Rechtssicherheit" erscheint hier nur als ein Katalog für die Vollzugskräfte. Die "städtische Position" soll im Bewußtsein der juristischen Anfechtbarkeit der Verbote gestärkt werden. Aus der Sicht der Adressaten wird jedoch geradezu eine größere Unsicherheit bewirkt: ""Ist das bloße Zugehen auf einen Passanten, bei der Kontaktaufnahme unvermeidlich, bereits ein "Sich in den Weg stellen"? Kann das bloße Mitführen eines Hundes als Wegbegleiter nicht schon direkt als "Druckmittel" mißverstanden werden? Darf ich beim Ansprechen von Menschen einen zweiten Anlauf machen, neue Argumente anführen etc., wie dies in der alltäglichen Kommunikation etwas völlig normales darstellt? Darf ich als Wohnungsloser auf dem "Wohnraum Straße" mich überhaupt noch mit anderen Menschen, die ich kenne, regelmäßig treffen und niederlassen? Wann störe ich mit meiner Bierdose im Innenstadtraum andere Bürger (,denen aufgrund ihres Geldbeutels auch die Gastronomie in Räumen und unter freiem Himmel offensteht), obwohl ich mich in jeder Hinsicht an das geltende Strafgesetz halte?

Fragen über Fragen, aber eben aus der Sicht der Normadressaten, deren Lebensalltag reglementiert wird und die aufgrund ihrer sozialen Stellung im juristischen Streitfall immer ohnmächtiger, weil von vornherein "weniger glaubwürdig" als der städtische Beamte sind. Es ist schwer für Politiker und selbst für Journalisten angesichts einiger weniger DStO-Zeilen hier einmal eine andere Interessensperspektive, nämlich die der "Betroffenen" einzunehmen oder auch nur wahrzunehmen. Genau das aber erwarten wir. "Politiker sollten selbst mal in die Rolle der Obdachlosen schlüpfen... Vielleicht verstehen sie dann die Probleme der Wohnungslosen... dann dürfte es auch eine Erfahrung der ,anderen Art‘ sein, vom Ordnungsdienst der Städte vertrieben zu werden." (M. Krämer, Leserbrief in der WZ, 3.1.2000).

 

4. Fehlender Nachweis des Handlungsbedarfes - oder:
Die Dynamik sogenannter "Sicherheitsbedürfnisse"

Man sollte annehmen, daß eine Kommune jenseits politischer Vorurteile in nachvollziehbarer Form den zwingenden Handlungsbedarf nachweist, wenn sie auf ordnungsbehördlichem Wege und unter schwerwiegenden juristischen Einwänden die Kontaktaufnahme oder Kommunikation zwischen Bürgern regelt und die allgemeine, freie Nutzung des öffentlichen Innenstadt-Raumes (mit Blick auf bestimmte "Personengruppen") einschränkt. Dergleichen ist jedoch nicht geschehen. Selbstredend können Einzelfälle im liberalen Rechtsstaat schwerlich zu generalisierenden Beschneidungen von Freiheitsräumen führen. Doch unabhängig davon: Wie häufig haben ganz konkret Bittsteller ihre Hunde im letzten Jahr als Druckmittel benutzt oder durch nachgehende Ansprache bei Passanten eine subjektive Bedrohungssituation verursacht? Wie oft konnte ein mündiger Bürger im Innenstadtalltag ein unerwünschtes Gespräch nicht selbstbestimmt ohne staatliche Beihilfe beenden? In wie vielen Fällen haben "lagernde" Personengruppen, die die in der Neufassung genannten Merkmale aufweisen, die Nutzung des Straßenraumes für andere Passanten unmöglich gemacht? Oder auch: Wie häufig kam es durch das Nächtigen auf einer Parkbank zu einer Gefährdung der Öffentlichen Ordnung?

Wenn Belege für einen echten Handlungsbedarf nicht nachvollziehbar erbracht werden können, sollte man erst recht "die Kirche im Dorf" belassen. Es scheint nämlich in der Tat notwendig zu sein, die Autoren der alten und besonders der neugefassten DStO auf die schlichte Tatsache aufmerksam zu machen, daß Erpressung, Nötigung, Bedrohung oder Beleidigung im Strafgesetz hinreichend berücksichtigt sind und keiner ordnungsbehördlichen Verbote bedürfen. Diese kriminellen Tatbestände will in der Diskussion niemand decken. Doch daß es bei der Straßenordnung eben nicht um "gesetzwidriges Verhalten" oder gar um die "Duldung von Kleinkriminalität" geht und juristisch der Sache nach auch nicht gehen kann, versteht nachweislich nicht einmal der lokale Chefredakteur der größten Düsseldorfer Zeitung (vgl. als Beleg dafür: Hans Onkelbach, Weg von der Straße. In: RP 16.12.1999).

Der Nachweis des Handlungsbedarfes ist geradezu ein neuralgischer Punkt, wenn die Stadt Düsseldorf Politik nicht unter dem Vorzeichen einer - anhand von hochstilisierten Einzelbeispielen entworfenen - "Fiktion des Bösen" betreiben will. Soziologisch sind die entsprechenden Mechanismen hinlänglich bekannt: Bedrohungsphantasien und Bedrohungsrealität klaffen in vielen Bereichen auseinander. Wer - etwa im politischen Wettstreit - das subjektive Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung schürt, produziert den dazu gehörigen Handlungsbedarf und erteilt gleichsam öffentlich die Erlaubnis zum Ausleben von Ressentiments gegenüber unbeliebten, unerwünschten und vermeintlich "unansehnlichen" Mitmenschen: "Die müssen weg von der Straße". Wenn genau dies geschieht, sollen Wohnungslose oder Drogengebraucher letztlich aus dem Blickfeld und Bewußtsein der übrigen Bürger verschwinden. Integration - auch unter den Bedingungen eines jenseits von Utopien immer endlichen, unvollkommenen Lebens - wird unmöglich. Im III. Teil dieser Stellungnahme möchten wir in knapper Form eine alternative Wegrichtung benennen: jenseits der Vertreibungsdynamik in Großstädten, jenseits eines einseitig sicherheitspolitischen "Lösungsansatzes" in der Frage von Obdachlosen- oder Drogenszenen, der großen Schaden verursacht.
 
 

 

 

II. Die einzelnen Punkte im § 6 der geltenden DStO und im Neuentwurf

 

§ 6 der DStO untersagt "auf Straßen und in Anlagen ... jedes Verhalten..., das geeignet ist, andere mehr als nach den Umständen unvermeidbar zu behindern oder zu belästigen..." (Die Änderungen im Neuentwurf als Vorlage zum Ordnungs- und Verkehrsausschuß am 12.1.2000 sind im folgenden kursiv gekennzeichnet).

Schon in dieser Einleitung wird das Ergebnis des vorliegenden Rechtsgutachtens mißachtet, daß städtische Verordnungen gemäß Landesgesetz (OBG § 27 Abs. 1) der Abwehr von "Gefahren für die öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" dienen können, nicht jedoch der "Verhinderung von bloßen Belästigungen oder Unannehmlichkeiten". (vgl. Terwiesche 1997, 411).
Das den einzelnen Punkten jetzt neu vorangestellte "insbesondere" - redaktionell wiederum gefolgt von "insbesondere" oder "zum Beispiel" - und die öffentliche Betonung des "Kann"-Vorschrifts-Charakters (etwas anderes wäre kaum praktikabel) unterstreichen angesichts des folgenden Textes die zielgruppenspezifische Intention des § 6 DStO.

 

1. Aggressives Betteln

"aggressives Betteln (z.B. unmittelbares Einwirken auf Passanten durch In-den-Weg-Stellen, Einsatz von Hunden als Druckmittel, hartnäckiges Ansprechen, Verfolgen oder Anfassen),

 

Im weltweiten Kulturvergleich mutet es schon merkwürdig an, daß ausgerechnet eine der reichsten deutschen Städte das Handeln "ihrer" Bettler mit dem Adjektiv "aggressiv" auf der ordnungsbehördlichen Bühne vorführt und sogleich mit einer Vielzahl von detaillierten Verhaltensmaßregeln bedenkt. Erwünscht ist als Endziel allzu offenkundig der in Scham verstummte Bittsteller, der sich nicht rührt, der auf niemanden zugeht, mit dem es keine "Berührungspunkte" gibt. Das Gespräch zwischen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Welten und ein positives Stadtklima der Begegnung werden durch die og. Verbote jedenfalls nicht gefördert. Insgesamt ist in diesem Spiegelstrich exemplarisch das zu finden, was wir unter negativ programmierender Zeichensetzung verstehen. Den realen Handlungsbedarf dafür (s.o.) vermögen wir jedoch nicht zu erkennen.

Denkbar wäre es doch zumindest mit gleicher Berechtigung, daß die Straßensatzung in einer solidarischen Kultur beleidigende oder anpöbelnde Beschimpfungen gegenüber Bittstellern als verbotene Belästigungen oder als Erinnerungen an das Strafgesetz aufführt. (An dieser Stelle jedoch noch einmal der oben erfolgte Hinweis, daß städtische Verordnungen nach OBG eben nicht der Verhinderung von "bloßen Belästigungen" dienen).

In einer anderen Sichtweise wäre es sogar möglich, in Verbotsfassungen wie der vorliegenden auch den Spiegel oder die Verstärkung eines durchaus ungesunden, beziehungslosen Großstadt-Psychogramms zu erblicken, das schizoid-paranoide Züge der Vereinsamung und Isolierung trägt. Jedenfalls werden an dieser Stelle grundlegende Bestandteile zwischenmenschlicher Begegnung - das Zugehen auf Menschen, das nachgehende Aufsuchen, das Ansprechen, das Berühren oder das mitgeführte Tier als Begleiter (oftmals eine Brücke zwischen Menschen!) - in drastischer Form aus der Bedrohungsperspektive heraus aufgelistet. Rechtfertigt das reale Leben in unserer Stadt wirklich einen solchen Blickwinkel, und wenn ja, aufgrund welcher zahlenmäßig belegten Vorfälle?

Und so liest sich das alles aus der Perspektive des Bittstellers: Wenn ich auf Menschen zugehe, ohne dabei den Weg zu versperren, dann stelle ich mich in verbotener Weise "in den Weg"? Doch wie sonst soll man auf Mitmenschen in der Innenstadt zugehen? Kann nicht die bloße Anwesenheit meines vierbeinigen Freundes je nach Geschmack schon als "Einsatz eines Druckmittels" geahndet werden? Darf ich andere Menschen überhaupt noch mit mehr als einem Satz, mit einem zweiten Anlauf, mit einem neuen Argument oder Angebot (nach der Obdachlosenzeitung kommt der mitgeführte Kalender), mit einem bittenden Nachdruck, mit einer gut erfundenen oder einer leider wahren Geschichte ansprechen? Ist gar mit "hart-näckigem Ansprechen" ein aufrechtes Rückgrat ohne gebücktes Kreuz gemeint? Wenn ich jemandem, der durch die Einkaufsstraße eilt, nachgehe, "verfolge" ich ihn unerlaubter Weise? Wenn ich Menschen an der Kleidung berühre (was in der normalen Alltagskommunikation ein sehr gesunder, spontaner Impuls sein kann) oder durch leichtes Antippen auf mich aufmerksam mache, erfülle dann ich einen verbotenen Tatbestand?
Daß wir unterstellen, der § 6 der DStO sei entgegen dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung maßgeschneidert auf unerwünschte Zielgruppen hin formuliert, läßt sich bereits an einem kleinen Beispiel plausibel machen: Mitarbeiter der kommerziellen Marketing- und Meinungsforschung – nicht selten in Gruppen von vier Personen - sprechen in nennenswertem Umfang alltäglich Passanten in unserer Innenstadt hartnäckig an. Ebenso die Aktivisten öffentlicher Werbe-Aktionen. Sie alle werden durch kein einziges Verbot der DStO in ihrer Tätigkeit gemaßregelt oder beeinträchtigt!

Das vorliegende Rechtsgutachten zur DStO hält die (noch) geltende Fassung mit ihrem Verbot des "aggressiven Bettelns" durch "In-den-Weg-Stellen oder Anfassen" in dieser Form für rechtlich zulässig. Dagegen wird, was seinerzeit im Rat auch Gehör gefunden hat, als Fazit der Untersuchung klar festgestellt: "Aggressives Betteln durch Ansprechen stellt [daher] weder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit noch für die öffentliche Ordnung dar und darf deshalb nicht zum Gegenstand einer ordnungsbehördlichen Verordnung gemacht werden." (Terwiesche 1997, S. 412). Nicht zuletzt würde dadurch die - 1974 durch Strafgesetzbuchänderung vollzogene - Entkriminalisierung von "Bettelei" mit "polizeilichen Mitteln unterlaufen" (vgl. ebd., S. 412). Wir halten es für unannehmbar, daß nun mit dem Zusatz "hartnäckig" doch ein entsprechendes ordnungsbehördliches Verbot des "Ansprechens" in Düsseldorf ergehen soll. Insbesondere diese geplante Ergänzung hat auch einen ausgesprochen negativen Symbolwert für das öffentliche Klima!

 

2. Lagern

"Lagern (insbesondere auch in Personengruppen, die sich an den selben Orten regelmäßig ansammeln und dabei Passanten bei der Nutzung des öffentlichen Straßenraumes im Rahmen des Gemeingebrauchs behindern."

 

Hier sollen unerwünschte Mitmenschen und Gruppen aus dem "sauberen" Straßenbild "ent-fernt" werden. Ein soziales Problemfeld im modernen Großstadtgefüge wird gleichsam "kosmetisch" unter den Vorzeichen von Ordnung und Sicherheit "unsichtbar" gemacht. Diese "Unterstellung" wird - zumal angesichts der bestehenden Praxis und der maßgeschneiderten Zielgruppenbeschreibung im Neuentwurf - schwer zu widerlegen sein. Inhaltlich treffend vermerkt dazu ein lokaler Kommentator: "Ferner ist keinem damit gedient, nur an den Symptomen - Stichwort: Penner weg! - herum zu doktern. Denn: Wo sollten sie hin?"(Hans Onkelbach, Weg von der Straße. In: RP 16.12.1999).

In humanitärer, sozialpolitischer und juristischer Sicht ist damit der wesentliche Knackpunkt benannt: Die Straßen, insbesondere die Fußgängerzonen unserer Innenstadt, sie sind Lebens- und Begegnungsraum, für viele Menschen sogar Wohnraum. Feste Plätze und Treffpunkte bieten für Mitbürger ohne eigenes Dach oder mit fehlendem Einkommen einen wesentlichen Ort des täglichen Lebens. (Sie können schwerlich etwa in die Gastronomie ausweichen.)
Zwischenmenschliche Beziehungen in Gruppen bilden für Mitglieder der anvisierten "Szenen" oftmals das einzige soziale Zuhause, eine Chance zu kommunikativer Beziehung, sozialer Identität und Kontinuität, wie zerbrechlich auch immer. Hier ist ein Stück "wohltuender Familie". Wer diesen "Menschen auf der Straße" genau das nimmt, ohne dabei gleichzeitig wie ein wunderwirkender "Heiland" die Ursachen und Bedingungen ihres Geschicks zu erlösen, der nimmt ihnen das "Wenige", das sie haben. Gerade sie sind auf den "Gemeingebrauch der Straße" mehr noch als andere angewiesen. Ein
ordnungsbehördliches Verbot des sog. "Lagerns" - noch dazu mit den expliziten Bestimmungen identifizierbarer "Personengruppen", gleichbleibender "Orte", "regelmäßiger Treffen" - liest sich aus dieser Sichtweise heraus nicht anders als zynisch. Nicht Bahnhofsvorplatz, Carschhaus-Umgebung oder Fußgängerzonen der Altstadt sind im Sinne eines Handlungsbedarfs zu eng, sondern das Blickfeld von Verantwortungsträgern, die diese sozialen Wirklichkeiten nicht sehen.

In der regelmäßigen Dynamik von Vertreibung werden die Betroffenen jedoch letztlich unkenntlich und unauffindbar. Szenen verlagern sich in Außenbezirke. Probleme bleiben ungelöst und verstärken sich, wenn auch an neuen Orten. Der aufsuchenden Drogen- und Obdachlosenarbeit wird auf fatale Weise der Boden entzogen für Ansprache, Vertrauensbildung, Vermittlung, Soforthilfe und weitergehende soziale Strategien. Nur bei völliger Unkenntnis kann behauptet werden, insbesondere das repressive "Zersprengen" (sic!) von Drogen-Szenen und eine z.T. nachfolgende "Privatisierung" des Konsums könnten auch nur eine einzige individuelle Suchtgeschichte im positiven Sinne verändern. (Damit ist die dringliche Notwendigkeit von sozialen Räumen als Alternative zur Bezugsgruppe "Drogenszene" hier nicht in Frage gestellt!).

Die Bestimmungen des vorliegenden DStO-Neuentwurfes zum "Lagern" ignorieren im vollen Umfang das vorliegende Rechtsgutachten (Terwiesche 1997, S. 412f.): Es untersucht die "Gefahr für die öffentliche Sicherheit" sowie die für "bußgeldbewerte polizeiliche Verbotsnormen" hohen "Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit". In einem erweiterten Verkehrsbegriff dient der Straßenraum dem "Zwecke der Kommunikation und der menschlichen Kontaktpflege". "Bei dem ,Lagern‘ handelt es sich daher noch um eine gemeingebräuchliche Nutzung der Straße." Es darf, so das Ergebnis, "nicht durch eine ordnungsbehördliche Verordnung verboten werden." (vgl. ebd., S. 413).

Wann und wodurch liegt beim "Lagern" eine Behinderung vor? Wann handelt es sich überhaupt um ein verbotenes "Lagern"? Die im Gutachten gerügte Unbestimmtheit der DStO wird durch die Praxis vollauf bestätigt. Einige städtische Ordnungsbeamte verweisen nach Aussagen Betroffener - als "Indiz" - allen Ernstes schon auf die Pappe, mit der sich Menschen beim Sitzen vor der Bodenkälte schützen.

Daß ein Jurist die Düsseldorfer Kommune daran erinnern muß, der öffentliche Straßenraum diene zweckgerecht auch der zwischenmenschlichen Kontaktpflege und Kommunikation, ist an sich schon ein trauriger Umstand. Daß er dabei auf gänzlich taube Ohren stößt, ist noch viel trauriger.

 

3. Störungen in Verbindung mit Alkoholgenuss

"Störungen in Verbindung mit Alkoholgenuss (z.B. Grölen, Anpöbeln von Passanten, Gefährdung anderer durch Herumliegen lassen von Flaschen oder Gläsern."

 

Das Rechtsgutachten zur geltenden DStO kommt wegen der nicht nachweisbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie besonders unter Hinweis auf das Bestimmtheitsgebot zu dem Ergebnis: "Störender Alkoholgenuß" kann nicht zum "Gegenstand einer ordnungsbehördlichen Verordnung gem. § 27 OBG" gemacht werden. (vgl. Terwiesche 1997, 413f.).

Politischer Horizont für die entsprechende Bestimmung ist auch die in der "Mettmanner Erklärung" vom 6.8.1999 geforderte Verteidigung der öffentlichen Ordnung gegen "Alkoholismus-Szenen". Dazu fordert Punkt 2 der Düsseldorfer "Ökumenischen Erklärung" (s.o) ausdrücklich eine "sozial gerechte Gleichbehandlung": "Bezogen auf die öffentliche Ordnung darf es keine abgestuften Bürgerrechte für sozial gesicherte und sozial ungesicherte Alkoholiker geben." Im Sinne der kommunal angestrebten breiten Prävention des Alkoholismus wäre die isolierte und ablenkend projektive Wahrnehmung des Problems auch ausgesprochen kontraproduktiv. Man hätte zwar den "deklassierten" wohnungslosen Alkoholiker öffentlich vor Augen, würde den Massenalkoholismus und seine traurigen Auswirkungen hinter den verschlossenen Türen der Stadt jedoch nicht mehr wahrnehmen.

Der sprachliche "Kunstgriff" der vorgelegten Neufassung ("Störungen in Verbindung mit Alkoholgenuss") legt nun die logische Frage nahe, ob denn die anvisierten "Störungen" ohne eine "Verbindung mit Alkoholgenuss" nicht Gegenstand der DStO wären. Die neue Beispielanreihung beseitigt in keiner Weise die im juristischen Gutachten festgestellte "Unbestimmtheit" des entsprechenden DStO-Verbotes. (Auffälliger weise hat die Redaktion des Entwurfs hier kein "insbesondere" gewählt).

Wenn man an dieser Stelle nicht doch eine mehr oder weniger willkürliche, über das Strafgesetz hinausgehende Handhabe gegen "Alkoholismus-Szenen" im Stadtbild beibehalten wollte, wäre die Nennung des "Alkoholgenusses" logisch vollständig überflüssig.

Im täglichen Leben der Stadt mit ihren Biergärten, dem Außenausschank der Gastronomie, den abendlichen Runden von Arbeitskollegen am Kiosk oder den unzähligen öffentlichen Festanlässen stellt Alkoholkonsum keine Ausnahme dar und wird sehr wohl toleriert. In diesem Sinn ist die explizite Feststellung erforderlich, daß der bloße - öffentliche -Alkohol-genuss (auch des wohnungslosen Suchtkranken oder einer Gruppe von Menschen) an keiner Stelle Gegenstand eines Verbotes der DStO ist.

 

4. Verrichten der Notdurft

"Verrichten der Notdurft."

 

Selbstredend wird hier ein "unsachgemäßer Gebrauch" des öffentlichen Straßenraumes zu Recht unter Verbot gestellt. Beruhigend ist die Ankündigung des Ordnungsdezernenten Werner Leonhardt (Woran Menschen Anstoß nehmen, RP 6.1.2000), daß Ordnungskräfte aber auch in Zukunft nicht im Gebüsch ahnden werden und "der Mangel an öffentlichen Toiletten" in Düsseldorf noch Gesprächsgegenstand werden soll. - In der Tat, es ist ein Problem für wohnungslose Menschen, denen aufgrund ihres Geldbeutels oder Kleidungsstandards der Zugang zur Gastronomie verwehrt ist, über Tag der unvermeidlichen Notdurft nachzugehen!

 

5. Nächtigen

"Nächtigen, insbesondere auf Bänken und Stühlen sowie das Umstellen von Bänken und Stühlen zu diesem Zweck."

 

Das Rechtsgutachten von Dr. Terwiesche kommt zu dem Ergebnis, daß diese bereits bestehende Bestimmung der DStO aus juristischer Sicht in der Tat "zum Gegenstand eines Verbotstatbestandes" gemacht werden kann (Vgl. Terwiesche 1997, S. 414f.). Es bleibt aber an dieser Stelle zu fragen, wie ein nur halbwegs mit den Düsseldorfer Verhältnissen vertrauter Ordnungsbeamte sich die praktisch durchführbare Realisierung dieser Bestimmung vorstellt. Hier handelt sich um ein Verbot, das wohl auch in Zukunft nahezu irrelevant für das leibhaftige Leben in der Stadt bleiben wird. Gesunder Menschenverstand muß sich zudem fragen, welches Bürgerinteresse - die Gefahr des Erfrierens ausgenommen - denn durch einen Wohnungslosen tangiert wird, der schlicht auf einer Parkbank nächtigt? Wo liegt im Sinne des §6 DStO eine Behinderung oder Belästigung vor? Diese Sicht teilt offensichtlich auch OB Joachim Erwin, der am 13.12.1999 im WDR-Lokalfernsehen Düsseldorf öffentlich versprach: "Wer unbedingt weiterhin im Hofgarten mit seinem Zelt wohnen will, wer also unbedingt irgendwo sonst im Aaper Wald wohnen möchte, wir werden ihn daran nicht hindern." Offen bleibt, wieso solche positiven Ansätze nicht Eingang in die Neufassung der DStO finden.

 

6. Lärmen

Zu diesem in der bestehenden Fassung und im DStO-Neuentwurf schlicht mit "Lärmen" bezeichneten ordnungsbehördlichen Verbot stellt Dr. Michael Terwiesche in seinem Rechtsgutachten als Resümee fest: "Der Verbotstatbestand des ,Lärmens‘ verstößt... gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG, § 29 Abs. 1 S. 1 OBG enthaltene Bestimmtheitsgebot." (Terwiesche 1997, S. 415). Der Neuentwurf macht nicht einmal den Versuch, den Allgemeinplatz "Lärmen" zu konkretisieren.

Wann "lärmt" ein Straßenmusiker, der doch unverzichtbar zum Innenleben einer gesunden Stadt gehört? Wann ist lebhaftes soziales und kommunikatives Geschehen im öffentlichen Raum "Lärm"? Man kann sich unschwer denken, welche willkürliche Praxis sich auch angesichts der unterschiedlichen "Gehörvorstellungen" in Lärm- und Geräuschfragen bezogen auf ein Vorgehen gegen einzelne Gruppen im öffentlichen Stadtbild ergeben können. Andererseits stellt sich die Frage, welche Gruppen - z.B. in der Altstadt nach Feierabend des Städtischen Ordnungsdienstes - von diesem Verbot unberührt bleiben.
 
 

 

III. Ausblick: Die Alternative einer solidarischen Begegnungskultur in unserer Stadt

 

Abkehr vom ideologischen Ordnungs- und Sicherheitsdenken zugunsten sozial- und gesellschaftspolitischer Perspektiven

 

Das Fatale am äußerlichen Konzept von "Ordnung und Sicherheit" ist zunächst der schlichte Umstand, daß es nicht funktionieren kann. ("Junkie-Jogging", Obdachlosen-Vertreibung oder "Ausgliederungen" in Randgebiete außerhalb des Zentrums bringen kein einziges wirkliches Problem einer Lösung näher.) Das gelebte Leben richtet sich an der Wurzel auch nicht nach Straßensatzungen, die schnell bewerkstelligt sind. Hier wird lediglich die Illusion geweckt, daß Probleme im zwischenmenschlichen Zusammenleben einer Großstadt durch regelnd-reglementierendes Eingreifen der Kommune ernsthaft zu lösen wären - über das Strafgesetzbuch hinausgehend und - offenbar auch - bis hin zur alltäglichen zwischenmenschlichen Kommunikation.

Gleichzeitig verstärkt ein äußerliches Vorgehen feindselige Projektionen, wie sie deutlich etwa beim Beispiel des alkoholkranken Wohnungslosen zutage treten. ("Da ist der Alkoholiker!") Vor allem Gesellschaften mit fehlenden solidarischen Kompetenzen brauchen geradezu "Randgruppen" in ihrer "Sündenbock- und Disziplinierungsfunktion". Diese schrecken als "Sammelbecken der Abweichenden und Ausgegliederten" durch ihre Stigmatisierung ab (vgl. G. Iben: Art. Randgruppe/Randgruppenarbeit. In: Fachlexikon der sozialen Arbeit. 4. Aufl. 1997). Die komplexen Ursachen von Langzeitarbeitslosigkeit, Suchterkrankungen oder Wohnungslosigkeit sind in diesem Kontext gerade nicht (mehr) von Interesse, ebensowenig die aktuelle soziologische Erforschung der (Groß-)Stadtentwicklung.

Äußerliche, sicherheitspolitische Ordnungskonzepte und diskriminierende, maßgeschneiderte Sonderregelungen in Straßensatzungen verstärken auf "Betroffenenseite" Gefühle des Unerwünschtseins, nicht aber die Neigung zum sozialen Verhalten! Auf Bürger- und Politikerseite dienen diese Konzepte oftmals der Abwehr von Ohnmachtserfahrungen. (Gerade die Hilflosigkeit gegenüber tiefgreifenden Ursachen z.B. von Sucht oder Obdachlosigkeit zeitigt oft die Neigung zu schnellen, radikalen "Lösungen").

Andere, weniger "totale" Alternativen werden auf diese Weise unmöglich gemacht: Vertreibung entzieht einer wirksamen Sozialarbeit den Boden. Äußere Auflösung von Szenen aufgrund der naiven Illusion, die bleibenden Ursachen der Szenebildung damit gleichzeitig zu beseitigen, fügt der Aussicht auf Integration schweren Schaden zu. Fachlich dilletantische Größenphantasien im Sinne von Radikalkuren verunmöglichen realistische konkrete Schritte. Vordergründige Sicherheitspolitik verhindert im Voraus sozialpolitische Lösungsversuche.
Die Alternative besteht also gerade nicht in einer Politik, die meint, alles in einem forschen Management "machen" zu können. Stärke beweisen Politiker an erster Stelle durch Verzicht auf unrealistische Versprechen, Illusionen und schnelle Lösungswege.

Auf einer solchen, im guten Sinne bescheidenen Basis können konstruktive Betroffenheit und Mitgefühl (nicht Schuldgefühle!) im Alltag einer Stadt behutsam wachsen. Ebenso die Sensibilität für Ursachen und Hintergründe von sozialen Problemfeldern.

Das heißt zum Beispiel, reale Lebensbedingungen von Sucht oder Obdachlosigkeit werden innerhalb der Grenzen von "Machbarkeit" wahrgenommen. Praktische Strategien der Verminderung von konkretem Leiden kommen ins Blickfeld, auch wenn sie nicht das "Blaue vom Himmel" in Aussicht stellen.

Konkret messen wir vor allem der Zeichenhaftigkeit politischen Handelns einen großen Stellenwert bei. (In dieser Hinsicht ist die Signalwirkung der Düsseldorfer Straßenordnung außerordentlich negativ). Wenn etwa Politiker solidarische Zielvorgaben formulieren oder zeigen, daß sie sich in persönlichen Begegnungen für die Geschichten von sogenannten "Randständigen" interessieren, kann das Kreise ziehen. Die Politik kann Gespräche, Berührungspunkte und gemeinsames Sich-hinsetzen von unterschiedlichen Gruppen und Menschen fördern, statt Ansprache, Auf-den-anderen-zugehen, Berührung und gemeinschaftliches "Lagern" durch Verbote einzuschränken. Es macht einen Unterschied, ob als Ideal saubere, luxuriöse Geschäftsviertel in der Stadt vermittelt werden oder etwa ein sympathisches, gemeinsames Lachen - auch von Armen und Reichen - in unseren Straßen. Wieso sollte eine Kommune, die sich durch Satzungen anschickt, Alltagssituationen weitreichend zu regeln, nicht ebenso und mehr noch positive Zeichen des Miteinanders auf den Weg schicken?

In den Kreis der exemplarisch öffentlich geehrten Mitbürger gehören dann auch solche, die nicht achtlos an einem hilfsbedürftigen, kranken Obdachlosen vorbeigehen oder die einem Drogengebraucher Arbeit verschaffen. Und ganz sicher gibt es nicht wenige Wohnungslose, die es "verdient" hätten, als besondere Mitbürger genannt zu werden.

Von keinem kann erwartet werden, daß er sich sozial adäquat verhält, wenn er das Signal bekommt: "Du bist unerwünscht!" Ein Klima des Respekts, der liberalen Toleranz und der Achtsamkeit bewirkt Veränderungen, auch da, wo heute vielleicht vornehmlich "Lästiges" oder "Belästigungen" wahrgenommen werden.

Gewiß, Versuche sind solche Vorschläge, doch sie zeigen nichts Unmögliches. Allein durch die Existenz eines Straßenmagazins erhalten Obdachlose für Düsseldorfer Bürger ein unverwechselbares Gesicht. Mitbürger rufen mitunter besorgt in der Redaktion an, wenn "ihr Verkäufer" zum Beispiel wegen Krankheit an seinem Platz fehlt. Da ist Hinsehen und Verantwortungsübernahme, nicht Gleichgültigkeit. Solche - längst vorhandenen - solidarischen Ressourcen gilt es in unserer Stadt an vielen Stellen zu entdecken und zu bestärken.

Selbstredend gehört der Ausbau des organisierten Hilfenetzes wesentlich in das Gesamtkonzept einer sozialpolitischen Alternative. Dazu zählen Orte, in denen praktische Strategien zur Bewältigung auch der Konflikte im Alltag der Stadt, zu realistischen Formen der Integration, zur Stärkung kultureller Identitäten und auch zur gestützten Selbsthilfe sich entwickeln können. Realistisch muß allerdings zugegeben werden, daß der Bereich professioneller Hilfe in manchen Teilen der Obdachlosen- oder Drogenarbeit aktuell nicht mehr als ein "Tropfen auf dem heißen Stein" sein kann. Rentieren sich Investitionen an dieser Stelle nicht noch mehr und längerfristiger als Ausgaben im Bereich sogenannter "repressiver" Aufgaben?
 

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