536.000 Rentner sind auf Grundsicherung angewiesen RP 20.4.16
Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt aber weiterhin erst bei drei
Prozent. Die Politik streitet über Rezepte gegen die Altersarmut.
VON BIRGIT MARSCHALL
BERLIN Die Zahl der Menschen, die im Rentenalter auf staatliche Grundsicherung
angewiesen sind, hat sich seit 2003 mehr als verdoppelt. Im Dezember
2015 haben nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes rund
536.000 Menschen finanzielle Hilfen im Alter bezogen. 2003, im Jahr der
Einführung der Sozialleistung, waren es dagegen erst 258.000, wie die
Statistiker gestern mitteilten. 2014 hätten rund 512.000 die
Grundsicherung im Alter bezogen. 2015 stieg die Zahl der Rentner, die
von dieser Sozialhilfe abhängig sind, im Vergleich zum Vorjahr um 4,5
Prozent. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt jedoch weiterhin erst
bei drei Prozent.
Trotz des zurzeit noch
geringen Anteils hat in der Politik eine intensive Debatte über
Altersarmut Fahrt aufgenommen. CSU-Chef Horst Seehofer hatte sie
ausgelöst und behauptet, die Riester-Rente sei gescheitert, weshalb das
Niveau der gesetzlichen Renten nicht wie bisher geplant von derzeit etwa
48 Prozent des Durchschnittseinkommens bis 2030 auf 43 Prozent
abgesenkt werden dürfe.
Aufgeschreckt hatte auch
eine zweifelhafte Rechnung von WDR-Redakteuren, wonach 2030 angeblich
jeder zweite Rentner von der Grundsicherung abhängig ist. Die Berechnung
war voller Fehler, was auch der Sender einräumte. Tatsächlich könnte
nach einer Schätzung des wissenschaftlichen Beirats beim
Bundeswirtschaftsministerium der Anteil der Grundsicherungsempfänger an
allen Rentnern bis 2030 auf fünf Prozent steigen. Andere Rentenexperten
halten auch einen Anstieg auf bis zu neun Prozent für möglich, sollte
etwa die Wirtschaft in eine Krise stürzen und die Arbeitslosigkeit stark
steigen.
Das Ausmaß der Altersarmut lässt sich
allerdings nicht allein an der Zahl der Empfänger der Grundsicherung
ablesen, deren Höhe im Bundesdurchschnitt monatlich bei 840 Euro liegt.
Der Bremer Arbeitsmarktforscher Paul Schröder hat festgestellt, dass
2014 der Zahlbetrag von 10,9 Millionen Altersrenten unterhalb einer
sogenannten Armutsgefährdungsschwelle von 917 Euro gelegen hat. Auch die
Bundesregierung geht in der amtlichen Sozialberichterstattung davon
aus, dass 2,44 Millionen der insgesamt 15,4 Millionen Altersrentner
zumindest armutsgefährdet sind – das sind 16 Prozent.
Wichtigste
Ursache drohender Altersarmut sind die stark veränderten
Erwerbsbiografien. „Die Antwort der Rentenpolitik auf die neuen
Realitäten auf dem Arbeitsmarkt – hohe Teilzeitbeschäftigung, großer
Niedriglohnbereich, Langzeitarbeitslosigkeit und Solo-Selbstständigkeit
–, um dem Risiko einer steigenden Altersarmut zu begegnen, steht noch
aus“, sagt der Rentenexperte Bert Rürup.
Um das
Risiko der Altersarmut zu lösen, werden zwei Lösungen diskutiert. Die
kleine Lösung: ein neuer Freibetrag für die zusätzliche betriebliche und
private Altersvorsorge und gegebenenfalls auch für die gesetzliche
Rente bei der Anrechnung auf die Grundsicherung im Alter. Einen solchen
Freibetrag von 100 Euro monatlich haben die Wirtschaftspolitiker der
Union bereits gefordert. Die größere Lösung: eine Lebensleistungsrente
für Beschäftigte, die 40 Beitragsjahre nachweisen können, deren
Rentenanspruch wegen zu geringer Einzahlungen jedoch unter dem
Grundsicherungsniveau liegt. Ihre Bezüge würden aus Steuermitteln auf
etwa 910 Euro aufgestockt. Diese Solidarrente will die Koalition schon
2017 einführen. Problematisch daran ist, dass sie genau den Gruppen
nicht hilft, die am stärksten von Altersarmut betroffen sein werden:
Langzeitarbeitslose, erwerbsgeminderte Beschäftigte und
Solo-Selbstständige.