Erfolgreich umverteilen

Ein Projekt in Namibia mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zeigt: Armut lässt sich so wirksam bekämpfen - und das global. Von Herbert Jauch und Dagmar Paternoga

Die Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander - in Deutschland, aber auch global gesehen. Mit dem ersten bundesweiten Aktionstag des Bündnisses Umfairteilen - dem zivilgesellschaftliche Organisationen wie Attac angehören - ist es im Herbst 2012 gelungen, die gesellschaftliche Debatte über Umverteilung neu anzustoßen. Weniger Beachtung findet bisher der Aspekt globaler Umverteilung und Armutsbekämpfung. Ein erfolgreiches Pilotprojekt in Namibia zeigt, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen Hunger und Armut rasch und wirkungsvoll lindern kann.

Im Jahr 2002 schlug eine von der namibischen Regierung eingesetzte Steuerkommission ein landesweites Grundeinkommen als die wirksamste Strategie vor, um die weit verbreitete Armut im Land anzugehen. Das Grundeinkommen wäre für Namibia bezahlbar und würde die enormen sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten nachhaltig verringern. Sie führte aus, dass Namibia über einen Einnahmespielraum von an die fünf Prozent des Staatshaushalts verfüge, wenn es geltende Steuergesetze umsetzte. Ein Grundeinkommen würde den Etat dagegen mit weniger als vier Prozent belasten, wenn es mit einer Abgabe für jene Haushalte kombiniert würde, die es nicht benötigen.

Doch die namibische Regierung zögerte - nicht zuletzt aufgrund auswärtigen Drucks. Internationale Finanzinstitutionen ebenso wie einige Regierungen intervenierten mehrfach gegen die Idee eines Grundeinkommens in dem afrikanischen Staat. Deshalb bildete sich ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis, das die Regierung ermutigen wollte, ein Grundeinkommen einzuführen. Dabei waren Kirchen, Gewerkschaften, Jugendorganisationen, Aids-Organisationen und andere NGOs.

Weitere Diskussionen mit der Regierung blieben jedoch ergebnislos. Daher beschloss das Bündnis, selbst ein Pilotprojekt in Otjivero, einem Dorf von etwa 1 000 Einwohnern, zu starten. Alle Dorfbewohner erhielten in den Jahren 2008 und 2009 ein aus Spenden finanziertes Grundeinkommen. Trotz des niedrigen Betrags von nur 100 Namibia-Dollar (etwa zehn Euro) monatlich hatte die Maßnahme nachhaltige Wirkungen: Der Gesundheitszustand der Einwohner verbesserte sich deutlich, Unterernährung, vor allem bei Kindern, verschwand fast völlig, es gab einen signifikanten Rückgang von Kriminalität, die schulischen Leistungen der Kinder verbesserten sich stark.

Da das Grundeinkommen es nicht nur einigen Dorfbewohnern ermöglichte, eigene Kleinbetriebe aufzubauen, sondern gleichzeitig auch Nachfrage schuf, konnten diese meist auch überleben. Ein interessantes Detail zeigt die wirtschaftsbelebende Wirkung des Grundeinkommens deutlich: Bald nach seiner Einführung in Otjivero eröffnete die Namibische Post ein Büro in dem Dorf, das vorher von jeglicher Infrastruktur abgeschnitten war - nicht ohne anzukündigen, dies in jedem Ort Namibias zu tun, sollte das Grundeinkommen landesweit eingeführt werden.

Das blieb leider aus, und das Spendenprojekt ist inzwischen an seine Grenzen gekommen. Doch der Pilotversuch in Otjivero hat gezeigt, wie wirksam ein bedingungsloses Grundeinkommen als Instrument der Umverteilung und Armutsbekämpfung sein kann. Die namibische Erfahrung ist vor allem für Entwicklungsländer von Relevanz. Bedingungslose Sozialgeldtransfers sind eine einfache und leicht handhabbare Möglichkeit für systematische Umverteilungsmaßnahmen.

Das Modell eines Basic Food Income, also eines Mindesteinkommens gegen den Hunger, wie es die internationale Menschenrechtsorganisation Fian entwickelt hat und dem das namibische Projekt entsprach, steht bei diesen Überlegungen im Zentrum. Gerade auf dem afrikanischen Kontinent, auf dem die meisten Hungernden weltweit leben, wäre seine Einführung die wirkungsvollste und schnellste Maßnahme zur Beseitigung des Hungers. Es würde die kleinbäuerliche Landwirtschaft und die lokalen Märkte in Afrika stärken.

Seine Finanzierung könnte außer auf nationale Ressourcen auch auf internationale Steuern zurückgreifen. Jacques Chirac brachte als französischer Staatspräsident ein interessantes Modell dafür ins Gespräch, als er 2004 nach der Tsunami-Katastrophe in Südostasien vorschlug, die Wiederaufbauhilfe aus einer globalen Flugverkehrsabgabe zu bezahlen. Doch auch die Industrieländer stehen unter anderem wegen des Klimawandels vor großen strukturellen Herausforderungen und benötigen eine Umverteilung des Reichtums von oben nach unten. Auch hier wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen ein Mittel zur Transformation in eine soziale und ökologisch gerechtere Gesellschaft.

Herbert Jauch gehört zum Afrikanischen Netzwerk zur Arbeitsforschung und hat die Ergebnisse des Grundeinkommensprojekts in Otjivero untersucht, Dagmar Paternoga hat mehrere Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet.

Der zweite bundesweite Umfairteilen-Aktionstag findet am 13. April statt. FR 4.4.13

http://www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-zum-grundeinkommen-erfolgreich-umverteilen,1472602,22273442.html

 

 

Gastbeitrag

Zu wunderbar, um wahr zu sein

Das Team, das in einem Dorf in Namibia ein Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen machte, lobt es als Erfolg. Doch davon kann keine Rede sein. Von Rigmar Osterkamp

Im Januar 2008 wurde in Otjivero, einem kleinen Ort in Namibia, 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Windhuk, erstmals ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgezahlt, das Basic Income Grant, kurz: BIG. Hintergrund dieses Projekts waren die Armut eines großen Teils der Namibier und das hohe Maß an Ungleichheit in der Einkommensverteilung.

Das Projekt sah sich als Pilotprojekt für die spätere Einführung eines landesweiten BIG, finanziert durch erhöhte Einkommensteuern. Dass Armut und Ungleichheit dadurch gemindert würden, galt als sicher. Aber wie sieht es mit der langfristigen Wirkung aus? Muss man befürchten, dass ein BIG die wirtschaftliche Entwicklung verlangsamt und daher die Menschen mit Grundeinkommen zukünftig ärmer sind als ohne? Diese Befürchtung steht zumindest hinter der verbreiteten Ansicht, dass ein Grundeinkommen die Menschen faul mache und ihre Initiative lähme.

Diese Ansicht ist auch in Namibia verbreitet und wird von der Regierung geteilt. Daher hatte sich das BIG-Projekt die Aufgabe gestellt, diese Ansicht durch eine praktische Demonstration zu widerlegen. Die Mittel für die Durchführung des Projekts stammten vor allem von der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal und von zwei evangelischen Landeskirchen aus Nordrhein-Westfalen. Zudem unterstützt die Friedrich-Ebert-Stiftung das Projekt. 2008 und 2009 wurden pro Person und Monat umgerechnet etwa 10 Euro ausbezahlt. Dadurch erhöhte sich das Pro-Kopf-Einkommen um etwa ein Drittel. Ab 2010 wurde das BIG auf 8 Euro reduziert. Die monatlich notwendigen Mittel kamen am Ende oft von Einzelspendern aus Deutschland, die mit dem BIG in Namibia auch ein Grundeinkommen in Deutschland unterstützen wollen. Mangels Spendeneingang ist das BIG im September 2012 das letzte Mal ausgezahlt worden.

Bereits innerhalb der ersten 12 Monate mit BIG sollen laut den Projektteams in Otjivero Entwicklungen eingetreten sein, die die kühnsten Hoffnungen von Befürwortern eines Grundeinkommens übertreffen. Das Geld sei von den Bürgern verantwortungsvoll eingesetzt worden. Sie hungerten weniger, Kinder hätten deutlich seltener Untergewicht, der kostenpflichtige Schulbesuch habe sich ebenso verbessert wie die ebenfalls kostenpflichtige Inanspruchnahme des Gesundheitszentrums. Das BIG habe die Bürger nicht faul gemacht, sondern zu wirtschaftlichen Aktivitäten motiviert. Schulden wurden zurückgezahlt, die Sparquote eines durchschnittlichen Haushalts sei auf 38 Prozent gestiegen, kleine selbstständige Existenzen seien gegründet worden, die Wachstumsrate der Einkommen in Otjivero habe 29 Prozent erreicht.

Diese Entwicklungen sind wunderbar - falls sie stattgefunden haben. Doch einige angebliche Entwicklungen sind wenig plausibel, etwa eine Sparquote von 38 Prozent oder ein nachhaltiges Einkommenswachstum von 29 Prozent. Es kommen methodische Mängel hinzu. Das Projektteam hatte sich nach außen abgeschottet. Es bestand ausschließlich aus Befürwortern eines Grundeinkommens; die Daten sind Außenstehenden nicht zugänglich; eine wissenschaftliche Konferenz über die Vorgehensweise des Projekts und seine Ergebnisse hat nicht stattgefunden. Ein Methodenfehler besonderer Art ist, dass die Entwicklungen lediglich für das ersten Projektjahr 2008 untersucht wurden. Evaluierungen für die Jahre 2009 und 2010 waren zwar angekündigt, fanden aber nicht statt - oder wurden nicht veröffentlicht. Ergebnisse, die auf einer methodisch derart schwachen Basis beruhen, besitzen keine Beweiskraft.

Hat sich die Lage in Otjivero in den viereinhalb Jahren mit BIG dennoch verbessert? Fachgerechte Evidenz darüber gibt es nach wie vor nicht. Aber es gibt Berichte. Im Mai 2012 hat ein Journalist der deutschsprachigen Allgemeinen Zeitung mit dem stellvertretenden Dorf-Chef gesprochen. Dieser wurde zitiert mit den Worten: "Seit zwei Jahrzehnten sitzen wir hier ohne Arbeit, Entwicklung und Aussichten." Vom BIG und seiner dynamisierenden Wirkung hat er nichts gesagt.

Ich war zuletzt im März 2013 vor Ort und konnte mit dem Dorf-Chef und seinem Stellvertretender sprechen. Mein Eindruck ist: Das BIG hat keine bleibenden Spuren hinterlassen. Von einem Aufschwung oder gar einem sich selbst tragenden Aufschwung kann keine Rede sein. Die Bürger sehen sich als Versuchskaninchen. Sie haben sich mit dem Ende des BIG zwar abgefunden, meinen aber, dass jetzt endlich bei ihnen ein Projekt durchgeführt werden sollte, das wirklich Einkommen und Beschäftigung schafft.

Mit dem Geld, das in das BIG-Experiment gesteckt wurde, hätte man viele solcher Projekte finanzieren können. Mit einem fachgerecht durchgeführten BIG-Projekt hätte man wenigstens die BIG-Idee stärken können. Beides wäre "Fairteilen" mit Sachkenntnis gewesen.

Rigmar Osterkamp hat von 2007 bis 2011 Wirtschaft an der Universität von Namibia gelehrt und das BIG-Projekt mit kritischen Analysen begleitet. FR 25.4.13