Düsseldorfer Initiativen mahnen sozialpolitischen Handlungsbedarf an

Sozialpolitische
Handlungsbedarfe in Düsseldorf

 

1.Unterbringung und medizinische Versorgung wohnungsloser Menschen

Die städtischen (Not-)Unterkünfte werden seit Jahren kontinuierlich
abgebaut und z.T. verkauft. 2006 gab es noch etwa 1150 Plätze, heute
nicht einmal 800. Aufgrund der landesweit wieder steigenden Zahlen
wohnungsloser Menschen ist der Bedarf jedoch deutlich höher.

Eine Vermittlung in städtische Obdächer oder in Wohnungen auf dem
Wohnungsmarkt über die städtische zentrale Fachstelle für
Wohnungsnotfälle ist nicht möglich, wohnungslose EU-MigrantInnen
und/oder Menschen mit der Erlaubnis zum Daueraufenthalt in
der EU werden in den vorhandenen Notschlafstellen abgewiesen, da sie
als „TouristInnen” geführt werden. Lediglich der sog.
„Winternotfall”, der bei Außentemperaturen von 0 Grad Celsius am
Tage zum Tragen kommt, bietet diesen Menschen die Möglichkeit einer
geschützten Übernachtung.

Das bisherige Konzept der Unterbringung Wohnungsloser auf dem freien
Wohnungsmarkt ist gescheitert und auch mittelfristig nicht umsetzbar.
Notwendig sind kurzfristig 200 Notwohnungen unterschiedlicher Größen.
Gleichzeitig muss die Kommune wieder Einfluss auf den Wohnungsmarkt
zurückgewinnen, damit perspektivisch die Betroffenen Wohnraum auf
dem freien Wohnungsmarkt anmieten können. Für Wohnungsnotfälle
muss insbesondere in unserer Stadt mit einem so angespannten
Wohnungsmarkt ausreichend städtischer Notwohnraum vorgehalten
werden.

Zeitgleich ist das Versorgungssystem für Menschen ohne Krankenversicherung
unzureichend. Die Medizinische Hilfe für Wohnungslose e.V. (MHW)
kann den Bedarf nach eigenen Aussagen nicht decken. Neben
einer ärztlichen Versorgung Nichtversicherter besteht großer Bedarf
an mobiler medizinischer und pflegerischer Versorgung der
Wohnungslosen, z. T. nicht versicherten Klientel, um Verelendung
kurzfristig zu stoppen und mittelfristig eine Regelversorgung
wiederherzustellen.

 

2.Substitution und Originalstoffvergabe

Vor Jahren wurde im Rat das Diamorphinprojekt („Originalstoffabgabe“)
beschlossen, wird jedoch bis heute nicht weiterverfolgt. Die
städtische Substitutionstherapie von Abhängigen wird kontinuierlich
reduziert. Als Alternative bleiben nur noch die privaten Großpraxen
mit z. T. Mehr als 100 Substituierten pro Tag und minimaler
ärztlicher und psychosozialer Betreuung. Tagesstrukturierende
Beschäftigungsangebote, bei denen Drogengebrauchende nicht
sanktioniert werden, fehlen.

Neben der dringend notwendigen Eröffnung der Heroinambulanz fordern wir
den Wiederausbau der städtischen, dezentralen Substitutionstherapie.

 

 

 

3.Wohnungspolitische Forderungen

Öffentliche Wohnungsbestände müssen in öffentlicher Hand bleiben.

Die vorhandenen öffentlichen Immobilienbestände und Liegenschaften
werden von der Stadt Düsseldorf vorzugsweise an private Investoren
verkauft. Die Stadt ist damit weder für die weitere Vermietung und
Mietpreisgestaltung, noch für die Erhaltung der Gebäude
verantwortlich. Sie verspielt somit erneut ihre Möglichkeiten zur
Einflussnahme beim Mietspiegel.

Wir fordern die Stadt Düsseldorf auf, vorhandene städtische
Immobilienbestände und Liegenschaften nicht zu privatisieren!

 

Baugrundstücke sind keine Spekulationsflächen!

Bauflächen sind in Düsseldorf rar. Die wenigen vorhandenen Flächen sollen von der
Kommune mithilfe eines zu schaffenden kommunalen Wohnungsbauprogramms
selbst bebaut werden oder auf Erbpachtbasis an Genossenschaften mit
Verträgen zur Mietpreisbegrenzung von 5,- € pro m² vergeben
werden.

In keinem Fall dürfen Baugrundstücke der Spekulation von Investoren
überlassen werden, die dann wegen ihrer hohen Renditeerwartungen
erneut Luxusviertel bauen wollen!

 

Bestehender Wohnraum wird nicht als solcher genutzt.

In Düsseldorf besteht ein Leerstand von privatem Wohnraum oder er wird
für gewerbliche oder berufliche Zwecke entfremdet. Wohnraum, der so
dringend gebraucht wird, geht hier verloren. Sogar die Verwaltung hat
in ihrer Vorlage 64/ 13/ 2012 im AWM festgestellt, dass “das Verbot
der Zweckentfremdung von Wohnraum für die Landeshauptstadt
Düsseldorf ein sinnvolles Instrument zur Regulierung des kommunalen
Wohnungsmarktes war“, welches bis 2006 in Düsseldorf galt.

Daher fordern wir die Stadt Düsseldorf auf, eine
Zweckentfremdungsverordnung, wie sie schon in anderen Großstädten
wie Dortmund oder Köln existiert, einzuführen.

 

4. Armut in unserer reichen Stadt

Mobilitätsarmut

Noch immer gibt es kein bezahlbares Ticketangebot für Einkommensarme. Das
sogenannte Sozialticket des VRR liegt mit 29,90€ immer noch
deutlich über dem ÖPNV-Anteil der Regelsatzberechnung. Kurzfristig
sinnvoll wäre z.B. die Bezuschussung der Tickets für Einkommensarme
durch die Kommune analog zu den Modellen in Köln und Bonn.

 

Energiearmut

Die Stadtwerke zeigen sich wenig kooperativ im Umgang mit
Energieschulden. Angemessene Raten z.B. zur Abzahlung der
Jahresendabrechnung werden nicht gewährt. Ratenzahlungen
werden nur in max. sechs Teilzahlungen gewährt. Die Folge sind
Energieverlust und Zählersperrungen. Die Stadtwerke erhalten in der
Folge meist gar kein Geld mehr und die KundInnen sitzen im Dunkeln
und Kalten. Die Möglichkeit der Bareinzahlungen bei den Stadtwerken
wurde zuletzt eingestellt.
In anderen Städten wie z.B. in Wuppertal, Köln und Krefeld haben die
örtlichen Energieversorger in Kooperation mit Verbraucherzentralen
und Schuldenberatungen ein gut funktionierendes Hilfenetz gegründet,
das sowohl KundInnen als auch Energieversorgern nutzt.
Diese Projekte werden durch Landesmittel gefördert. Die Stadtwerke
Düsseldorf hatten an einem Projekt in dieser Form leider kein Interesse. Ein solches Hilfe- und Schlichtungsangebot ist auch
bei den Düsseldorfer Stadtwerken dringend nötig.

 

Altersarmut

Die vorhandenen Angebote (Zentren Plus usw.) erreichen die Betroffenen in
vielen Fällen nicht. Hilfen sind nur rudimentär vorhanden oder
werden nicht in Anspruch genommen. Besonders
Menschen, die nicht mehr mobil sind, brauchen aufsuchende Strukturen,
die dazu beitragen, dass eine stationäre Unterbringung vermieden
wird. Eine Koordinationsstelle hätte zur Aufgabe, über bestehende
Angebote zu informieren, Bedarfe zu ermitteln, weiterzuleiten (Ämter,
Ärzte usw.) und mit den Netzwerken Hilfen im Alltag anzubieten. Das
würde dazu beitragen, die Lebensqualität armer alter Menschen zu
verbessern und letztlich z.T. Kosten sparen. Die
bisher installierten Maßnahmen müssen verstetigt und in Stadtteilen
initiiert werden, in denen Altersarmut besonders gravierend ist.

Die Situation in den Ämtern für soziale Sicherung und Integration/
Grundsicherung ist unzureichend. Die Überlastung der
MitarbeiterInnen ist deutlich zu spüren, die Personaldecke ist
offensichtlich zu dünn. Der ständige Wechsel von
AnsprechpartnerInnen im Amt wird von den GrundsicherungsbezieherInnen
beklagt. Notwendig ist eine stärkere Vernetzung der Sozialdienste
mit den Grundsicherungsämtern (z.B. ein/e SozialarbeiterIn als
Ansprechpartnerin im GruSi-Amt für besondere Problemlagen), damit
stärker präventiv gearbeitet werden kann (z.B. bei Verschuldung,
zur Verbesserung der gesundheitlichen/pflegerischen Versorgung und
der psychosoziale Situation, zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit
durch Mietschulden oder bei Stromsperren usw.).

Schließlich muss die bestehende Systemlücke, also die faktisch fehlende
Unterstützung und Beratung für die zunehmende Zahl von Armut
betroffener Alter Menschen nach SGB XII, dringend geschlossen werden.

 

Jobcenter

Die Hilfequalität der Jobcenter ist miserabel. Regelmäßig werden –
trotz bestehendem Rechtsanspruch –
Leistungen in den Jobcentern verweigert. Es wird auf nicht vollständige
Unterlagen verwiesen, Unsinniges oder Leistungsirrelevantes wird
verlangt, Empfangsbestätigungen werden verweigert. Bei
vollständigen, leistungsrelevanten Unterlagen beträgt die
Bearbeitungszeit bis zu sechs Wochen; während dieser Zeit erfolgt
keine Hilfe.

Die Erreichbarkeit ist mangelhaft, ihrer Verpflichtung, Telefonnummern zu
veröffentlichen, kommen die Jobcenter in ihren Briefköpfen nicht
nach. Die Leistungsteams sind an nur drei Tagen pro Woche zu
erreichen, Neuanträge werden an zwei Tagen pro Woche –
rechtswidrigerweise – nicht angenommen.
Es kommt zu Beschimpfungen und verbalen Drohungen in Bezug auf die
Leistungsgewährung.

Wir fordern bis zur Herstellung der Regelversorgung eine
Tagesgeldauszahlung für KundInnen, den Verzicht der sofortigen
Unterzeichnung von Eingliederungsvereinbarungen sowie das Unterlassen
unsinniger und rechtswidriger Sanktionierungen.

 

5.Kommunikation mit und zwischen Behörden

In städtischen Behörden werden von Fachleuten aufgezeigte soziale
Probleme oftmals verschwiegen, überhört und/oder negiert. Auch hier
ist die Überlastung der MitarbeiterInnen deutlich zu spüren und die
Personaldecke ist offensichtlich nicht ausreichend. Die Institutionen
werden von ihren NutzerInnen als abschreckend wahrgenommen. Zudem
kooperieren städtische Ämter intern nicht, sodass es letztlich zu
Leistungsverweigerungen für die KundInnen kommt.

Ehemals bestehende Strukturen wurden seitens der Stadt ohne Rücksprache mit
beteiligten AkteurInnen beendet (z.B. PG-Randgruppen in der
Innenstadt des Kriminalpräventiven Rates) oder in die Bedeutungs-
und Nutzlosigkeit beschränkt (z.B. AK-Streetwork der
Wohnungslosenhilfe). Wir wünschen uns in Facharbeitskreisen ergebnisoffene Diskussionen
zwischen allen in den jeweiligen Feldern tätigen AkteurInnen.

 

6.Flüchtlinge

Die Zahl der Flüchtlinge in Düsseldorf ist in den vergangenen Jahren
deutlich gestiegen. Im Frühjahr 2012 waren 700 Flüchtlinge in
Düsseldorf untergebracht, zwei Jahre später waren es rund 1.200,
bis zum Jahresende rechnet die Verwaltung mit 1.900 Flüchtlingen in
der Stadt. Für das kommende Jahr wird mit einem weiteren erheblichen
Anstieg gerechnet.

Notwendig ist ein zügiger Ausbau der Unterbringungsplätze. Hierbei sollte auf eine dezentrale, qualitativ angemessene
Unterbringung geachtet und auf Sammelunterkünfte verzichtet werden.
Wichtig für die Schutzsuchenden, speziell für Familien mit Kindern,
sind Verlässlichkeit und Stabilität. Für die Kinder ist ein
Wechsel der Unterkunft auch meist mit einem Wechsel der Schule
verbunden, dadurch werden gerade erst entstandene Beziehungen wieder
beendet.

Die soziale Betreuung der Flüchtlinge muss ausgebaut werden. Der derzeitige Personalschlüssel reicht bei weitem nicht aus, um auf
die verschiedenen Problemlagen der Betroffenen angemessen reagieren
zu können. Es sollte ein Angebot von Deutschkursen für alle Flüchtlinge geben. Das Erlernen der deutschen Sprache ist der wichtigste Zugang zu
unserer Gesellschaft.

Zudem müssen die Flüchtlinge eine gute medizinische Versorgung bekommen.
Die Vergabe von Krankenscheinen durch überlastete MitarbeiterInnen
des Sozialamts erweist sich in der Praxis als sehr problematisch.
Eine Anlaufstelle im Gesundheitsamt und eine erste Anamnese durch
medizinisches Fachpersonal ist hier angebracht und wünschenswert.

 

 

Kluge sozialpolitische Maßnahmen statt strukturelle Vertreibung der Armen

Wir begrüßen die geplante optische Entmartialisierung des Ordnungs- und
Servicedienstes und die inhaltliche Überprüfung der Straßenordnung.
Es darf keine Verordnungspunkte geben, die sich explizit gegen Arme
richten. §6 der Straßenordnung sollte komplett gestrichen werden.
Nötigungen, Bedrohung und Gewalt kann und soll durch die bestehenden
Gesetzte geahndet werden. Gegen die unmittelbaren Folgen der
aktuellen Armut bedarf es sozialpolitischer Maßnahmen.

 

 

Initiativkreis
Armut in Düsseldorf

Bündnis
für bezahlbaren Wohnraum

 

Düsseldorf,
im Oktober 2014