Studie: So verbreitet ist Rechtsextremismus in der Mitte

 

Rechte neigen zunehmend zu Gewalt

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Viele sind offen geworden für Fremde, bei den anderen aber wächst die Ablehnung bedrohlich.
 Foto: imago

Völkische und nationalistische Überzeugungen sind einer Studie zufolge
in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen. Rechte haben sich
zunehmend radikalisiert - und eine politische Heimat gefunden.

Mit seiner Forderung, Muslime nicht
mehr in die USA einreisen zu lassen, könnte Donald Trump wohl auch bei
vielen Deutschen punkten: 41 Prozent sagen, Muslimen sollte die
Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. Ein Beispiel für die
Radikalisierung politischer Einstellungen hierzulande, die
Wissenschaftler der Universität Leipzig mit der „Mitte-Studie“ seit 2002
beobachten. Dabei zeigt sich schon lange, dass Elemente rechtsextremen
Denkens verbreitet sind – und das nicht nur unter Neonazis. Jetzt warnen
die Forscher, dass manche Milieus sich weiter radikalisiert haben, dass
die Gewaltbereitschaft steigt und der Hass auf bestimmte Gruppen.

Es gibt auch so etwas wie eine gute Nachricht am Mittwochmorgen, als
Oliver Decker und Elmar Brähler die Ergebnisse der Untersuchung „Die
enthemmte Mitte“ in Berlin vorstellen: Insgesamt ist der Anteil von
Menschen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild im Vergleich zu
2014 leicht rückläufig. Für ihre repräsentative Studie haben die
Wissenschaftler im Frühjahr bundesweit 2420 Menschen zu politischen
Überzeugungen und Meinungen befragt. Jene, die aufgrund ihrer Antworten
einem demokratischen Milieu zugeordnet wurden, hätten sogar an Vertrauen
in gesellschaftliche Institutionen gewonnen und lehnten Gewalt
deutlicher ab als vor zehn Jahren. Dies könnte Folge des
zivilgesellschaftlichen Engagements für und mit Flüchtlingen sein, sagen
die Wissenschaftler.

Die schlechte Nachricht: In rechten Milieus ist
es umgekehrt. Hier sprechen die Autoren von einem „rapiden
Legitimationsverlust“ von Institutionen wie Parlament, Parteien aber
auch der Polizei. Rund die Hälfte dieses Milieus gibt an, Gewalt als
Mittel der Interessendurchsetzung zu akzeptieren, vor zehn Jahren waren
es noch etwas weniger als ein Drittel. Eine „deutliche Polarisierung und
Radikalisierung“, resümieren die Forscher.

„Ausländerfeindlichkeit
war immer da“, sagte Brähler, emeritierter Professor für Medizinische
Psychologie und Medizinische Soziologie, aber sie habe sich jetzt „Bahn
gebrochen“. Ähnlich interpretiert das Sozialpsychologe Decker: „Wir
sehen, wie sich diese Personen ihrer selbst bewusst werden.“ Das liege
auch daran, dass in der Öffentlichkeit autoritären Haltungen größere
Berechtigung zugesprochen werde.

Außerdem hätten
Rechte eine neue politische Heimat gefunden. Vor zwei Jahren wählten die
meisten Menschen, denen die Studie ein rechtsextremes Weltbild
zuschreibt, nach eigenen Angaben noch SPD, CDU oder gar nicht. Für die
AfD sprachen sich aus jener Gruppe nur 6,3 Prozent aus. In der aktuellen
Umfrage favorisieren 34,9 Prozent der extrem Rechten diese Partei.
Rassistische Parolen aus der AfD dürften viele von ihnen dabei
keinesfalls stören. Im Gegenteil: „Die meisten AfD-Wähler teilen eine
menschenfeindliche Einstellung“, sagt Brähler. Hohe Zustimmungswerte
erzielen entsprechende Aussagen aber auch unter Nicht-Wählern. „Das
Potenzial für rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien ist noch
größer als die Wahlergebnisse bislang zeigen“, warnt Decker.

Völkische und nationalistische Überzeugungen
seien in der sogenannten Mitte der Gesellschaft ebenfalls verbreitet und
keinesfalls nur ein Problem vermeintlicher Ränder, sagen die Forscher.
Die gute Nachricht des Tages muss relativiert werden: Denn obwohl die
Zahl der Menschen mit deutlich rechtsextremer Einstellung abnehme,
steige die Abwertung von bestimmten Gruppen, die als abweichend
wahrgenommen würden, auf hohem Niveau an: Mehr als die Hälfte aller
Befragten gab an, ein Problem damit zu haben, wenn sich Sinti und Roma
in der eigenen Gegend aufhalten, fast genauso viele wollen sie aus den
Innenstädten verbannen. 80 Prozent finden, dass der Staat bei
Asylanträgen „nicht großzügig“ sein sollte und gut 40 Prozent sagen, es
sei „ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen“.
Solche Ressentiments seien gefährlich für die Betroffenen, „gefährlich,
weil diese Personen nicht mehr als Personen wahrgenommen werden“, sagt
Decker.

Mit Empfehlungen halten sich die
Wissenschaftler zurück. Es zeige sich, dass der Aufruf, sich zu
engagieren und einzubringen wichtig sei, sagte Brähler. In
demokratischen Milieus werde dieses Engagement als sinnvoll erfahren und
die Zustimmung zu Gewalt sei dort zurückgegangen. Für Decker ist die
„Demokratisierung der Gesellschaft die zentrale Aufgabe“. Viele
Institutionen – von der Schule über die Universität bis hin zum Betrieb –
seien noch immer nicht demokratisch verfasst, aber „Demokratie lernen
ist Erfahrungslernen“.

http://www.fr-online.de/politik/leipziger--mitte-studie--rechte-neigen-z...

 

Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise brodelt es in Deutschland. Wie rechtsextrem
ist die Republik? Und was geht in den Köpfen der Menschen vor? Eine neue
Studie zeigt, dass auch unter vielen Anhängern der angestammten
Parteien rechtsextreme Positionen populär sind. „Die enthemmte Mitte“
haben die Autoren deshalb auch ihre Untersuchung genannt.

 

http://www.derwesten.de/nrz/politik/studie-ressentiments-gegen-muslime-n...