Abschied von der zweiten Heimat
Erwin zieht auch in Erwägung, die strenge Budgetierung für
die Ämter
aufzuheben. So könnte über die Vergabe von Geldern
je nach Sachlage
entschieden werden.
Der Oberbürgermeister begründete seine Richterschelte so:
Nur in einem von
neun Fällen sei dem gerichtlichen Antrag auf Zahlung von
Sozialhilfe stattgegeben
worden - in einer läppischen Höhe von monatlich 68
Cent. Von einer Häufung sei
keine Rede. Trotzdem musste Rainer Rohstock wegen dieses Schreibens
seinen
Hut nehmen, weil er es nicht "nach oben" weitergab. Das wird
nicht bestritten.
Rohstock, der vor 40 Jahren bei der Verwaltung anfing, war gestern
quasi als
Privatmann im Büro - um seinem kommissarischen Nachfolger
Hilfe beim Einstieg
zu leisten. Seinen Abschied von langjährigen Kollegen -
das Amt war für
Rohstock wie eine zweite Heimat - will er dennoch Ende April
feiern, ein
bisschen.
Erwins Drohung, gegen den Richter "wegen unangemessenen Verhaltens
Schritte zum Schutz der Verwaltung zu ergreifen", hat man beim
Verwaltungsgericht mit großer Gelassenheit vernommen. "Hier
hat ein Richter
eine Entwicklung beobachtet und darüber den zuständigen
Mitarbeiter im Amt in
Kenntnis gesetzt. Das ist ein normaler Vorgang", sagte
Verwaltungsgerichts-Sprecher Werner Mecking.
Derweil hagelte es heftige Kritik an der Abservierung von Rohstock.
Viele
Mitarbeiter bekundeten ihre Solidarität mit dem langjährigen
Amtsleiter. "Wie keinen
anderen habe ich ihn im Kampf gegen soziale Kälte erlebt.
Er hat es immer wieder
mit viel Mut, Fantasie und Flexibilität geschafft, die anstehenden
Probleme trotz
Sparzwangs und anderer Widrigkeiten zu lösen", schreibt
ein langjähriger
Weggefährte.
RÜDIGER HOFF
NRZ.25.03.2003
Wirbel ums Sozialamt
PERSONALENGPASS / Erwin weist Vorwurf der "rechtswidrigen Verwaltungspraxis"
zurück. Trotzdem nimmt Behördenleiter Rohstock heute seinen Hut.
OB-Referent Buschhausen wird Nachfolger.
Von einem eklatanten Personalengpass und unhaltbaren Zuständen
im Sozialamt will Joachim Erwin nichts wissen. "Wir haben die interne Situation
im Griff", ließ der OB über den städtischen Pressedienst
verbreiten. Kaum verständlich deshalb: Sozialamtsleiter Rainer Rohstock
(62) nimmt schon heute seinen Hut. Ursprünglich wollte er erst Ende
nächsten Monats in Teilzeitrente gehen. Mit sofortiger Wirkung hat
Erwin seinen Referenten Roland Buschhausen zum kommissarischen Behördenleiter
bestellt. Gegen den ist bekanntlich ein Ermittlungsverfahren wegen Behinderung
einer Roma-Demo vor dem Rathaus anhängig.
Rohstock war gestern von einer Tagung zurückbeordert worden. Laut
Erwin sei mit ihm einvernehmlich vereinbart worden, seinen Posten noch
heute aufzugeben.
Für große Unruhe im Rathaus hat der gestern in der NRZ veröffentlichte
Brief des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht, Erich Schaefer,
gesorgt. Darin prangert er die "katastrophale Unterbesetzung" und "rechtswidrige
Verwaltungspraxis" im Sozialamt an. Er schreibt von immer mehr Verfahren,
bei denen völlig mittellose Antragsteller klagen, weil sie bis zu
sechs Wochen auf einen Termin warten müssen.
Erwin ließ dazu verlauten: Nur in einem von 24 Fällen sei
die Stadt zur Nachzahlung von Sozialhilfe wegen Terminverspätung verurteilt
worden. Deshalb sei der Eindruck, die Stadt hätte in einer Vielzahl
von Fällen rechtswidrig gehandelt, "offenbar unzutreffend". Der OB
kritisiert auch, dass der Richter den Brief an einen Mitarbeiter und nicht
an die Stadtspitze geschickt habe. Zur Bearbeitung der Anträge für
die neu eingeführte Grundsicherung der Rente habe man außerdem
zusätzliche Mitarbeiter eingesetzt.
Für das Sozialamt- und Dezernat gab´s gestern einen Maulkorb.
Gregor Andreas Geiger, seit Rosenmontag Chef im Presseamt, sollte Erwins
Auffassung weitergeben. Der schaffte es aber gerade mal, gegen 19 Uhr ein
29-Zeilen-Fax zu schicken, das Fragen offen ließ. Geiger und sein
OB waren anschließend für die NRZnicht mehr zu erreichen.
"Natürlich weiß Erwin um den eklatanten Personalengpass
im Sozialamt. Gerade Rainer Rohstock hat auf die Defizite immer wieder
hingewiesen. Dass er jetzt auf diese Weise geht, hat er nicht verdient",
betonte SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Annette Steller.
24.03.2003 RÜDIGER HOFF
RP Dienstag, 25.03.2003
Sozialamtschef nahm seinen Hut - Von MATTHIAS ROSCHER
Der Streit um die personelle Besetzung des Düsseldorfer Sozialamtes
hat gestern eine überraschende Wendung genommen. Rainer Rohstock,
seit 1982 Chef der Behörde, räumt heute seinen Schreibtisch,
kommissarischer Leiter ist mit sofortiger Wirkung der bisherige Referent
von Oberbürgermeister Joachim Erwin, Roland Buschhausen. In der offiziellen
Mitteilung der Stadt hieß es gestern Abend, mit Rainer Rohstock sei
über dessen vorzeitiges Ausscheiden "Einvernehmen erzielt" worden.
Die Umstände des Abschieds - Rostock wäre am 30. April in den
Ruhestand gegangen - und die Einsetzung des OB-Referenten werden die Wellen
in der heutigen Personalversammlung der Verwaltung hochgehen lassen.
Hintergrund: Offensichtlich mit Blick auf diese Sitzung wurde der Brief
eines Verwaltungsrichters, in dem der Stadtverwaltung "massisves Organisationsverschulden"
und eine "grob rechtswidrige Verwaltungspraxis" bescheinigt wurde, zurückgehalten
und am Wochenende in die Öffentlickeit lanciert. Von diesem Schreiben
hatten weder der zuständige Beigeordnete Werner Leonhardt noch Oberbürgermeister
Joachim Erwin Kenntnis. Adressiert worden war der Brief nach Aussagen Erwins
an einen Mitarbeiter des Amtes, der den Inhalt zunächst für sich
behalten habe. Für Rohstock wurde diese Angelegenheit zum Problem,
als er seine Chefs, Beigeordneter Werner Leonhardt und OB Joachim Erwin,
ebenfalls nicht informierte, als er davon Kenntnis erhielt.
In der Sache weist Erwin die Kritik des Verwaltungsrichters zurück.
Es gebe kein Organisationsverschulden. Von den in diesem Jahr als Eilverfahren
vor dem Verwaltungsgericht verhandelten Fällen wegen Nichtgewährung
der Sozialhilfe sei die Stadt nur einmal zur Nachzahlung wegen verspäteter
Termingewährung verurteilt worden. Dem stünden mehr als 1300
Erstanträge gegenüber. Der Rheinischen Post sagte Erwin, dass
nach erfolgter Stellenausschreibung bis Juni Klarheit über die neue
Amtsleitung herrsche.
RP 25.3.03
Kommentar
Erst Spielball, dann Opfer
Von MATTHIAS ROSCHER
"Angesichts der Gesamtsituation im Sozialamt wurde mit dessen Leiter,
Rainer Rohstock, Einvernehmen darüber erzielt, dass er bereits am
25. März aus dem Dienst der Stadt Düsseldorf ausscheidet." Man
muss nicht Arbeitsrecht gelernt haben, um den Inhalt dieses Satzes richtig
zu deuten. Rohstock, seit 40 Jahren im Amt und 20 Jahre lang dessen untadeliger
Chef, hat diesen Abgang nicht verdient. Dennoch muss er seinen Hut nehmen,
weil ihm auf den letzten Metern in den Ruhestand ein kaum nachvollziehbarer
Fehler unterlief. Warum er den Brief eines Verwaltungsrichters - mit oder
ohne berechtigter Kritik - seinen Vorgesetzten verschwieg, bleibt sein
Geheimnis. Oberbürgermeister Erwin kann nicht so tun, als wäre
in der Sozialverwaltung alles in Butter. Seit zehn Monaten vertritt der
bedauernswerte Ordnungs- und Verkehrsdezernent den erkrankten Kollegen
Sozialdezernent. Und vor sechs Wochen erst hatte der Sozialamtsleiter wegen
der Arbeitslast seiner Mitarbeiter im Fachausschuss öffentlich Alarm
geschlagen. In jeder Stadt der Welt ist eine Sozialverwaltung Spielball
der Interessen. In Düsseldorf jonglierten damit viel zu lange die
Sozialdemokraten. Erwin stößt bei seinem Entschluss, dies zu
ändern, auf erbitterten Widerstand. Dass ausgerechnet Rainer Rohstock
unvermittelt zwischen die Fronten geriet, macht ihn zum traurigen Bauernopfer.
Express 24.3.03 - Richter rügt Schlendrian im Sozialamt - Stadt
agiert grob rechtswidrig - Von BODO FUHRMANN
Düsseldorf – Rote Karte für OB Erwin. Ein Vorsitzender Richter
am Verwaltungsgericht rügt Düsseldorfs Rathaus-Chef, weil es
in „seinem“ Sozialamt nicht klappt. Akten schmoren ewig. Gelder an Bedürftige
werden nicht ausgezahlt. Der Richter spricht von „grob rechtswidriger“
Praxis. Und Erwin tobt. Das EXPRESS vorliegende Schreiben ist mehr
als ein „blauer Brief“. Verwaltungschef Erwin wird hier ein glattes „Ungenügend“
bescheinigt. Da ist die Rede von „katastrophaler Unterbesetzung“ des Sozialamtes.
Geradezu menschenverachtend: Ausgerechnet die Anträge von „völlig
Mittellosen“ würden auf die lange Bank geschoben. Wer nicht verhungern
wolle, müsse sich erst mit Hilfe von teuren Anwälten - Honorare
auch noch zu Lasten der Stadt – beim Sozialgericht sein Recht holen. Wörtlich:
„Die zuständigen Richter beobachten diese Entwicklung mit größter
Sorge.“ Dann das vernichtende Urteil: „Diese Praxis ist grob rechtswidrig.
Der Stadtverwaltung ist massives Verschulden anzulasten.“ Das Peinliche
an dieser Rüge: Auch das Oberverwaltungsgericht in Münster erhielt
eine Kopie. Nur Erwin nicht, obwohl er ausdrücklich als Adressat genannt
ist. „Ich weiß von nichts“, tobte Erwin auf Nachfrage. Aber er will
„jetzt gnadenlos aufklären. Und dann rollen Köpfe. Denn ich lasse
mich doch nicht in aller Öffentlichkeit derart vorführen.“ Was
Erwin vor allem so auf die Palme treibt: „Niemand in diesem Sozialamt hat
mich auf derartige Schlampereien hingewiesen. Ich hätte sie sofort
abgestellt.“ Im Amt selbst hält man sich bedeckt. Doch Ratsfrau Annette
Steller (SPD) kritisiert Erwin: „Wir haben im zuständigen Ausschuss
die Verwaltung mehrfach aufgefordert, diese Missstände abzustellen.
Aber Erwin reagiert wohl nur, wenn ihm Richter was um die Ohren hauen.“