26.03.2003 NRZ Hat der Richter gelogen?
STADTVERWALTUNG / Joachim Erwin betreibt Juristenschelte: "Eine schlichtweg falsche Darstellung." Er droht Konsequenzen an. Für das Sozialamt will der OB jetzt eine Doppelspitze.
"Bei uns stapeln sich 4500 Anträge. Ich weiß nicht, wie wir die in absehbarer Zeit bewältigen sollen", klagte gestern ein Mitarbeiter aus einem Service-Center, das sich um die Renten-Sicherung kümmert, auf der Personalversammlung. 30 freie Stellen im Sozialamt moniert der Personalrat. Doch Joachim Erwin lässt solche Kritik nicht gelten. Das Schreiben von Verwaltungsrichter Erich Schaefer, der eine "katastrophale Unterbesetzung der Zweigstellen" und "rechtswidrige Verwaltungspraxis" anprangerte, bezeichnet der OB als eine "schlichtweg falsche Darstellung". Hat der Richter gelogen? Erwin kündigte jedenfalls an, gegen ihn "Schritte in die Wege zu leiten".
 Obwohl im Sozialamt folglich alles korrekt ablaufe, will er der Behörde (551
 Stellen) einen neuen Zuschnitt verpassen, mit einer Doppelspitze. Nicht nur, dass
 sein Referent Roland Buschhausen Vorgänger Rainer Rohstock kommissarisch
 als Amtschef abgelöst hat. Ihm soll ein Mitarbeiter aus dem
 Rechnungsprüfungsamt zur Seite gestellt werden, also ein "Controller" den
 Fachmann ergänzen. "Betriebswirtschaftliche Kenntnisse werden helfen, die
 Beherrschbarkeit des Amtes wieder herzustellen", so Erwin. Diese Lösung stellt
 sich der OB auch fürs Jugendamt vor. Dessen Leiter Richard Isselhorst geht Ende
 Juni in Teilzeitrente.

Abschied von der zweiten Heimat
Erwin zieht auch in Erwägung, die strenge Budgetierung für die Ämter
 aufzuheben. So könnte über die Vergabe von Geldern je nach Sachlage
 entschieden werden.
Der Oberbürgermeister begründete seine Richterschelte so: Nur in einem von
 neun Fällen sei dem gerichtlichen Antrag auf Zahlung von Sozialhilfe stattgegeben
 worden - in einer läppischen Höhe von monatlich 68 Cent. Von einer Häufung sei
 keine Rede. Trotzdem musste Rainer Rohstock wegen dieses Schreibens seinen
 Hut nehmen, weil er es nicht "nach oben" weitergab. Das wird nicht bestritten.
 Rohstock, der vor 40 Jahren bei der Verwaltung anfing, war gestern quasi als
 Privatmann im Büro - um seinem kommissarischen Nachfolger Hilfe beim Einstieg
 zu leisten. Seinen Abschied von langjährigen Kollegen - das Amt war für
 Rohstock wie eine zweite Heimat - will er dennoch Ende April feiern, ein
 bisschen.
Erwins Drohung, gegen den Richter "wegen unangemessenen Verhaltens
 Schritte zum Schutz der Verwaltung zu ergreifen", hat man beim
 Verwaltungsgericht mit großer Gelassenheit vernommen. "Hier hat ein Richter
 eine Entwicklung beobachtet und darüber den zuständigen Mitarbeiter im Amt in
 Kenntnis gesetzt. Das ist ein normaler Vorgang", sagte
 Verwaltungsgerichts-Sprecher Werner Mecking.
Derweil hagelte es heftige Kritik an der Abservierung von Rohstock. Viele
 Mitarbeiter bekundeten ihre Solidarität mit dem langjährigen Amtsleiter. "Wie keinen
 anderen habe ich ihn im Kampf gegen soziale Kälte erlebt. Er hat es immer wieder
 mit viel Mut, Fantasie und Flexibilität geschafft, die anstehenden Probleme trotz
 Sparzwangs und anderer Widrigkeiten zu lösen", schreibt ein langjähriger
 Weggefährte.
RÜDIGER HOFF

NRZ.25.03.2003
Wirbel ums Sozialamt
PERSONALENGPASS / Erwin weist Vorwurf der "rechtswidrigen Verwaltungspraxis" zurück. Trotzdem nimmt Behördenleiter Rohstock heute seinen Hut. OB-Referent Buschhausen wird Nachfolger.
Von einem eklatanten Personalengpass und unhaltbaren Zuständen im Sozialamt will Joachim Erwin nichts wissen. "Wir haben die interne Situation im Griff", ließ der OB über den städtischen Pressedienst verbreiten. Kaum verständlich deshalb: Sozialamtsleiter Rainer Rohstock (62) nimmt schon heute seinen Hut. Ursprünglich wollte er erst Ende nächsten Monats in Teilzeitrente gehen. Mit sofortiger Wirkung hat Erwin seinen Referenten Roland Buschhausen zum kommissarischen Behördenleiter bestellt. Gegen den ist bekanntlich ein Ermittlungsverfahren wegen Behinderung einer Roma-Demo vor dem Rathaus anhängig.
Rohstock war gestern von einer Tagung zurückbeordert worden. Laut Erwin sei mit ihm einvernehmlich vereinbart worden, seinen Posten noch heute aufzugeben.
Für große Unruhe im Rathaus hat der gestern in der NRZ veröffentlichte Brief des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht, Erich Schaefer, gesorgt. Darin prangert er die "katastrophale Unterbesetzung" und "rechtswidrige Verwaltungspraxis" im Sozialamt an. Er schreibt von immer mehr Verfahren, bei denen völlig mittellose Antragsteller klagen, weil sie bis zu sechs Wochen auf einen Termin warten müssen.
Erwin ließ dazu verlauten: Nur in einem von 24 Fällen sei die Stadt zur Nachzahlung von Sozialhilfe wegen Terminverspätung verurteilt worden. Deshalb sei der Eindruck, die Stadt hätte in einer Vielzahl von Fällen rechtswidrig gehandelt, "offenbar unzutreffend". Der OB kritisiert auch, dass der Richter den Brief an einen Mitarbeiter und nicht an die Stadtspitze geschickt habe. Zur Bearbeitung der Anträge für die neu eingeführte Grundsicherung der Rente habe man außerdem zusätzliche Mitarbeiter eingesetzt.
Für das Sozialamt- und Dezernat gab´s gestern einen Maulkorb. Gregor Andreas Geiger, seit Rosenmontag Chef im Presseamt, sollte Erwins Auffassung weitergeben. Der schaffte es aber gerade mal, gegen 19 Uhr ein 29-Zeilen-Fax zu schicken, das Fragen offen ließ. Geiger und sein OB waren anschließend für die NRZnicht mehr zu erreichen.
"Natürlich weiß Erwin um den eklatanten Personalengpass im Sozialamt. Gerade Rainer Rohstock hat auf die Defizite immer wieder hingewiesen. Dass er jetzt auf diese Weise geht, hat er nicht verdient", betonte SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Annette Steller.
24.03.2003 RÜDIGER HOFF
 
 

RP Dienstag, 25.03.2003
Sozialamtschef nahm seinen Hut - Von MATTHIAS ROSCHER
Der Streit um die personelle Besetzung des Düsseldorfer Sozialamtes hat gestern eine überraschende Wendung genommen. Rainer Rohstock, seit 1982 Chef der Behörde, räumt heute seinen Schreibtisch, kommissarischer Leiter ist mit sofortiger Wirkung der bisherige Referent von Oberbürgermeister Joachim Erwin, Roland Buschhausen. In der offiziellen Mitteilung der Stadt hieß es gestern Abend, mit Rainer Rohstock sei über dessen vorzeitiges Ausscheiden "Einvernehmen erzielt" worden. Die Umstände des Abschieds - Rostock wäre am 30. April in den Ruhestand gegangen - und die Einsetzung des OB-Referenten werden die Wellen in der heutigen Personalversammlung der Verwaltung hochgehen lassen.
Hintergrund: Offensichtlich mit Blick auf diese Sitzung wurde der Brief eines Verwaltungsrichters, in dem der Stadtverwaltung "massisves Organisationsverschulden" und eine "grob rechtswidrige Verwaltungspraxis" bescheinigt wurde, zurückgehalten und am Wochenende in die Öffentlickeit lanciert. Von diesem Schreiben hatten weder der zuständige Beigeordnete Werner Leonhardt noch Oberbürgermeister Joachim Erwin Kenntnis. Adressiert worden war der Brief nach Aussagen Erwins an einen Mitarbeiter des Amtes, der den Inhalt zunächst für sich behalten habe. Für Rohstock wurde diese Angelegenheit zum Problem, als er seine Chefs, Beigeordneter Werner Leonhardt und OB Joachim Erwin, ebenfalls nicht informierte, als er davon Kenntnis erhielt.
In der Sache weist Erwin die Kritik des Verwaltungsrichters zurück. Es gebe kein Organisationsverschulden. Von den in diesem Jahr als Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht verhandelten Fällen wegen Nichtgewährung der Sozialhilfe sei die Stadt nur einmal zur Nachzahlung wegen verspäteter Termingewährung verurteilt worden. Dem stünden mehr als 1300 Erstanträge gegenüber. Der Rheinischen Post sagte Erwin, dass nach erfolgter Stellenausschreibung bis Juni Klarheit über die neue Amtsleitung herrsche.

RP 25.3.03
Kommentar
Erst Spielball, dann Opfer
Von MATTHIAS ROSCHER
"Angesichts der Gesamtsituation im Sozialamt wurde mit dessen Leiter, Rainer Rohstock, Einvernehmen darüber erzielt, dass er bereits am 25. März aus dem Dienst der Stadt Düsseldorf ausscheidet." Man muss nicht Arbeitsrecht gelernt haben, um den Inhalt dieses Satzes richtig zu deuten. Rohstock, seit 40 Jahren im Amt und 20 Jahre lang dessen untadeliger Chef, hat diesen Abgang nicht verdient. Dennoch muss er seinen Hut nehmen, weil ihm auf den letzten Metern in den Ruhestand ein kaum nachvollziehbarer Fehler unterlief. Warum er den Brief eines Verwaltungsrichters - mit oder ohne berechtigter Kritik - seinen Vorgesetzten verschwieg, bleibt sein Geheimnis. Oberbürgermeister Erwin kann nicht so tun, als wäre in der Sozialverwaltung alles in Butter. Seit zehn Monaten vertritt der bedauernswerte Ordnungs- und Verkehrsdezernent den erkrankten Kollegen Sozialdezernent. Und vor sechs Wochen erst hatte der Sozialamtsleiter wegen der Arbeitslast seiner Mitarbeiter im Fachausschuss öffentlich Alarm geschlagen. In jeder Stadt der Welt ist eine Sozialverwaltung Spielball der Interessen. In Düsseldorf jonglierten damit viel zu lange die Sozialdemokraten. Erwin stößt bei seinem Entschluss, dies zu ändern, auf erbitterten Widerstand. Dass ausgerechnet Rainer Rohstock unvermittelt zwischen die Fronten geriet, macht ihn zum traurigen Bauernopfer.
 

Express 24.3.03 - Richter rügt Schlendrian im Sozialamt - Stadt agiert grob rechtswidrig - Von BODO FUHRMANN
Düsseldorf – Rote Karte für OB Erwin. Ein Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht rügt Düsseldorfs Rathaus-Chef, weil es in „seinem“ Sozialamt nicht klappt. Akten schmoren ewig. Gelder an Bedürftige werden nicht ausgezahlt. Der Richter spricht von „grob rechtswidriger“ Praxis. Und Erwin tobt.  Das EXPRESS vorliegende Schreiben ist mehr als ein „blauer Brief“. Verwaltungschef Erwin wird hier ein glattes „Ungenügend“ bescheinigt. Da ist die Rede von „katastrophaler Unterbesetzung“ des Sozialamtes. Geradezu menschenverachtend: Ausgerechnet die Anträge von „völlig Mittellosen“ würden auf die lange Bank geschoben. Wer nicht verhungern wolle, müsse sich erst mit Hilfe von teuren Anwälten - Honorare auch noch zu Lasten der Stadt – beim Sozialgericht sein Recht holen. Wörtlich: „Die zuständigen Richter beobachten diese Entwicklung mit größter Sorge.“ Dann das vernichtende Urteil: „Diese Praxis ist grob rechtswidrig. Der Stadtverwaltung ist massives Verschulden anzulasten.“ Das Peinliche an dieser Rüge: Auch das Oberverwaltungsgericht in Münster erhielt eine Kopie. Nur Erwin nicht, obwohl er ausdrücklich als Adressat genannt ist. „Ich weiß von nichts“, tobte Erwin auf Nachfrage. Aber er will „jetzt gnadenlos aufklären. Und dann rollen Köpfe. Denn ich lasse mich doch nicht in aller Öffentlichkeit derart vorführen.“ Was Erwin vor allem so auf die Palme treibt: „Niemand in diesem Sozialamt hat mich auf derartige Schlampereien hingewiesen. Ich hätte sie sofort abgestellt.“ Im Amt selbst hält man sich bedeckt. Doch Ratsfrau Annette Steller (SPD) kritisiert Erwin: „Wir haben im zuständigen Ausschuss die Verwaltung mehrfach aufgefordert, diese Missstände abzustellen. Aber Erwin reagiert wohl nur, wenn ihm Richter was um die Ohren hauen.“