Credit Suisse: Einem Prozent gehört die Hälfte aller positiven Vermögenswerte.

 

Aus: Ausgabe vom 24.10.2015, Seite 9 / Kapital & Arbeit

Die Welt im Würgegriff

Credit Suisse: Einem Prozent gehört die Hälfte aller positiven
Vermögenswerte. Zugleich ist man mit zehn Dollar im Plus reicher als ein
Viertel aller US-Amerikaner

Von Rainer Rupp

Abgehängt: Kleiderverteilung für bedürftige Kinder am 1. Oktober in Los Angeles

Foto: Lucy Nicholson/Reuters

Vergangene Woche hatte die Schweizer Großbank Credit Suisse (CS)
ihren jährlichen »Globalen Reichtumsbericht« veröffentlicht. Wie zu
erwarten, hat sich der ohnehin bereits höchst ungleich auf der Welt
verteilte Mammon in immer weniger Händen konzentriert. Die
Geschwindigkeit, mit der diese Konzentration während der globalen
Wirtschafts- und Finanzkrise zugenommen hat, verblüfft selbst Reporter
der bürgerlichen Medien. Die große Schlagzeile, wonach »ein Prozent« der
Bevölkerung inzwischen bereits 50 Prozent des gesamten Reichtums in
Besitz genommen habe (auf Kosten der großen, ausgebeuteten Mehrheit),
ging um die Welt. Aber die Aufmerksamkeit der Medien verflog rasch,
obwohl das von dem Schweizer Geldhaus zusammengetragene Datenmaterial
interessante, aber für das Bürgertum auch peinliche Erkenntnisse
bereithält.

Die CS ist kein Wohltätigkeitsverein, sondern ein profitorientierter
Finanzkonzern der obersten Liga. Man kann ihr nicht unterstellen, mit
der Studie Stimmung für eine gerechtere Verteilung machen zu wollen.
Dennoch überrascht die von den Medien »übersehene« Feststellung nicht:
In den Vereinigten Staaten und in der EU gibt es viel mehr arme
Menschen, als in China, sowohl hinsichtlich des Anteils an der
Weltbevölkerung, aber auch in absoluten Zahlen. Das belegt eine Grafik
aus dem CS-Bericht mit der Überschrift »Regionale Zusammensetzung der
globalen Reichtumsverteilung«. Demnach leben zehn Prozent der ärmsten
Menschen der Welt in den USA und Kanada und 20 Prozent in der EU. Zu
diesem überraschenden Ergebnis kommt das Geldhaus, weil es Reichtum
nicht über das Einkommen definiert. Vielmehr gilt als arm, wer keine
Vermögens- und Geldwerte besitzt, sondern nur Schulden, bei dem also der
Saldo negativ ist. Laut Credit Suisse verzeichnen etwa 25 Prozent der
US-Amerikaner einen negativen Saldo aus Vermögen und Verbindlichkeiten.
Praktisch bedeutet dieser Umstand: Jeder, der keine Schulden hat und
zudem einen Zehn-Dollar-Schein in der Brieftasche mit sich herumträgt,
ist reicher als ein Viertel der Einwohnerschaft der globalen Supermacht.
In China liegt der Anteil der Armen mit negativem Vermögenswert bei
etwas über einem Prozent der Weltbevölkerung.

Weiter schätzt die CS, dass die Hälfte der Weltbevölkerung einen
Vermögens-Schulden-Saldo von weniger als 3.250 Dollar (2.850 Euro) hat.
Dies trifft laut Studie auch auf einen großen Teil der US- und EU-Bürger
zu. Speziell in den USA gehören sehr viele frische
Universitätsabsolventen zu dieser Gruppe, weil sie im Durchschnitt mit
Studienschulden von 35.000 Dollar ihre Berufskarriere beginnen. Falls es
überhaupt eine solche gibt. Denn angesichts der andauernden Jobkrise
und der zunehmenden Verlagerung auch gut bezahlter Arbeit ins Ausland
schlagen sich heute viele US-Akademiker als Hilfsarbeiter durch.

Die nächste Liga in der Reichtumspyramide bildet die sogenannte
Mittelschicht, der in der CS-Studie eine zentrale Rolle zukommt. Deren
Saldo liegt zwischen 3.250 und 68.000 Dollar. Aus einer Vielzahl von
Gründen galt diese Bevölkerungsgruppe in den Vereinigten Staaten über
Jahrzehnte für das aufstrebende Bürgertum weltweit als das Ideal des
»Angekommenseins«. In diesem Jahr hat die chinesische Mittelschicht mit
109 Millionen Erwachsenen zum ersten Mal die in den USA mit 92 Millionen
Erwachsenen klar übertroffen. Weltweit gehörten 2015 etwa 14 Prozent
der erwachsenen Bevölkerung zur Mittelschicht, die laut CS 664 Millionen
Menschen zählt. Allerdings ist deren Positivsaldo in diesem Jahr
langsamer gewachsen als das jener, die am oberen Ende der Pyramide
residieren. Dennoch werde »die Mittelklasse auch weiterhin« anwachsen,
besonders in den Schwellenländern. Den Löwenanteil dieses Zuwachses
werde Asien verzeichnen, so der Bericht. »Als Resultat dieser
Entwicklung werden wir veränderte Konsummuster sowie gesellschaftliche
Umgestaltungen sehen, denn historisch hat die Mittelklasse immer als
Agent der Stabilität und des Wohlstandes fungiert.«

Dennoch stehen die USA weiterhin unangefochten an der Spitze. Den
wenigen Superreichen gehört fast ein Drittel der globalen Vermögenswerte
von 250 Billionen Dollar. Dafür fällt der Grad der sozialen
Ungleichheit dort viel schärfer aus als in den meisten anderen Ländern
der Welt. Dass lässt sich visualisieren: In einem Raum befinden sich 100
Personen, unter denen 100 Schokoladenplätzchen verteilt werden sollen.
Gemäß der CS-Angaben über die Reichtumsverteilung in den USA geschieht
das wie folgt: eine Person bekommt 50 Plätzchen, sieben erhalten je fünf
Stück, 22 Menschen werden mit einem halben Plätzchen abgespeist und die
restlichen 70 teilen sich vier Schokoladenstückchen.

https://www.jungewelt.de/2015/10-24/035.php