Bonn kassiert Prostituierte auf dem Straßenstrich ab
|
|
|
|
Publikation |
Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH |
Lokalausgabe |
Rheinische Post Düsseldorf |
Erscheinungstag |
Dienstag, den 30. August 2011 |
Seite |
3 |
Prostituierte in Bonn brauchen fortan Tickets
Die Stadt Bonn bittet die Prostituierten auf dem Straßenstrich zur Kasse: Sie müssen ab sofort ein Ticket ziehen. Sechs Euro pro Nacht sollen sie als Steuer in die Stadtkasse zahlen. Der Ticketautomat, der einem Parkscheinautomaten ähnelt, wurde gestern aufgestellt. "Das dient der Steuergerechtigkeit", sagte eine Sprecherin der Stadt. Denn Prostituierte in festen Etablissements seien ebenfalls steuerpflichtig. Kontrolleure des Steueramts sollen die Einhaltung der Ticketpflicht überprüfen.(dpa)
FR 30.8.11
Bonn: Straßenstrich-Gebühr bald in anderen Städten?
|
|
|
|
Publikation |
Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH |
Lokalausgabe |
Rheinische Post Düsseldorf |
Erscheinungstag |
Mittwoch, den 31. August 2011 |
Seite |
3 |
Die schnelleNummer
Mit einem umgebauten Parkschein-Automaten will man
auf dem Bonner Straßenstrich Steuern kassieren. Doch die Prostituierten haben
ihre Tricks
Von Michael Hedrich
Bonn Der Bonner Straßenstrich hat einen neuen Star. Er steht zwischen zwei
Containern und schluckt Geld. Der Steuerticket-Automat, den die Stadt hier
aufgestellt hat, wurde über Nacht weltweit bekannt. Die New York Times
interessierte sich ebenso für das Ding wie ein Fernsehteam aus Russland. Die
Frauen, die nebenan auf Freier warten, sind vom Rummel offenbar genervt.
"Bei dem ganzen Theater laufen den Mädels die Kunden weg", sagt ein
Mann an der nahegelegenen Frittenbude.
Öffentliches Interesse ist schlecht fürs diskrete Geschäft. Wer hierhin
kommt, will nicht gesehen werden. Die meisten Freier rücken deshalb erst spät
in der Nacht an. Für die Prostituierten dagegen beginnt der Arbeitstag schon
früher.
Ab 20.15 Uhr dürfen sie in Bonn ihrem nächtlichen Tagwerk nachgehen. Davor
müssen sie zahlen: Für sechs Euro spuckt der umgebaute Parkscheinautomat ein
Ticket aus - die Erlaubnis, eine der sechs hölzernen Verrichtungsboxen für ein Stelldichein
mit motorisierten Kunden zu nutzen. Die Uhrzeit wurde auf Wunsch der
Geschäftsleute aus der Umgebung festgelegt, sagt Monika Frömbgen,
Pressesprecherin des Rathauses. Die halten ihre Geschäfte bis 20 Uhr offen und
wollen ihre Kundschaft nicht durch Freier verschrecken. Weil die Prostituierten
keinen Ärger mit den Behörden haben wollen, entrichten die meisten offenbar
ihren Obulus. Und das, obwohl die Geschäfte angeblich
nicht gut laufen und sich auf dem Straßenstrich ohnehin nicht allzu viel verdienen
lassen soll. Immerhin 264 Euro kassierte die Stadt in den ersten drei Nächten
quasi ganz automatisch.
"Die hier stehen, sind doch die Ärmsten", meint der Mann, der
seinen BMW auf dem Kundenparkplatz des benachbarten Eros-Centers geparkt hat.
Er kennt sich scheinbar aus: Die Frauen kämen zum größten Teil aus Osteuropa,
sprächen kaum Deutsch und ließen sich von Freiern oft im Preis herunterhandeln.
20 bis 30 Euro pro Verrichtung seien hier nicht unüblich, sagt er. Viele der
Prostituierten arbeiteten nur kurze Zeit in Deutschland und kehrten dann in
ihre Heimatländer zurück.
Die Fluktuation im Gewerbe ist auch der Stadt bekannt. Der ständige Wechsel
des Personals und die mangelnden Sprachkenntnisse der Frauen machten es nahezu
unmöglich, Einkommensteuer aus dem Straßenstrich zu kassieren. Für den Fiskus
fiel da nichts ab. Seit 28. August sorgt jetzt der umgerüstete
Parkschein-Automat an der Immenburgstraße für Steuergerechtigkeit.
Immerhin wird den Prostituierten dafür auch mehr Sicherheit geboten. Die
Stadt hat an alles gedacht: Direkt neben der Mautstelle gibt es einen Container
mit einem Wachmann, der im Notfall über einen Schalter in der Verrichtungsbox
alarmiert werden kann. Außerdem wurde ein zusätzlicher Container mit
Sanitäranlagen aufgestellt.
Der Ticket-Automat, die Container und die Boxen tragen nicht gerade zur
Attraktivität des Viertels in direkter Nähe der städtischen Müllanlagen bei.
Viel zu sehen gibt es nicht an diesem frühen Abend. Nur wenige Autos kurven
durch das Viertel am westlichen Stadtrand. Einige männliche Autofahrer bremsen
kurz ab, schauen neugierig und fahren dann weiter.
Auch in den abseits gelegenen Verrichtungsboxen scheint nicht viel los zu
sein. Über deren Funktionalität wurde auch im Stadtrat diskutiert: Der
Schallschutz sei mangelhaft, hieß es. Das Treiben in den jeweils benachbarten
Boxen mache sich zeitweilig akustisch störend bemerkbar.
Eine Frau mit kurzem Rock und weißen Stiefeletten steht der Problemlage
offenbar gelassen gegenüber. Gelangweilt zündet sie sich eine Zigarette an. Im
Abstand von rund zwanzig Metern stehen zu dieser frühen Abendstunde nicht mehr
als 15 Gewerbetreibende am Straßenrand. Ihr Alter ist nur schwer einzuschätzen,
doch einige von ihnen dürften die 20 kaum überschritten haben.
Die Stadt rechnet auf Dauer mit mehr Verkehr: Mehr als 20 Frauen sollen an
der Immenburgstraße allabendlich auf den Straßenstrich gehen. Rund 300 000
Euro, so hofft man im Rathaus, sollen pro Jahr durch die neue Einnahmequelle ins chronisch klamme Stadtsäckel fließen.
Aufklärung auf Handzetteln
Zur Aufklärung über die Steuerpflicht wurden mehrsprachige Handzettel unter
den Prostituierten verteilt: Auf "Rumänisch, Polnisch, Türkisch,
Bulgarisch und Englisch", erläutert Monika Frömbgen.
Wer mehrmals kein gültiges Ticket vorweisen kann, wird für die
Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von hundert Euro zur Kasse gebeten.
Schließlich braucht die Stadt Geld.
Denn auch der Straßenstrich ist teuer: Für Grundstückspacht und Bewachung
der Anlagen werden rund 120 000 Euro pro Jahr ausgegeben. Und auch der neue
Automat kostete rund 8 000 Euro. Zwei Mitarbeiter der Stadtverwaltung
wechselten ins Kassen- und Steueramt, um die Einhaltung der Steuerpflicht an
der Immenburgstraße zu überprüfen.
Doch natürlich können die die Kontrolleure nicht permanent vor Ort sein. Und
so haben die Prostituierten angeblich schon ein angepasstes Steuersparmodell
gefunden: Das Ticket wird während der Nacht einfach an nachrückende Kolleginnen
weitergegeben.
DAS TICKET FÜR DIE NACHT
Köln war die erste Stadt bundesweit, die 2004 eine Sexsteuer von sechs Euro
pro Nacht einführte. Zunächst brauchten Kommunen noch eine Genehmigung vom
Innenminister. Die ist inzwischen nicht mehr nötig.Pro
Jahr rechnet man in Bonn mit rund 300 000 Euro. Bei der automatisierten
Steuer-Vorauskasse ist Bonn bundesweit Vorreiter. In Dortmund soll es zwar ein
ähnliches Tagesticket geben, das die Prostituierten in einer nahegelegenen Tankstelle erwerben können, aber keinen
Automaten.
In einer Untersuchung des Ministeriums für Familie und Frauen gaben 46
Prozent der hauptberuflich tätigen Prostituierten an, ihre Einnahmen zu
versteuern, im Gegensatz zu 27 Prozent nebenberuflich tätiger Prostituierter.
FR 5.9.11