Kein Umzug trotz Hartz IV

Langzeit-Arbeitslose, die laut den gesetzlichen Bestimmungen in zu großen Wohnungen leben, müssen sich trotzdem nur selten eine neue Unterkunft suchen. Die Betroffenen finden oft keine Alternativ-Wohnungen oder sie zahlen einen Teil der Miete aus eigener Tasche.

VON JÜRGEN STOCK


Mönchengladbach/Duisburg Bernhard Drüen hat seit 1999 keine Arbeit mehr. Gemeinsam mit vier seiner fünf Kinder lebt er in einem 147Quadrameter großen Haus im Duisburger Stadtteil Homberg. Die Miete - mehr als 1100 Euro inklusive Nebenkosten - zahlt die Arge (Arbeitsgemeinschaft des Sozialamts und der Arbeitsagentur). Damit liegt der gelernte Bergmann nach eigenen Angaben um 280 Euro über dem Satz, der ihm laut den Hartz-IV-Bestimmungen zusteht. Deshalb schickte ihm die Arge im Herbst 2005 ein Schreiben, in dem sie den Witwer aufforderte, seine Mietkosten zu senken. Das heißt: Drüen sollte sich entweder einen Untermieter suchen oder aus dem im Jahre 1954 gebauten Haus ausziehen. Trotzdem wird der 41-Jährige vorläufig weiterhin in seinen vertrauten vier Wänden wohnen bleiben können. Vor Gericht legte er erfolgreich dar, dass ihm und seinen vier minderjährigen Kindern ein Umzug nicht zuzumuten sei. „In der Nachbarschaft leben Freunde und Verwandte, die mal auf die Kinder aufpassen können, wenn ich nicht da bin“, sagt Drüen. Die Arge muss zunächst zwei Jahre lang weiter die volle Miete übernehmen.


Von den 38886Haushalten, die zu Beginn des vergangenen Jahres in Duisburg Arbeitslosengeld II bezogen, hat die Arge bislang 1600 bis 1700 angeschrieben, deren Miete mehr als 20Prozent über dem Höchstsatz liegt, den die Stadt bezahlt. „Schätzungsweise haben wir in 80 bis 85Prozent der Fälle die Miete gekürzt“, sagt der Duisburger Arge-Chef Peter Scheffler. Genaue Zahlen hat er genau so wenig wie die übrigen Arbeitsgemeinschaften im Lande, die mit einer Software der Arbeitsagentur ausgerüstet sind. Das Programm erlaubt keinen Überblick, wer aufgrund der Aufforderung bereits ausgezogen ist.


All zuviele dürften es nicht sein. Jedenfalls ist deutlich, dass die Befürchtungen von Mieterbund-Chef Franz-Georg Rips weit überzogen sind, der bei Beschluss der Hartz-IV-Gesetze bis zu 500000 Zwangsumzüge prognostiziert hatte.


Tatsächlich muss niemand, der in einer Wohnung lebt, die die Miet-Höchstgrenze überschreitet, ausziehen. Im schlimmsten Fall kürzt die Arge die Miete auf den Höchstsatz. Die Differenz muss der Arbeitslosengeld-Bezieher aus eigener Tasche bezahlen. Manchmal ist das möglich, weil der Betroffene einen Ein-Euro-Job hat oder von Verwandten Geld bezieht. „Überschreitet die Differenzzahlung aber eine gewisse Höhe, ist das ein Fall für den Ermittlungsdienst“, sagt Scheffler. Denn dann liege der Verdacht nahe, dass der Leistungsempfänger Einkünfte verschwiegen hat. In Duisburg komme es aber auch vor, dass Vermieter ihre Miete senken, um den Mieter zu halten.


Nicht nur in Ruhrgebiets-Städten stehen Wohnungen leer. Auch in Mönchengladbach ist die Marktlage für Mieter günstig. Deshalb drängt die örtliche Arge auch darauf, dass Stefan Cürlis sich eine neue Wohnung sucht. Der 44-Jährige, der seit Ende 2002 arbeitslos ist, soll seine zwei Zimmer gegen eine preiswertere Bleibe umtauschen. Die örtliche Arge akzeptiert zwar eine um zehn Prozent zu hohe Miete, doch Cürlis liegt mit 260Euro Kaltmiete um 30Euro über dem Höchstsatz. Trotzdem will er nicht ausziehen: „Kleine Wohnungen sind für diesen Preis in Mönchengladbach praktisch nicht zu finden“, stellt der gelernte Finanzbuchhalter fest. An zwei Wohnungen, die ihm in dieser Preislage angeboten wurden, kann sich Cürlis noch gut erinnern. „Die eine hatte Schimmel, die andere lag im Parterre unmittelbar an einer Bushaltestelle.“ Deshalb will der Single nun gegen die Arge klagen.


Kann er nachweisen, dass in der Stadt kein preiswerter Wohnraum für Singles zur Verfügung steht, hat er gute Chancen, dass die Arge ihm weiterhin die volle Miete zahlen muss. In vielen Städten der Rheinschiene ist preiswerter Wohnraum knapp, ein Umzug deshalb nur schwer durchzusetzen. In Düsseldorf ließ Arge-Chef Peter Lorch im vergangenen Jahr 900 Hartz-IV-Empfänger überprüfen, die in zu großen Wohnungen lebten. Wie viele mussten umziehen? „Nicht viele“, antwortet Lorch.

 

- /VON JÜRGEN STOCK


Quelle:
Verlag: Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH
Publikation: Rheinische Post Düsseldorf
Ausgabe: Nr.79
Datum: Montag, den 03. April 2006
Seite: Nr.3