»Wir fordern 80 Euro mehr – sofort«

18.09.2010 / Inland / Seite 2Inhalt jw

120 Euro für Ernährung sind zu wenig. Erwerbslose wollen »Krach schlagen, statt Kohldampf schieben«. Demo am 10. Oktober. Ein Gespräch mit Guido Grüner

Interview: Gitta Düperthal

 

Guido Grüner ist aktiv in der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (Also)


Guido Grüner ist aktiv in der Arbeitslosenselbsthilfe OldenburgKrach schlagen, statt
Kohldampf schieben« lautet das Motto der bundesweiten Erwerbslosendemo, die für den 10. Oktober in Oldenburg geplant ist. Wie ist die Lage der Erwerbslosen aktuell und was fordern sie?

Die Lage ist zwiespältig. Einerseits gibt es für Hartz-VI-Bezieher die Bedrohung durch Kürzungen, beispielsweise bei Heizkostenzuschuß und Elterngeld, und ständige Schikanen der Ämter. Erwerbslose nehmen wahr, immer in der Defensive zu sein. Andererseits haben wir in den vergangenen Jahren einiges erkämpft. Kinder aus Familien von Hartz-IV-Betroffenen erhalten mehr Geld. Der monatliche Regelsatz für die Altersgruppe von sechs bis 14 Jahren wurde von rund 215 Euro auf 251 Euro erhöht. Durchgesetzt haben wir auch die jährliche Schulbeihilfe von 100 Euro. Es ist uns gelungen, Begleitung in die Ämter zu organisieren, um herauszuholen, was uns zusteht.

Bei der Demonstration am 10. Oktober werden wir darauf drängen, daß die Mangelernährung endlich aufhört. 3,94 Euro pro Tag für einen Erwachsenen, das ist skandalös. Rund 120 Euro monatlich für Ernährung sind zu wenig, wir müssen mindestens 200 Euro haben. Wir fordern deshalb 80 Euro mehr –sofort. Die politische Absicht der Bundesregierung hinter der Verarmung der Erwerbslosen ist leicht zu durchschauen: Wer Hungerlöhne durchdrücken will, muß Hunger erzeugen.

Müssen Erwerbslose tatsächlich hungern?

Der Boom der Tafeln zeigt, daß ausreichende Ernährung nur noch über Almosen gewährleistet werden kann. Viele Leute brechen sogar Müllcontainer von Supermärkten auf, um an Lebensmittel zu gelangen. Die sind inzwischen fast durchgängig verschlossen. Auf Mitarbeiter der Discounter wird Druck ausgeübt, daß das so bleibt. Falls sie sich nicht daran halten sollten, wird mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht. All das hat System. Hartz-IV-Bezieher müssen bei Billigdiscountern einkaufen, die wiederum beuten ihre Mitarbeiter extrem aus.

Warum findet die Aktion der Erwerbslosen ausgerechnet in Oldenburg statt?

Das Netzwerk der Erwerbsloseninitiativen hat lange diskutiert, wo wir die Demo veranstalten: Trauen wir uns zu, genug Leute auf die Straße zu bekommen? Wir hatten beschlossen, sie nicht in Berlin zu machen, weil sie dort untergehen könnte, wenn man nicht eine Million Teilnehmer hat. In Oldenburg haben wir eine gute Vernetzung aktiver Erwerbsloser, deshalb können wir gut mobilisieren. Und wir haben Bündnisse, zum Beispiel mit den Milchbauern, die für »faire Milch« auf die Straße gehen. Wir wollen uns nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen. Motto: Ihr Milchbauern müßt euch runterhandeln lassen, damit die Erwerbslosen mit ihren knapp vier Euro sich täglich Milch leisten können. Das Gleiche gilt im übrigen für die unterbezahlten Discounter-Mitarbeiter. Dumping-Wettbewerb lehnen wir ab, deshalb schließen wir uns zusammen.

Ende August ist die Zeitung Extrablatt mit 200000 Exemplaren gedruckt worden …

Wir verteilen das Extrablatt über unsere Initiativen bundesweit in Stadtteilen, wo Geringverdienende leben, aber auch über Gewerkschaftsgruppen und andere lokale Unterstützer. Wir legen Wert auf Allgemeinverständlichkeit. Auch der Nichtfachmann für Armutspolitik soll uns verstehen können. Im Internet kann man sich die Zeitung unter www.erwerbslos.de anschauen. Sie enthält praktische Tipps für Hartz-IV-Bezieher: Wo kann ich mich informieren? Welche Ansprüche kann ich geltend machen? Wie kann ich mich gegen Verweigerungen des Amtes zur Wehr setzen?

Die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen und ver.di unterstützen die Demonstration. Wie läuft die Zusammenarbeit?

Wir arbeiten zusammen, um eine Solidarisierung hinzubekommen. Sicherlich haben wir als Aktive in der Erwerbslosenbewegung teilweise eine andere Einschätzung des Kapitalismus als viele Gewerkschafter. Wir sagen: Wir müssen von unten eine kluge Basisbewegung schaffen, die selber aktiv die Gesellschaft verändern will. Da kann es nicht angehen, daß nur noch wenige für große Konzerne tätige Teile der Arbeiterklasse relativ gut bezahlt – und so politisch bei der Stange gehalten werden.
www.Krach-statt-Kohldampf.de

http://www.jungewelt.de/2010/09-18/054.php