Wohnungsmangel verschärft die Lage jugendlicher Obdachloser in Deutschland rapide

 

Aus: Ausgabe vom 06.03.2019, Seite 1 / Titel
Armut

Auf die Straße getrieben

Streetworker schlagen Alarm: Wohnungsmangel verschärft die Lage jugendlicher Obdachloser in Deutschland rapide.
Regierung bleibt untätig
Von Susan Bonath

 

Die Not wächst, besonders bei den Schwächsten. »Der massive Wohnungsmangel verschärft die Lage junger Menschen, die obdachlos
werden«, warnte am Dienstag die Stiftung »Off Road Kids«, die Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf der Straße hilft. In ihrem
Jahresbericht 2018 offenbarte sie eine alarmierende Entwicklung.

Wie viele Jugendliche in der Bundesrepublik tatsächlich wohnungslos sind,
weiß offiziell niemand. Allerdings ging die Bundesarbeitsgemeinschaft
Wohnungslosenhilfe (BAGW) 2017 davon aus, dass die Zahl der Menschen
ohne Bleibe insgesamt von rund 860.000 im Jahr 2016 auf 1,2 Millionen
Ende 2018 ansteigen dürfte. Auch Kinder seien zunehmend davon bedroht,
hieß es. Zur selben Zeit schätzte das Deutsche Jugendinstitut die Zahl
der unter 25jährigen, die auf der Straße leben, rückblickend auf 37.000,
darunter Tausende Minderjährige.

Die Stiftung »Off Road Kids« hatte bereits vor einem Jahr vor einem rasanten Anstieg der
Jugendobdachlosigkeit gewarnt. Im Jahr 2021 würden wohl mehr als 100.000
unter 25jährige auf der Straße sitzen, wenn die Politik weiterhin nicht
handele, hieß es. Besonders Heimkinder seien gefährdet. Denn viele
Kommunen stellten die Hilfe für sie am 18. Geburtstag abrupt ein.
Unternommen hat die Politik bis heute nichts dagegen. Im Gegenteil: »Es
gibt nahezu keine Wohnplätze mehr für junge Volljährige, die auf der
Straße sitzen«, sagte der Vorstandssprecher von »Off Road Kids«, Markus
Seidel.

Dieser Mangel werde immer schlimmer. »Es ist höchste Zeit, dass die
Kommunen mehr Wohnraum schaffen, denn ohne ein Dach über dem Kopf gibt
es keine Perspektive«, mahnte er. An fehlendem Willen der jungen
Menschen liegt das nicht. Die von »Off Road Kids« Betreuten hatten zuvor
alleine Hilfe gesucht. Streetworkerstationen betreibt die Stiftung in
den Problemzentren Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main, Köln und
Dortmund. Auch auf der Internetseite sofahopper.de gibt es Beratung.

Laut Jahresbericht holten die Sozialarbeiter der Stiftung 2018 insgesamt 400
Jugendliche von der Straße, darunter 26 Minderjährige. Das waren mehr
als doppelt so viele wie 2006. Doch nur jedem Sechsten davon konnten sie
sofort und dauerhaft eigenen Wohnraum oder zumindest eine gesicherte
Betreuung vermitteln. Früher hätten Streetworker rund 75 Stunden Arbeit
investiert, um einem Jugendlichen Unterkunft und Perspektive zu
vermitteln. Voriges Jahr sei jeder Mitarbeiter im Durchschnitt bereits
112 Stunden dafür tätig gewesen, fasste Seidel die Auswertung zusammen.
»Das ist eine Steigerung um 50 Prozent«.

Die Bürokratie lässt das kalt. So ist es Jobcentern per Gesetz egal, welche persönlichen und
sozialen Probleme ein 18jähriger hat, der nicht auf elterliche Hilfe
zurückgreifen kann. Bricht er seine Ausbildung ab oder schreibt er nicht
genug Bewerbungen, wird ihm für drei Monate sein gesamter Regelsatz
verwehrt. Allein im Jahr 2017 wurden laut Bundesagentur für Arbeit (BA)
monatlich rund 3.600 15- bis 24jährige vollständig sanktioniert. Die
Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages stellten bereits vor zwei
Jahren in einer Studie fest, dass die Hartz-IV-Regeln viele junge
Menschen überfordern und die harten Strafregeln sie in die
Obdachlosigkeit treiben. Geändert hat sich nichts.

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