Wsi: 2016 lag die Armutsquote für die Gesamtbevölkerung bei 15,8 Prozent und damit um 0,1 Prozentpunkte höher als 2015

 

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03.08.2017

Quote für Gesamtbevölkerung stagniert auf hohem Niveau

Armut in Deutschland: Bei Kindern deutlicher Anstieg durch Zuwanderung, Altersarmut wächst ebenfalls leicht

Die Kinderarmut in Deutschland hat 2016 erneut spürbar
zugenommen. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die unter der
Armutsgefährdungsgrenze leben, stieg um 0,6 Prozentpunkte auf 20,3
Prozent. Das entspricht rund 2,7 Millionen Personen unter 18 Jahren.
Grund für den Anstieg ist, dass sich die große Zahl der in letzter Zeit
nach Deutschland geflüchteten Kinder und Jugendlichen jetzt in der
Sozialstatistik niederschlägt. Dagegen sind die Armutsquoten unter
Kindern und Jugendlichen, die keinen Migrationshintergrund haben oder
als Kinder von Migranten in Deutschland geboren wurden, leicht
rückläufig. Die allgemeine Armutsquote in Deutschland stagniert, während
sich der langfristige kontinuierliche Anstieg der Armutsgefährdung
unter Senioren auch 2016 fortgesetzt hat. Das sind zentrale Ergebnisse
einer neuen Auswertung aus dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen
Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Neben einer möglichst
effektiven Integration von Zugewanderten in Bildung und Arbeitsmarkt sei
auch eine Verbesserung der Alterssicherung notwendig, so die
Wissenschaftler.

Für ihre Analyse haben die WSI-Forscher Dr. Eric Seils und Jutta
Höhne die gerade erschienenen Armutsdaten des Mikrozensus 2016
ausgewertet. Als arm gelten nach gängiger wissenschaftlicher Definition
Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten
mittleren Einkommens beträgt. Für eine Familie mit zwei Kindern unter
14 Jahren lag die Armutsschwelle 2015 bei einem verfügbaren
Nettoeinkommen von weniger als 1978 Euro im Monat.

Hier geborene Kinder von steigender Armut nicht betroffen
Das WSI hatte den Anstieg der Kinderarmut im Mai bereits zutreffend
prognostiziert. Die Zunahme spiegelt die starke Zuwanderung von
Minderjährigen wider, die als Flüchtlinge zumeist unter der Armutsgrenze
leben müssen. Dabei geht der rechnerische Zuwachs zum Teil auf
datentechnische Probleme zurück: Viele der 2016 als armutsgefährdet
ausgewiesenen Kinder dürften bereits 2015 zugewandert sein. Die amtliche
Armutsstatistik hat sie jedoch nur mit zeitlicher Verzögerung
berücksichtigen können: Die Armutsquote bezieht sich stets nur auf
Personen in Privathaushalten. Viele Flüchtlingsfamilien lebten aber Ende
2015 in Sammelunterkünften und wurden daher zunächst ausgeklammert.

Dagegen ist die Armutsquote von Kindern und Jugendlichen mit
Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren wurden, zwischen 2015
und 2016 von 28,9 auf 28,2 Prozent gesunken. Bei Personen unter 18
Jahren ohne Migrationshintergrund ist die Quote ebenfalls leicht
zurückgegangen – von 13,5 auf 13,3 Prozent.

Gesamtbevölkerung: gegenläufige Entwicklung nach Migrationsstatus
Schaut man auf alle Altersgruppen, stagniert die Armut in Deutschland
weitgehend, allerdings auf hohem Niveau: 2016 lag die Armutsquote für
die Gesamtbevölkerung bei 15,8 Prozent und damit um 0,1 Prozentpunkte
höher als 2015. Der Anteil der armutsgefährdeten Menschen ohne
Migrationshintergrund sank leicht um 0,4 Prozentpunkte auf 12,1 Prozent.
Dagegen wuchs die Quote unter Menschen mit Migrationshintergrund von
27,7 auf 28,1 Prozent 2016. Den Anstieg erklären die WSI-Experten in
allererster Linie damit, dass die jüngst Eingewanderten einen wachsenden
Anteil an der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ausmachen und als
Flüchtlinge ein sehr großes Armutsrisiko tragen. So lebten knapp 82
Prozent der eingewanderten Syrer und 70 Prozent der Iraker unter der
Armutsgrenze.

Altersarmut: Leichter Anstieg auf 14,8 Prozent
Unter der Bevölkerung im Rentenalter zeigen sich hingegen keine
vergleichbaren Unterschiede nach Migrationsstatus, so die
WSI-Untersuchung. Seit 2009 steigt auch die Armutsquote bei Menschen
über 65 Jahren, die keinen Migrationshintergrund haben. Eine
geringfügige Zunahme in dieser Gruppe (12,6 auf 12,7 Prozent) ist der
Grund dafür, dass die Altersarmut insgesamt 2016 um 0,2 Prozentpunkte
auf 14,8 Prozent gestiegen ist. Senioren ohne Migrationshintergrund sind
mittlerweile häufiger armutsgefährdet als der Durchschnitt der
Bevölkerung ohne Zuwanderungsgeschichte, schreiben die Forscher. Das
zeigt „ein Problem an, das unabhängig von der Herkunft immer mehr
Menschen betrifft und systematisch gelöst werden muss.“

Das Beispiel der Altersarmut mache deutlich, dass die Politik zur
Armutsbekämpfung mehrgleisig fahren müsse, betonen die Forscher. Die
Integration von Zuwanderern sei eine zentrale, doch nicht die einzige
Herausforderung. Eingewanderten Eltern und insbesondere Müttern müsse es
möglich werden, Arbeit zu Konditionen und Löhnen zu finden, mit denen
sie ihre Familien selbst über die Runden bringen können. Zugleich
bräuchten auch in Deutschland geborene Kinder einen besseren Schutz
gegen Armut. „Schließlich hat sich trotz Rekordbeschäftigung das
Armutsrisiko der einheimischen Kinder nur wenig verringert“, sagt
Sozialforscher Seils. Maßnahmen gegen die weit verbreitete
Niedriglohnbeschäftigung kämen auch den Kindern prekär Beschäftigter zu
Gute.

Weitere Informationen:

Eric Seils, Jutta Höhne: Armut und Einwanderung. Armutsrisiken nach Migrationsstatus und Alter (pdf) - Eine Kurzauswertung aktueller Daten auf Basis des Mikrozensus 2016.

Daten und Grafiken im WSI Verteilungsmonitor

Kontakt:

Dr. Eric Seils
WSI, Leiter des Referats „Vergleichende Sozialforschung"

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

https://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/hbs/hs.xsl/106575_110257.htm