„Es gab ein­fach nichts mehr zu es­sen“

 

„Es gab ein­fach nichts mehr zu es­sen“
 
   Fo­to: An­dre­as Bretz
Bei der Es­sens­aus­ga­be am Zakk ha­ben sich im­mer lan­ge
Schlan­gen ge­bil­det. Vie­le Be­dürf­ti­ge ha­ben stun­den­lang vor dem
Kul­tur­zen­trum ge­war­tet, um Le­bens­mit­tel zu be­kom­men.

Durch Co­ro­na sind mehr Men­schen auf Hil­fe an­ge­wie­sen. Das zeigt ei­ne Be­fra­gung der Be­dürf­ti­gen vor dem Zakk.

Von Ve­re­na Kens­bock

FLIN­GERN-SÜD |
Wenn die Mit­ar­bei­ter des Zakk um acht Uhr mor­gens die Tü­ren
auf­schlos­sen, hat­te sich vor dem Ein­gang schon ei­ne lan­ge
Schlan­ge ge­bil­det. Je­den Tag von April bis Ju­li sind
durch­schnitt­lich 180 Men­schen zu dem Kul­tur­zen­trum an der
Fich­ten­stra­ße ge­kom­men, um die Le­bens­mit­tel­aus­ga­be zu
nut­zen. Vie­le ha­ben stun­den­lang ge­war­tet, um Es­sen zu
be­kom­men. Und für vie­le war es das ers­te Mal, dass sie auf die­se
Un­ter­stüt­zung an­ge­wie­sen wa­ren.

Das be­legt nun ei­ne Stu­die der Hoch­schu­le Düs­sel­dorf. An­ne van
Rie­ßen, Rein­hold Knopp und Ca­ri­na Bhat­ti vom In­sti­tut für
le­bens­wer­te und um­welt­ge­rech­te Stadt­ent­wick­lung ha­ben
un­ter­sucht, wel­che Men­schen die Le­bens­mit­tel­aus­ga­be ge­nutzt
ha­ben. 221 War­ten­de in der Schlan­ge vor dem Zakk wur­den über ei­nen
Zeit­raum von zwei Wo­chen be­fragt. Das Er­geb­nis: Die Hälf­te der
Be­dürf­ti­gen hat vor der Co­ro­na-Pan­de­mie kei­ne Le­bens­mit­tel
bei der Ta­fel ge­holt – sie war erst seit dem Lock­down auf die Hil­fe
an­ge­wie­sen. Zu­dem wa­ren es vor al­lem die Be­dürf­ti­gen un­ter
30 Jah­ren, die die Le­bens­mit­tel­aus­ga­be erst­mals ge­nutzt ha­ben,
näm­lich mehr als 60 Pro­zent in die­ser Al­ters­grup­pe. Auch un­ter
den Paa­ren mit Kin­dern (57 Pro­zent) und Al­lein­er­zie­hen­den (62
Pro­zent) fan­den sich vie­le neue Nut­zer.

„Wir er­klä­ren uns das da­mit, dass die Schu­len und Ki­tas ge­schlos­sen
hat­ten und die Ver­sor­gung dort weg­ge­bro­chen ist“, sagt
Pro­fes­so­rin An­ne van Rie­ßen. Die Grup­pe der un­ter 30-Jäh­ri­gen
be­ste­he vor al­lem aus Stu­die­ren­den und Men­schen mit un­si­che­ren
Jobs. „Wenn das weg­fällt, ist man ganz schnell in der Si­tua­ti­on, in
der man auf je­den Cent ach­ten muss. Man kann in kur­zer Zeit vom
Ge­ber zum Neh­mer wer­den.“ An­ne van Rie­ßen ver­gleicht die­se
Si­tua­ti­on mit ei­nem Mo­bi­le: Fällt an ei­ner Stel­le ein Ge­wicht
weg, ge­rät das gan­ze Mo­dell ins Wan­ken.

Die Si­tua­ti­on ver­schärft ha­ben auch die Hams­ter­käu­fe in den
Su­per­märk­ten, be­rich­ten die Ver­ant­wort­li­chen. Nicht nur die
Ta­feln hat­ten ge­schlos­sen, auch die Re­ga­le wa­ren leer –
vor­ran­gig die güns­ti­gen Pro­duk­te wa­ren ver­grif­fen. „In den
Re­ga­len la­gen dann nur noch Le­bens­mit­tel, die eher für
kauf­kräf­ti­ge Kund­schaft ge­dacht wa­ren“, sagt Ju­lia von Lin­dern
von Fif­ty­fif­ty. Das aber konn­ten sich an­de­re Ziel­grup­pen nicht
leis­ten. „Es gab ein­fach nichts mehr zu es­sen“, sagt Chris­ti­ne
Brink­mann vom Zakk-Team.

Die Stu­die zeigt aber auch, dass ein Groß­teil der Men­schen schon vor­her auf
Leis­tun­gen wie Ar­beits­lo­sen­geld oder Hartz IV an­ge­wie­sen war,
sagt An­ne van Rie­ßen. „Vie­le ha­ben sich mit klei­ne­ren Jobs et­was
da­zu ver­dient, das ist dann weg­ge­fal­len.“ Be­dürf­ti­ge, die
vor­her ei­nen fes­ten Job hat­ten, sei­en die Aus­nah­me, statt­des­sen
vor al­lem Men­schen, die auf kei­ner­lei Er­spar­tes zu­rück­grei­fen
kön­nen. Ju­lia von Lin­dern von Fif­ty­fif­ty sieht das als
struk­tu­rel­les Pro­blem. „Es zeigt ganz deut­lich, dass die
Exis­tenz­si­che­rung so eben nicht reicht“, sagt die
So­zi­al­ar­bei­te­rin. „Wenn Fa­mi­li­en Hil­fe brau­chen, weil die
Kin­der plötz­lich nicht mehr in der Schu­le es­sen kön­nen, ha­ben wir
ein Ar­muts­pro­blem.“

Al­lei­ne fin­den die Be­dürf­ti­gen nur sel­ten aus die­ser Si­tua­ti­on, sagt von Lin­dern.
„Die Leu­te ver­blei­ben in die­sem Sys­tem.“ Die Ta­feln bö­ten zwar
ei­ne Not­hil­fe an, könn­ten aber nichts an der La­ge än­dern. Das
zeigt auch die Stu­die der Hoch­schu­le. Die­je­ni­gen, die am Zakk
nicht zum ers­ten Mal die Le­bens­mit­tel­aus­ga­be ge­nutzt ha­ben,
sind in der Re­gel schon lan­ge be­dürf­tig. Mehr als die Hälf­te der
Be­frag­ten nutzt seit mehr als drei Jah­ren die­se Un­ter­stüt­zung. In
die­sen Fäl­len spricht man von „ver­fes­tig­ter Ar­mut“, wie
Pro­fes­so­rin An­ne van Rie­ßen sagt.

Die Es­sens­aus­ga­be hat­te das Kul­tur­zen­trum Zakk zu­sam­men mit der
Ob­dach­lo­sen-Or­ga­ni­sa­ti­on Fif­ty­fif­ty auf die Bei­ne ge­stellt
und von An­fang April bis En­de Ju­li Be­dürf­ti­ge ver­sorgt, da die
Ta­feln auf­grund der Co­ro­na-Pan­de­mie zu­nächst schlie­ßen muss­ten.
An vier Ta­gen die Wo­che hat sich ein Team aus Zakk-Mit­ar­bei­tern
und Eh­ren­amt­li­chen um An­nah­me, Auf­be­rei­tung und Aus­ga­be der
Le­bens­mit­tel ge­küm­mert. Das Es­sen kam von Su­per­märk­ten und
Bä­ckern, aber auch aus Spen­den von Pri­vat­leu­ten. Feh­len­de
Le­bens­mit­tel wur­den durch För­der­mit­tel von Ak­ti­on Mensch und
Geld­spen­den fi­nan­ziert. An­ders als bei den Ta­feln muss­ten die
Men­schen am Zakk nicht nach­wei­sen, dass sie be­dürf­tig sind.

Die Er­geb­nis­se der Stu­die sol­len am 27. Ok­to­ber bei ei­ner
öf­fent­li­chen Ver­an­stal­tung mit an­schlie­ßen­der
Dis­kus­si­ons­run­de im Zakk vor­ge­stellt wer­den.

rp

https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/arm-durch-corona-pandemie-j...