BAG: 2018 waren ca. 678.000 Menschen (Jahresgesamtzahl) in Deutschland ohne Wohnung

 

Wohnungslosigkeit: Kein Ende in Sicht

11.11.2019

BAG Wohnungslosenhilfe stellt aktuelle Schätzung für das Jahr 2018 vor

Berlin, 11.11.2019. Anlässlich der Bundestagung der BAG
Wohnungslosenhilfe, die vom 11. bis 13. November mit knapp 1.000
Teilnehmenden und Mitwirkenden in Berlin stattfindet, stellt der Verband
heute seine aktuelle Schätzung der Zahl der wohnungslosen Menschen in
Deutschland vor.

Die Schätzung bezieht sich auf das Jahr 2018 und ist damit auf dem aktuellsten Stand.

Im Laufe des Jahres 2018 waren ca. 678.000 Menschen (Jahresgesamtzahl) in Deutschland ohne Wohnung.

Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG Wohnungslosenhilfe, erklärte dazu:

„Gegenüber dem Vorjahr 2017 bedeutet dies einen Anstieg bei der
Jahresgesamtzahl um 4,2%. Dabei stieg die Zahl der wohnungslosen
Menschen ohne Einbezug wohnungsloser anerkannter Geflüchteter mit 1,2%
weniger an als die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten mit
5,9%.

Beim Vergleich der Stichtagszahlen für den 30.06.2017 und 30.06.2018
stellen wir einen deutlich stärkeren Anstieg der Zahlen fest.

Am Stichtag 30.06.2018steigt die Zahl der Wohnungslosen im Vergleich
zum Stichtag 30.06.2017 um 19%. Bei den wohnungslosen Menschen ohne
Einbezug der wohnungslosen Geflüchteten steigt die Zahl um ca. 11%, bei
den anerkannten Geflüchteten um ca. 22%.“

Jahresgesamtzahl 2018 und Stichtagszahl 30.06.2018

Ab der Schätzung 2017 kann die BAG W aufgrund eines neuen
verbesserten Schätzmodells ne-ben den Jahresgesamtzahlen auch
Stichtagszahlen für den 30.6. eines Jahres schätzen.

Die Jahresgesamtzahl der wohnungslosen Menschen ohne
Einbezug wohnungsloser anerkannter Geflüchteter lag bei gut 237.000.
Die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten schätzt die BAG W
auf ca. 441.000 Menschen. Seit dem Jahr 2016 schließt die BAG W in ihre
Schätzung die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten ein.

Am Stichtag 30.06.2018 waren nach Schätzung der BAG W
insgesamt ca. 542.000 Menschen in Deutschland wohnungslos, davon
ca.140.000 Wohnungslose im kommunalen und frei-gemeinnützigen
Hilfesystem und ca. 402.000 wohnungslose anerkannte Geflüchtete in
zentralen Gemeinschaftsunterkünften oder in dezentraler Unterbringung.

Rosenke: „Mit der Jahresgesamtzahl  werden auch die Menschen erfasst,
die vor dem Stichtag wohnungslos waren, es aber zum Stichtag nicht mehr
sind und auch diejenigen, die erst nach dem Stichtag wohnungslos
werden. Deshalb liegt eine Jahresgesamtzahl immer deutlich höher. Sie
misst im Unterschied zu einer Stichtagszahl die tatsächliche Zahl der
von Wohnungslosigkeit im Verlauf eines Jahres betroffenen Menschen und
bildet somit das gesellschaftliche Ausmaß des Problems besser ab.

Die deutlich gestiegene Stichtagszahl gibt einen Hinweis darauf, dass
die durchschnittliche Belas-tung der vorhandenen Kapazitäten der
Beratungsdienste, Tagesaufenthalte, niedrigschwelligen
Versorgungsangebote und der Unterbringungsangebote stark angestiegen
ist. Eine entsprechend bessere finanzielle und personelle Ausstattung
ist geboten.“

Struktur der Wohnungslosigkeit 2018

Die folgenden Zahlen und Daten zur Struktur der Wohnungslosigkeit
beziehen sich auf die Jah-resgesamtzahl und berücksichtigen nicht die
wohnungslosen anerkannten Geflüchteten, da für diese Gruppe der
Wohnungslosen keine entsprechenden soziodemografischen Daten verfügbar
sind:

Ca. 41.000 Menschen im Laufe eines Jahres leben ohne jede Unterkunft auf der Straße.

Ca. 166.000 (70%) der wohnungslosen Menschen sind alleinstehend,
71.000 (30%) leben mit Partnern und/oder Kindern zusammen. Die BAG W
schätzt die Zahl der Kinder und minderjährigen Jugendlichen auf 8%
(19.000), die der Erwachsenen auf 92% (218.000). Der Anteil der
er-wachsenen Männer liegt bei 73% (159.000); der Frauenanteil liegt bei
27% (59.000).(Alle Angaben jeweils ohne Berücksichtigung der
wohnungslosen Geflüchtete.)

Ca. 17% der Wohnungslosen (ohne Einbezug der wohnungslosen
Geflüchteten) sind EU-Bürgerinnen und -Bürger; das sind ca. 40.000
Menschen. Viele dieser Menschen leben ohne jede Unterkunft auf der
Straße. Vor allem in den Metropolen beträgt ihr Anteil an den Personen
ohne jede Unterkunft auf der Straße bis zu ca. 50%. Die
„Straßenobdachlosigkeit“ ist stark durch die EU-Binnenzuwanderung
geprägt; dies trifft für die Wohnungslosigkeit insgesamt nicht zu.

Armut und Wohnungsnot

Werena Rosenke: „Hauptgründe für die steigende Zahl der Wohnungslosen
sind für die BAG W das unzureichende Angebot an bezahlbarem Wohnraum,
die Schrumpfung des Sozialwohnungs-bestandes und die Verfestigung von
Armut. Es fehlt insbesondere an bezahlbarem Wohnraum für Menschen im
Niedrigeinkommensbereich, für die Menschen, die Transferleistungen
beziehen und für anerkannte Geflüchtete. Alleinerziehende und junge
Erwachsene sind besonders vulnerable Personengruppen, aber auch die
drohende Altersarmut, der Generation der Billigjobber und –jobberinnen,
der Soloselbständigen und anderer prekär beschäftigten Menschen bereitet
uns große Sorge. Wie sollen sich diese Menschen auf einem Wohnungsmarkt
versorgen, auf dem es insb. an bezahlbaren Kleinwohnungen mangelt?“

Der besonders großen Nachfragegruppe der Einpersonenhaushalte (17,3
Millionen) stand im Jahr 2018 nur ein Angebot von 5,4 Millionen Ein- bis
Zweizimmerwohnungen gegenüber.

Wohnungslosenstatistik dringender denn je

Der weitere Anstieg der Wohnungslosenzahlen von 2017 auf 2018 - auf
bereits insgesamt hohem Niveau - macht deutlich: Ein Ende der
Wohnungskrise ist nicht in Sicht und zeigt, bundesweit ein-heitlich
erhobene Zahlen zur Entwicklung der Wohnungslosigkeit vorlegen zu
können, ist wichtiger denn je.

Werena Rosenke: „Das von Bundesminister Hubertus Heil auf den Weg
gebrachte Wohnungslo-senberichterstattungsgesetz ist ein wichtiger
Schritt in diese Richtung. Wir freuen uns, dass damit eine langjährige
Forderung der BAG W aufgegriffen worden ist. Verbesserungsvorschläge und
Kritikpunkte am vorliegenden Gesetzentwurf hoffen wir in den
Beratungsprozess des Gesetzent-wurfs einbringen zu können.“

Der Bund muss mehr Verantwortung für eine soziale Wohnungspolitik übernehmen

Die BAG Wohnungslosenhilfe kritisiert, dass die Bundesmittel für den
sozialen Wohnungsbau in 2020 und 2021 mit jeweils 1 Mrd. € niedriger
angesetzt sind als in den Vorjahren.

Rosenke: „Benötigt werden pro Jahr 80.000 bis 100.000 neue
Sozialwohnungen und weitere 100.000 bezahlbare Wohnungen. Die
Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag das Ziel von 375.000
neuen Wohnungen pro Jahr gesetzt. Neu gebaut wurden im Jahr 2017 aber
nur 285.000 Wohnungen, darunter lediglich 27.000 Sozialwohnungen. Damit
wird nicht einmal der Teil der Wohnungen, der aus der Sozialbindung
fällt, ausgeglichen.“

Endlich das Aus für Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft

Rosenke: „Wir begrüßen ausdrücklich das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts: Das Gericht hat Sanktionen für unvereinbar
mit dem Grundgesetz erklärt soweit die Leistungsminderung 30 % des
Regelbedarfs übersteigt oder zu einem vollständigen Wegfall der
Leistungen führt. Somit kann es zukünftig keine Sanktionen mehr bei den
Kosten der Unterkunft geben. Damit wäre endlich eine unserer
langjährigen Forderungen erfüllt. Da für Bürgerinnen und Bürger unter 25
Jahren keine anderen grundgesetzlichen Rechte gelten können, müssen für
die U25-Jährigen die besonders harten Sanktionsregeln und die
Sanktionierungen bei den KdU ab sofort der Vergangenheit ange-hören.
Hier erhoffen und erwarten wir eine zügige gesetzliche Umsetzung des
Richterspruchs.“

Prävention verstärken

Die aktuellen Wohnungslosenzahlen machen intensivere Anstrengungen zur Vermeidung von Wohnungsverlusten noch dringlicher.

Rosenke: „Auch bei der Prävention hat der Bund Regelungskompetenz,
die er unserer Meinung nach wahrnehmen muss: Bei der
Mietschuldenübernahme im SGB II sollte wie im SGB XII eine
Leistungsgewährung als Beihilfe vorgesehen werden.

Darüber hinaus muss durch den Gesetzgeber dringend klargestellt
werden, dass bei einer Miet-schuldenbefriedigung nicht nur die fristlose
Kündigung des Mietverhältnisses, sondern auch die ggf. hilfsweise
erklärte ordentliche Kündigung geheilt ist.“

„In jede Kommune und jeden Landkreis gehört eine Fachstelle zur
Verhinderung von Wohnungs-verlusten“, erklärte Karin Kühn, die
Vorsitzende der BAG W. „Die Kompetenzen zum schnellen Handeln bei
gefährdeten Mietverhältnissen müssen an einer Stelle gebündelt und die
Fachstelle muss für alle betroffenen Haushalte zuständig sein. Die
freigemeinnützigen Träger der Wohnung-slosenhilfe werden sich mit ihrer
großen Kompetenz in der aufsuchenden Arbeit und in der Bera-tung und
Begleitung von Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen in die
Präventionsans-trengungen vor Ort einbringen.

Um Wohnungslosigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen, sollten die
Unternehmen der Woh-nungswirtschaft und insb. auch die privaten
Kleinvermieter bei ersten Anzeichen eines gefährdeten Mietverhältnisses
kompetente Ansprechpartner in der Kommune und bei den freien Trägern der
Wohnungsnotfallhilfe finden, die dann frühzeitig intervenieren können,
um den Wohnungsverlust abzuwenden. Eine frühzeitige aufsuchende
Kontaktaufnahme  zu dem betroffenen Haushalt bietet die beste Chance,
Wohnungslosigkeit zu verhindern.“

Wohnungen für Wohnungslose

Karin Kühn: „Wir als Wohnungslosenhilfe wissen: Bezahlbarer Wohnraum
ist zwar Voraussetzung für die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, aber
nicht ausreichend, denn wohnungslose Men-schen werden oft stigmatisiert
und besonders ausgegrenzt. Deshalb appellieren wir an die Kom-munen,
alle zur Verfügung stehenden Instrumente, Maßnahmen und Möglichkeiten
auszuschöp-fen, um wohnungslose Menschen mit eigenen Wohnungen zu
versorgen. Machbar sind Bindungen und Quotierungen im
Sozialwohnungsbestand für vordringlich Wohnungssuchende, so dass auch
wohnungslose Menschen mit Wohnraum versorgt werden können. Aber auch die
gezielte Akquirierung von Wohnungsbeständen bei privaten Vermietern und
der Wohnungswirtschaft sind eine vordringliche Aufgabe. Sog.
Gewährleistungsverträge zwischen Kommunen und Vermietern und andere
positive Anreize sind bereits erfolgreich in der Praxis erprobt.

Zusätzliche Wohnungen für Wohnungslose lassen sich auch dadurch
erschließen, dass die Richtwerte für die Kosten der Unterkunft (KdU) bei
wohnungslosen Haushalten deutlich über-schritten werden können.“

Menschenwürdige Notversorgung

Karin Kühn: „Wenn trotz aller Bemühungen ein Wohnungsverlust nicht
verhindert werden kann, müssen in ausreichender Zahl menschenwürdige
ordnungsrechtliche Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, mit
Beratungs- und Unterstützungsangeboten zur schnellstmöglichen
Wiedererlangung einer eigenen Wohnung. Die ordnungsrechtliche
Unterbringung muss unabhängig von sozialhilferechtlichen Ansprüchen,
Staatsangehörigkeit und aufenthaltsrechtlichen Status erfolgen.“

Pressekontakt:
Werena Rosenke, Geschäftsführerin BAG W, werenarosenke@bagw.de,    
0151-16 70 03 03

Sabine Bösing, stellv. Geschäftsführerin BAG W, sabineboesing@bagw.de,
030 – 2 84 45 37 - 20

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