Altersarmut in Deutschland wächst

 

Altersarmut in Deutschland wächst

BERLIN (qua)
Das deutsche Rentensystem wird 2060 noch bezahlbar sein, bietet
aber einer wachsenden Zahl an Rentnern nicht mehr genug Schutz
vor Altersarmut. Wie aus einer Studie der
Industriestaaten-Organisation OECD hervorgeht, ist jeder zehnte
Rentner von Altersarmut bedroht. Das Rentensystem steht auch
national unter Druck. Die Unterschiede zwischen Ost und West
sind wegen der jetzt vergleichbaren Lebensverhältnisse kaum zu
erklären. Bei gleichem Verdienst sind die Renten im Osten 8,5
Prozent höher.

Leitartikel Seite A 2

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Jedem zehnten Rentner droht Armut

Im internationalen Vergleich erweist sich
das deutsche Rentensystem als solide finanziert. Es wirft aber
eher niedrige Renten ab.

VON EVA QUADBECK

BERLIN Das
deutsche Rentensystem steht finanziell auf einer soliden Basis,
bietet aber immer weniger Beitragszahlern echten Schutz vor
Altersarmut. Diesen Befund hat eine Vergleichsanalyse der
Industriestaaten-Organisation OECD unter 34 Nationen zutage
gefördert. In Deutschland ist aktuell etwa jeder zehnte über
65-Jährige von Altersarmut bedroht. Damit steht die
Bundesrepublik etwas besser da als der Durchschnitt der
Industrie-Nationen. Im europäischen Vergleich allerdings sehen
die deutschen Daten zum Armutsrisiko negativ aus. In den
Niederlanden (2), in Frankreich (3,8) und in Dänemark (3,8) ist
es deutlich geringer. Auch den Senioren in Spanien und
Griechenland droht der OECD zufolge seltener Altersarmut als den
Deutschen.

Positiv ist, dass der internationale Vergleich
dem deutschen Rentensystem eine solide Finanzlage bescheinigt.
Das gilt auch für die Zukunft, obwohl Deutschland in den
nächsten Jahrzehnten eine rasche Alterung der Bevölkerung
bevorsteht. Bis 2060 werden die Ausgaben der gesetzlichen
Rentenversicherung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, moderat um
12,7 Prozentpunkte ansteigen. Der Preis für die soliden
Finanzen: Das Rentenniveau hierzulande ist niedrig. Die
Rentenzahlung liegt bei nur 53,4 Prozent des früheren
Netto-Einkommens. Im OECD-Durchschnitt beträgt sie 63 Prozent.
Selbst wenn man in Deutschland eine volle Riester-Rente in die
Berechnung mit einbezieht, liegen die deutschen Renten unter dem
Durchschnitt der Industrienationen.

Die seit Sommer 2014 bestehende Möglichkeit, mit
63 Jahren abschlagfrei in Rente zu gehen, hat das
durchschnittliche Renteneintrittsalter für Männer in Deutschland
wieder leicht sinken lassen. Aktuell liegt es der OECD zufolge
bei 62,7 Jahren. In den vergangenen zehn Jahren ist es gelungen,
den Renteneintritt von damals 61,8 um ein ganzes Jahr anzuheben.
Entscheidend für die Finanzierung von Rentenkassen ist stets
auch die Frage der Bezugsdauer. Da liegt Deutschland mit 22,8
Jahren leicht über dem Mittelwert der OECD. Besonders lang
genießen die Rentner in Frankreich ihren Ruhestand mit 27,2
Jahren, während die Japaner, die durchschnittlich am längsten
leben, nur 21,8 Jahre Rente beziehen. Sie gehen aber auch mit
67,6 Jahren deutlich später in Rente als die Franzosen, die
bereits mit 59,8 Jahren im Durchschnitt den Ruhestand beginnen.

Eine Besonderheit in Deutschland bleiben die
Unterschiede der Rentensysteme in Ost und West. Wegen der
niedrigeren Löhne im Osten werden auch 25 Jahre nach der
Deutschen Einheit im Osten die Löhne für die Rente höher
gewertet. Im Gegenzug sind die Rentenwerte im Osten niedriger.
Dennoch ergibt sich der Effekt, dass die Ostdeutschen bei
gleichem Lohn mehr Rente als Beschäftigte im Westen erhalten.
Der Vorteil liegt aktuell bei 8,5 Prozent, wie die
„Bild“-Zeitung unter Berufung auf ein Gutachten des
Sozialbeirats der Bundesregierung berichtet.

Die Rentensysteme in Ost und West sollen
eigentlich angeglichen werden. Doch bislang hat noch keine
Bundesregierung ein entsprechendes Gesetz erlassen.

RP 2.12.2015