„Wir brauchen einen Konsumraum für Crack“

 

„Wir brauchen einen Konsumraum für Crack“

Die Drogenhilfe ächzt unter dem enormen Bedarf. Die Wartelisten für die Beratung sind lang, der Konsumraum reicht nicht aus.

Von Verena Kensbock

DÜSSELDORF | Es dauert nur wenige Sekunden, bis das Crack in die Blutbahn gelangt und den Kick auslöst, ein Gefühl von Euphorie und Allmächtigkeit, so beschreiben es Konsumenten. Doch das Hoch dauert nur wenige Minuten, hinterlässt Leere und die Gier nach dem nächsten Rausch. Es sind die Folgen dieser Wirkung, des schnellen Auf und Abs, die in Düsseldorf gerade auf dem Worringer Platz und bei der benachbarten Drogenhilfe zu beobachten ist.

Nie zuvor wurde im Drogenkonsumraum an der Erkrather Straße so häufig konsumiert, knapp 96.000 Mal im vergangenen Jahr. Das liegt zum einen daran, dass es dort deutlich mehr Platz gibt als in den vorigen Jahren. Der geschützte Raum mit den Edelstahltischen wurde umgebaut, von zehn auf 17 Plätze vergrößert. Aber es liegt auch an der raschen Wirkung des Cracks, die in immer kürzeren Abständen eine neue Dosis verlangt.

Crack hat sich in Düsseldorf rasant ausgebreitet und macht mittlerweile fast ein Drittel aller Konsumvorgänge in dem Raum aus. Dabei war die Droge vor einem Jahrzehnt in Nordrhein-Westfalen noch gar kein Thema. Erst vor wenigen Jahren begannen die Abhängigen, im Drogenkonsumraum Kokain mit Natron aufzukochen. Die dabei entstehenden Steine sind das Crack, weiß-gelblich oder rosa. Seitdem wird dort immer häufiger Crack geraucht. Innerhalb eines Jahres hat sich die Zahl der Konsumvorgänge fast verdoppelt – 31.300 Mal wurde 2023 in dem Raum Crack geraucht. Zum Vergleich: 2020 waren es noch weniger als 9000, in den Jahren 2015 und 2016 waren es zusammengerechnet nicht einmal 350.

Und was im Drogenkonsumraum geschieht, ist nur ein kleiner Teil der Realität. „Wir erreichen viele Crack-Abhängige gar nicht“, sagt Michael Harbaum, Leiter der Düsseldorfer Drogenhilfe. Zehn Minuten Wartezeit auf einen Platz seien bei dem hohen Suchtdruck für viele schon zu lang. Zudem teilen sich Crack-Abhängige oftmals eine Pfeife. Das Teilen von Substanzen ist in Drogenkonsumräumen aber verboten. Also rauchen sie auf der Straße – 880 Mal wanderten Abhängige im vergangenen Jahr ab. „Das muss sich schnell ändern“, sagt Harbaum. Dafür bräuchte es aber eine bundesweite Gesetzesänderung.

Aus Sicht der Drogenhilfe bedarf es aber noch mehr: „Wir brauchen einen weiteren Konsumraum, am besten für Crack“, sagt der Chef der Drogenhilfe. Angesichts des Bedarfs müsste der Konsumraum zudem rund um die Uhr geöffnet haben. Aktuell öffnet die Drogenhilfe das Angebot jeden Morgen, werktags ist um 20.30 Uhr Schluss, am Wochenende schon um 15.45 Uhr. Zeiten, an die sich Drogenabhängige nicht halten können. „Crack verschiebt die Wahrnehmung von Tag und Nacht“ sagt Harbaum. Nicht selten hätten sie mit Menschen zu tun, die seit Tagen nicht geschlafen haben.

Das Verlangen nach Crack ist oft so stark, dass Abhängige Bedürfnisse wie Essen, Schlafen und Körperhygiene manchmal über Tage und Wochen vernachlässigen. Das sei bei Heroin zwar ähnlich, doch bei Crack stark beschleunigt. „Wir kriegen manche Leute nicht einmal ernährt“, sagt Michael Harbaum. Man denke bei der Drogenhilfe darum darüber nach, auch Flüssignahrung anzuschaffen.

Viele Suchtkranke verwahrlosen, sie nehmen stark ab, kratzen sich im Wahn die Haut auf, verfallen in Psychosen, ihnen fallen die Zähne aus. Die Droge betäubt zugleich die Schmerzen, die sie verursacht. Doch auch an medizinischer Hilfe mangelt es. Die Drogenhilfe beschäftigt derzeit einen Krankenpfleger in der drogentherapeutischen Ambulanz. Er berichtet von zunehmend großflächigen Wunden, die nicht heilen wollen. Die Behandlung sei aufwendig und zeitintensiv. Die Drogenhilfe hat erstmals eine Warteliste eingeführt. Doch auch dort ist das lange Warten für viele unmöglich.

All das fällt in den Bereich der Überlebenshilfe. Ebenso groß sind aber die Felder Wohnen, Beratung und Suchtprävention. Alle seien ausgelastet, sagt Harbaum. „Unsere Arbeit orientiert sich nicht am Bedarf, sondern nur an dem Personal, das uns zur Verfügung steht.“ Da ist etwa die Beratungsstelle für Suchtfragen namens „Perspektive“. Im vergangenen Jahr erreichten die Beratungen mehr als 900 Konsumenten und Angehörige, meist ging es um Cannabis. Erstmals braucht es nun eine Warteliste. Junge Menschen und besonders dringliche Anliegen haben Vorrang.

Da ist die Fachstelle Crosspoint, die Workshops in Schulen, Vorträge, Lesungen und Theaterstücke als Präventionsarbeit leistet. Wartezeit: ein Jahr. Und da ist das betreute Wohnen, das derzeit 90 Suchtkranken ein Zuhause bietet, etwa in WGs oder kleinen Appartements. Viele wollen irgendwann in eine eigene Wohnung umziehen, sagt Michael Harbaum. Doch immer häufiger scheitern sie am Wohnungsmarkt und werden nicht fündig. Und die Plätze im betreuten Wohnen werden nicht mehr frei. Vor allem aber fehle es an Rückzugsräumen für Drogenabhängige im öffentlichen Raum, sagt der Leiter der Drogenhilfe. Geblieben ist nur der Worringer Platz, auf dem es fast täglich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen komme. Dort treffen sich zu viele Abhängige auf zu kleinem Raum. Und das Crack, das gereizt und mitunter aggressiv mache, tue ein Übriges.

Info

Die Drogenhilfe per Instagram und Podcast

Ausblick Die Drogenhilfe rechnet mit einem Anstieg synthetischer Opioide wie Fentanyl oder Carfentanyl. Heroin wird etwa damit gestreckt, um die Wirkung kostengünstig zu verstärken. Wenige Mikrogramm dieser künstlich hergestellten Substanzen können zum Tode führen – mehr Drogentote in Düsseldorf könnten die Folge sein.

Prävention Die Drogenhilfe geht auch neue Wege, um Präventionsarbeit zu leisten. Auf den Instagram-Kanälen @suchtperspektive und @duesseldorfer_drogenhilfe gibt es etwa Aufklärung über unterschiedliche Drogen, Beratungs- und Therapiemöglichkeiten.

Podcast „Über.Leben – Perspektiven von unten“ ist ein Audioprojekt der Drogenhilfe, das Abhängige zu Wort kommen lässt.

RP