Von Daniela Vates
Ein Mann ist auf dem Weg zur Agentur für
Arbeit. Foto: dpa
Das Gesetz ist schon seit 2009 schärfer gefasst:
Paragraf 56 des fünften Sozialgesetzbuches ermöglicht den Jobcentern seither
schärfere Kontrollen von kranken Arbeitslosen. Nun hat die Bundesagentur für
Arbeit (BA) ihre Jobcenter mit Anweisungen ausgestattet, wie das Gesetz
umzusetzen ist. Eine Übersicht:
Muss ein Hartz-IV-Empfänger der Arbeitsagentur
Bescheid sagen, wenn er krank ist?
Ja, denn in dieser Zeit kann er nicht vermittelt werden und auch keine
Termine wahrnehmen. Am besten gleich melden, ab dem dritten Tag ist ein
ärztliches Attest nötig – genauso wie bei Arbeitnehmern in einem Betrieb.
Was ist die Definition für Arbeitsunfähigkeit?
Der Gemeinsame Bundesausschuss der Gesetzlichen Krankenkassen hat
festgelegt: Hartz-IV-Empfänger sind dann
arbeitsunfähig, wenn sie zu krank sind, um länger als drei Stunden täglich zu
arbeiten oder an einer Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen.
Das bekommen Hartz-IV-Empfänger
Wann wird nun kontrolliert?
Der BA-Leitfaden sieht folgendes vor: Jobcenter-Mitarbeiter sollen
misstrauisch werden, wenn ein Arbeitsloser sich häufig für kurze Zeit krank
meldet, meist am Freitag oder Montag, oder direkt nach dem Urlaub krank wird.
Zweifel seien auch angebracht, wenn das Attest von einem Arzt komme, der häufig
Atteste ausstelle und dadurch „auffällig geworden ist“. Verdacht auf Schwänzen
gebe es, wenn ein Arbeitsloser sich immer wieder krank melde, wenn Beratungs-
oder Vorstellungstermine anstehen oder nachdem es Streit mit einem Berater gab.
Die Jobcenter-Mitarbeiter sollen auch auf das Attest-Datum achten – wenn ein
Attest um mehr als zwei Tage rückdatiert sei, könne dies ein Hinweis auf Schummelei sein. Aus Spaziergängen und Einkaufen könne kein
Vorwurf gemacht werden – Kranksein verpflichte nicht zum Betthüten.
Was passiert, wenn das Jobcenter die Krankheit anzweifelt?
Der Berater meldet dies dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK).
Der überprüft den Fall – entweder nach Aktenlage oder durch eine eigene
ärztliche Untersuchung. Fahrtkosten muss das Jobcenter übernehmen.
Was passiert, wenn der MDK gesund schreibt oder ein Attest nicht
anerkennt?
Es greifen die üblichen Leistungs-Kürzungen: Um zehn Prozent, wenn ein
Beratungstermin versäumt, um 30 Prozent, wenn eine Arbeitsstelle nicht
angetreten wurde.
Wie kann man sich wehren?
Abgesehen von einer Klage: Der eigene Arzt kann ein Zweitgutachten
beantragen.
Was ist die Kritik?
Arbeitslosenverbände sprechen von einer Hetzkampagne. Die Kassenärzte
beschweren sich, es werde Misstrauen gegen Ärzte geschürt. Und über Kranke
dürfe nicht nach Aktenlage entschieden werden.
Nach Medienberichten will die Bundesagentur für Arbeit Hartz IV-Empfänger, die häufig krank sind, künftig schärfer
kontrollieren. Foto: Bernd Wüstneck/Archiv
Nürnberg/Berlin. Hartz-IV-Empfänger, die häufig
Jobcenter-Termine oder Vorstellungsgespräche wegen einer Erkrankung platzen
lassen, müssen sich auf schärfere Kontrollen einstellen. Überführten
Blaumachern soll das Arbeitslosengeld gekürzt werden.
Bei einer Häufung von Kurzerkrankungen sind Jobcenter seit dem 1. April
angewiesen, den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einzuschalten. Grundlage
sei eine Vereinbarung zwischen der Bundesagentur, den Kommunen und den
gesetzlichen Krankenkassen, sagte eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit
(BA), die einen entsprechenden Bericht der «Bild»-Zeitung» (Montag) bestätigte.
Es gibt viel Kritik.
Zahlen darüber, wie oft wichtige Termine von Arbeitssuchenden wegen
kurzfristiger Erkrankungen platzen, liegen der Bundesagentur nicht vor. Dass es
solche Fälle gebe, sei aber in den Jobcentern unstrittig, sagte die
BA-Sprecherin. Die Vermittler hätten schon immer die Möglichkeit gehabt, den
Medizinischen Dienst der Krankenkassen einzuschalten. «Mit der Vereinbarung ist
nun der Verfahrensablauf, die Kostenfrage und die Datenübermittlung zwischen
den Jobcentern und Krankenkassen klarer geregelt.»
Formblätter machten eine Gesundheitsprüfung zu einem ernstzunehmenden
Kontrollinstrument - von dem sich die BA eine
präventive Wirkung erhoffe. «Wir sagen den Vermittlern ganz klar: Lasst euch
nicht von Leuten auf der Nase herumtanzen, die immer dann krank sind, wenn wir
mit ihnen etwas vorhaben», sagte die Sprecherin.
Für den Linken-Politiker Klaus Ernst ist die BA-Anordnung «eine Anmaßung und
Ausdruck einer Unkultur des Misstrauens». Die Entscheidung, einen Patienten
krankzuschreiben, treffe immer noch der Arzt und nicht die BA. «Hier wird ganz
offensichtlich nur nach einem zusätzlichen Vorwand gesucht, um Geld
einzusparen», sagte Ernst, der Mitglied im Wahlkampfteam seiner Partei ist.
Linkspartei-Chefin Katja Kipping kündigte in den
Zeitungen der «WAZ»-Gruppe (Dienstag) an, ihre Partei werde «alle juristischen
und politischen Hebel nutzen, um das zu kippen». «Schnüffelei im Ärztezimmer
ist inakzeptabel.»
Auch Grünen-Chefin Claudia Roth kritisierte die verschärften Kontrollen.
«Wir halten das für den falschen Weg», sagte sie in Berlin. «Das Fördern muss
wieder in den Vordergrund, es muss mehr Angebote geben.» Die Grünen plädieren
deshalb dafür, die Sanktionen bis zu einer Reform des Hartz-IV-Systems
auszusetzen.
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas
Köhler, sprach sich ebenfalls gegen die Maßnahmen aus: Die Bundesagentur
sei dabei, «durch bürokratische Kontrollmaßnahmen ungerechtfertigtes Misstrauen
gegen die Ärzteschaft» zu schüren. Atteste und Krankschreibungen würden unter
medizinischen Gesichtspunkten ausgestellt.
Mit den verschärften Kontrollen reagieren die Jobcenter der BA-Sprecherin
zufolge keineswegs auf eine Zunahme von Erkrankungen oder eine auffällige
Häufung fragwürdiger Krankmeldungen unter Hartz-IV-Empfängern.
Im März hätten sich etwa 68 000 von ihnen krankgemeldet - der Höchststand seit
Januar 2012. «Das hängt aber wohl eher damit zusammen, dass in diesem Frühjahr
die Zahl der Erkrankungen in der ganzen Gesellschaft hoch ist.»
Das Erwerbslosenforum Deutschland in Bonn rügte die verschärften
Gesundheitskontrollen als «neue Hetzkampagne» gegen Bezieher von Hartz IV. Sie zeigten, wie unsensibel die Bundesagentur mit
kranken Menschen umgehe, erklärte Sprecher Martin Behrsing.
Gerade Menschen in Armut seien signifikant häufiger krank. (dpa)