»Beitragsservice« versucht, Rundfunkgebühren auch bei Hartz-IV-Beziehern einzutreiben. Betroffene können sich jedoch wehren, auch rückwirkend

03.09.2014 / Inland / Seite 4

Kein Schuldner per se

»Beitragsservice« versucht, Rundfunkgebühren auch bei Hartz-IV-Beziehern einzutreiben. Betroffene können sich jedoch wehren,
auch rückwirkend

Von Susan Bonath

… trotzdem muß gezahlt werden: Demonstration in Köln gegen die »heimliche Steuer« namens Rundfunkgebühr

Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Keine Lust auf Musikantenstadl? Pech gehabt, bezahlt werden muß die
Sendung trotzdem, wie auch alle anderen öffentlich-rechtlichen
Schmonzetten. Denn seit dem 1. Januar 2013 hat jeder, der eine Wohnung
hat oder ein Unternehmen betreibt, monatlich 17,98 Euro für eine
Leistung zu entrichten, die er am Wohn- oder Arbeitsort theoretisch in
Anspruch nehmen könnte. Ob er will oder nicht. Und der »Beitragsservice
ARD ZDF Deutschlandradio«, vormals Gebühreneinzugszentrale (GEZ), treibt
das Geld rigoros ein. Auch Bezieher von Grundsicherung und Hartz IV
werden derzeit mit Mahnschreiben überhäuft oder von der
Abwicklungsstelle für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
gleich selbst angemeldet, wie der Kieler Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
jetzt aus seiner Praxis berichtete. Menschen, die Anspruch auf
existenzsichernde Sozialleistungen haben, sind jedoch, ähnlich wie
Menschen mit bestimmten Behinderungen, befreit und können sich wehren.

»Auf Basis gesetzlicher Bestimmungen haben wir die Adreßdaten der
Einwohnermeldeämter mit den bei uns angemeldeten Beitragszahlern
abgeglichen«, lautet ein Textbaustein in massenhaft verschickten
Schreiben. Um dann unmißverständlich darauf hinzuweisen, daß entweder
»für diese Wohnung kein Beitragskonto existiert« oder daß »keine Zahlung
erfolgt« sei. Im Anschluß droht die Abwicklungsstelle damit, die
Anmeldung gegebenenfalls selbst vorzunehmen oder die Beiträge
zwangsweise einzutreiben.

Verschwiegen werde aber, so Hildebrandt, »daß sich Bezieher von
Sozialgeld oder Hartz IV auch rückwirkend von der Beitragspflicht
befreien lassen können«. Die vom »Service« formulierte Vermutung, die
angemeldeten Wohnungsnutzer seien Beitragsschuldner, könnten
Leistungsberechtigte, auch Aufstocker, einfach widerlegen. So stellen
die Jobcenter mit jedem halbjährlichen Bescheid eine »Bescheinigung über
Leistungsbezug zur Vorlage bei dem Beitragsservice ARD, ZDF und
Deutschlandradio« aus. Diese können Betroffene auch nachträglich vom Amt
einfordern. Wer diese Dokumente von Januar 2013 an nachweisen könne,
müsse nach Paragraph 14 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RBStV)
rückwirkend von der Gebühr befreit werden, stellte Hildebrandt klar.
Leistungsbezieher, die bereits zwangsweise angemeldet wurden und etwa
aus Angst vor einer Pfändung schon gezahlt haben, könnten außerdem noch
bis Ende dieses Jahres ihre Beiträge zurückfordern, betonte der Anwalt.

Gegen die neue »Haushaltsabgabe« gibt es seit der Einführung Gegenwehr.
Nach Angaben des Südwestrundfunks (SWR) sind bundesweit rund 600 Klagen
anhängig. Vorgeworfen werde in diesem vor allem, daß der Beitrag eine
verdeckte Steuer und damit verfassungswidrig sei. Doch etliche Klagen
vor Verwaltungsgerichten und den Landesverfassungsgerichten in
Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern sind inzwischen
gescheitert. Zuletzt hatte am 19. August das Potsdamer
Verwaltungsgericht die Gebühr für rechtmäßig erklärt. Den Argumenten der
neun Kläger wollte es nicht folgen. Sie sahen durch die Zahlpflicht die
Grundrechte auf Informationsfreiheit, Religionsfreiheit und allgemeine
Handlungsfreiheit verletzt. Außerdem rügten die Kläger den Meldeabgleich
als »Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung«. Der
Rundfunkbeitrag sei, so die Richter, keineswegs eine Steuer. Es handele
sich vielmehr um eine rechtmäßige Gegenleistung für das verfügbare
öffentlich-rechtliche Programm. Wie der Dannstadter Rechtsanwalt Volker
Blees dazu auf der Webseite derDeutschen Anwaltshotline berichtete, gibt
es aber nach wie vor kontroverse Auffassungen, ob die Gebühr
verfassungsgemäß ist oder nicht. »Letztlich wird wohl das
Bundesverfassungsgericht darüber zu entscheiden haben«, konstatierte
Blees.

In Brandenburg allerdings erzielten Besitzer von Wochenendgrundstücken
jüngst einen kleinen Sieg. Über 100 Bürger hatten sich beim
Petitionsausschuß des Landes darüber beschwert, daß sie seit Januar 2013
einen zusätzlichen Rundfunkbeitrag für ihre Datsche zahlen mußten, und
zwar für das gesamte Jahr. Dabei nutzten sie ihre Anwesen lediglich im
Sommer. Ende August teilte die Staatskanzlei nach einer Beratung mit den
Rundfunkanstalten mit, daß Betroffene sich nun doch zumindest
halbjährlich von der zweiten Gebühr – für ihre Wohnung müssen sie
ohnehin zahlen – befreien lassen könnten. Allerdings müßten sie dafür
nachweisen, daß die Laube nicht für Wohnzwecke zugelassen sei.

http://www.jungewelt.de/2014/09-03/029.php