Bettelnder Hartz-IV-Empfänger darf 200 Euro behalten

 

Bettelnder Hartz-IV-Empfänger darf 200 Euro behalten

Tobias Grossekemper

04.12.2017 - 19:55 Uhr

Foto: Tobias Großekemper

Michael Hansen lebt schon länger in Dortmund und findet: Der Rummel um seine Person hat sich gelohnt.

Dortmund. 

Für den Hartz-IV-Empfänger, der bettelt und dem das Jobcenter daher die Leistungen kürzte, gibt es jetzt eine Lösung.

Zum Betteln ist Michael Hansen in
den vergangenen 14 Tagen so recht nicht mehr gekommen. Wenn der
50-Jährige in dieser Zeit in der City an seinem Stammplatz vor seinem
Modehaus saß, war er in der Regel nicht mehr allein. Radioreporter,
Fernsehkameras, irgendwer war immer bei Hansen. Auch Menschen, die die
Berichterstattung über ihn verfolgt hatten, sprachen den
Hartz-IV-Empfänger an.

 

Bettler wurde Hartz IV gekürzt - Sozialfonds springt ein

 

Hansen bettelt dort schon eine Weile, man kennt sein Gesicht. Im Januar 2017
sah ihn eine Mitarbeiterin des Jobcenters, danach fing der Ärger an. Die
Spenden, die Hansen erhielt, stellten für das Jobcenter ein Einkommen
in „einer Größenordnung dar, die leistungsrechtlich nicht
unberücksichtigt bleiben darf“, so formulierte es später ein Sprecher
des Jobcenters.

Erst 270, dann 90 Euro gekürzt

Für  Hansen bedeutete diese Feststellung, dass seine Hartz-IV-Bezüge gekürzt
wurden. Zunächst um 270 Euro. Nachdem eine Anwältin Widerspruch 

Die wohl treffendste Überschrift zu der Geschichte fand sich dann einige
Tage später auf dem Blog von Stefan Sell, der Mann hat eine Professur
für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der
Hochschule Koblenz inne. „Aus den bürokratischen Eingeweiden des
Hartz-IV-Systems“, titelte Sell und fragte unter anderem: „Betteln als
Beruf oder Selbstständigkeit? Gibt es da auch Ausbildungsgänge?“

Am vergangenen Freitag dann hatte Hansens Anwältin, die Frau heißt Juliane
Meuter und Hansen hatte sie beim Betteln in der Innenstadt
kennengelernt, einen Termin beim Dortmunder Jobcenter. Einen „guten,
angenehmen Termin“, wie Meuter findet. In der Angelegenheit wurde jetzt
eine Lösung gefunden, die so auch für andere HartzIV-Empfänger im
Bereich des Dortmunder Jobcenters gelten soll:

Hansen darf ab jetzt die Hälfte eines
Hartz-IV-Regelsatzes (also rund 204 Euro) erbetteln, ohne darüber
jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Falls er mehr einnimmt, wird er
sich freiwillig selbstverpflichten, diese Mehreinnahmen beim Jobcenter
anzugeben. Das Jobcenter will dann bei erheblichen Mehreinnahmen eine
Verrechnung mit Hansens Leistungen prüfen. Das seit August einbehaltene
Geld, insgesamt 360 Euro, wird Hansen erstattet.

Anwältin findet den Kompromiss „sehr gut“

Hansen sagt am Montagmorgen, er könne mit dieser Regelung hervorragend leben.
„Das ist das, was wir wollten.“ Der Rummel in den vergangenen Tagen sei
schon kräftig gewesen. Nach der ersten Berichterstattung an einem
Samstag stand am folgenden Montagmorgen direkt RTL vor dem Haus am
Nordmarkt, in dem Hansen mit Frau Christa in einer kleinen Wohnung
wohnt. „Insgesamt hat sich die Sache gelohnt, wir freuen uns jetzt auf
ein schönes Weihnachtsfest“, findet Hansen.

Vergleichbarer Fall in Göttingen

Auch Anwältin Juliane Meuter hält den jetzt vom Jobcenter ausgearbeiteten
Weg für „sehr gut“. Ihr Gesprächspartner aus der Geschäftsführung des
Jobcenters habe ihr gesagt, dass „man da in diesem Fall ein wenig
unsensibel gewesen sei.

Sie wolle jetzt noch einmal mit Hansen darüber sprechen, die Sache schriftlich fixieren und damit beenden.

Also alles gut für bettelnde Hartz-IV-Empfänger? Könnte die in Dortmund
gefundene Lösung eine Blaupause für andere Kommunen sein? Denn einen
einheitlichen Umgang gibt es für die Frage, wie Jobcenter mit den
Einnahmen von bettelnden Kunden umgehen sollen, nicht. Ein
vergleichbarer Fall in Göttingen war 2009 durch ein Machtwort des
dortigen Oberbürgermeisters beendet worden.

„Lösung taugt nicht als bundesweites Vorbild“

Für den in Dortmund geborenen Armutsforscher Professor Christoph
Butterwegge bietet sich die Lösung nicht als bundesweites Vorbild an.
Zwar scheine der Kompromiss hier annehmbar, weil die Rechtslage gegen
Herrn Hansen spricht.

Butterwegge, der im vergangenen Jahr
Kandidat der Linkspartei als Bundespräsident war, hat ein
grundsätzliches Problem: „Wenn die Bundesrepublik ihrem Grundgesetz
entsprechend ein Sozialstaat sein will, muss sie dafür sorgen, dass die
Bezieher der Grundsicherung davon auch leben können. Mit 409 Euro sowie
der Bezahlung von Miet- und Heizkosten kann man kein Leben in Würde
führen.“ Um zu vermeiden, dass Menschen ergänzend betteln, sollte der
Regelsatz deutlich erhöht werden, sagt Butterwegge.

Sicherheit für Mitarbeiter und Kunden

In Dortmund leben rund 600.000 Menschen. Etwa 88.000 in rund 45.000
sogenannten Bedarfsgemeinschaften beziehen Hartz IV. Nach dem Wirbel um
Hansen und das Jobcenter hatte es einige Bettler in der Innenstadt
gegeben, die befürchteten, in Zukunft Post vom Jobcenter zu bekommen.
Ihre Sorge hat sich durch die jetzt gefundene Lösung immerhin
verringert.

Das Dortmunder Jobcenter teilte auf Anfrage mit, es wolle mit dieser Regelung eine
einheitliche Verfahrensweise für äußerst seltene Einzelfälle schaffen.
Damit, so heißt es weiter, will man „so Klarheit und Sicherheit für alle
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Kundinnen und Kunden in
unserem Hause zu schaffen“.

https://www.nrz.de/staedte/dortmund/bettelnder-hartz-iv-empfaenger-darf-...