Schere öffnet sich. Ungleichheit bei Vermögensverteilung

Frankfurter Rundschau, Samstag den 27.09.2014 Wirtschaft 12 - 13

Schere öffnet sich. Ungleichheit bei Vermögensverteilung

Von Stephan Kaufmann

 

Kritikern der zunehmenden Ungleichheit in Deutschland wird oft
entgegnet, seit vielen Jahren nehme die Ungleichheit bei den Einkommen
ab. Das stimmt zwar. Dies war jedoch nur eine vorübergehende Episode, so
das gewerkschaftsnahe Institut IMK. „Für die Jahre 2012 bis 2014 muss
wieder mit einem Anstieg der Einkommensungleichheit gerechnet werden“,
prognostizieren die Ökonomen.

Seit Beginn der 1990er-Jahre hat
sich die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen in der
Bundesrepublik stetig weiter geöffnet. Der Gini-Koeffizient, das
verbreitetste Maß für Ungleichheit, stieg bis 2005 um rund 18 Prozent
an, so das IMK. Als Grund nennt es „überproportional steigende Einkünfte
aus Zinsen, Unternehmensgewinnen oder Immobilien, die seit der
Wiedervereinigung die Ungleichheit vergrößert haben, weil
Kapitaleinkommen überwiegend einer relativ kleinen Gruppe in der
Bevölkerung zufließen“.

Zusammen mit der starken
Ungleichverteilung der Vermögen hat dies zu einer harschen Kritik an den
Zuständen in Deutschland geführt. Demgegenüber verwiesen viele Ökonomen
jedoch darauf, dass sich die Entwicklung umgekehrt habe. „In jüngster
Zeit hat sich die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter geöffnet“,
so das arbeitgebernahe Institut IW. Tatsächlich ist der Gini-Koeffizient
seit 2005 gesunken.

Doch nun scheint der Trend wieder gedreht
zu haben. 2011 – das letzte Jahr, für das Daten vorliegen – nahm die
Ungleichheit wieder zu. Um die weitere Entwicklung abzuschätzen,
untersuchten die IMK-Ökonomen, in welchem Maß die Markteinkommen aus
Vollzeit- und aus atypischer Beschäftigung sowie aus Kapitaleinkommen zu
Veränderungen der Einkommensungleichheit beigetragen haben.

Entspannung nur Episode

Ihr Ergebnis: Selbst in den Jahren 2005 bis 2010 habe die Ungleichheit
bei den Arbeitseinkommen zugenommen, vor allem wegen der Ausbreitung
atypischer Beschäftigung. Dass die Einkommensungleichheit in dieser Zeit
dennoch insgesamt zurückging, habe vor allem an den Verlusten in der
Finanzkrise gelegen, in der die Kapitaleinkommen stark schrumpften. „Die
vermeintliche Entspannung bei der Verteilungsentwicklung dürfte daher
nur eine Episode gewesen sein“, so das IMK. 2012 bis 2014 sei die
Ungleichheit voraussichtlich wieder gestiegen.