Umstrittener Armuts- und Reichtumsbericht
Ein 600 Seiten langer Bericht verdeutlicht ein zunehmende
Vermögensungleichheit in der deutschen Gesellschaft. Doch die
Schlussfolgerungen aus dem Papier sehen unterschiedlich aus.
(SPD) in einer Suppenküche in Berlin. Rund 1,5 Millionen Menschen sind
hierzulande auf Lebensmitteltafeln angewiesen.
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch nach monatelangem regierungsinternem Gezerre den fünften Armuts- und
Reichtumsbericht beschlossen, der mehr als 600 Seiten umfasst. Der
Bericht zeige, „dass es eine verfestigte Ungleichheit bei den Vermögen
gibt“, sagte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). „Die reichsten
zehn Prozent der Haushalte besitzen mehr als die Hälfte des gesamten
Nettovermögens, die untere Hälfte nur ein Prozent“, fügte sie hinzu. Vor
allem komme der wirtschaftliche Aufschwung nicht bei allen an. „Die
unteren 40 Prozent der Beschäftigten haben 2015 weniger verdient als
Mitte der 90er Jahre“, sagte Nahles. Harte Arbeit müsse sich auszahlen.
Die Bundesregierung verweist nicht ohne Stolz auf das kontinuierliche
Wirtschaftswachstum, die hohe Beschäftigtenzahl und die niedrige
Arbeitslosigkeit. Zugleich muss sie einräumen, dass es noch immer das
Phänomen verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit gibt – mit fast einer
Million betroffener Menschen. Besorgniserregend erscheint zudem, dass
eine für den Bericht in Auftrag gegebene Studie ergeben hat, dass die
„berufliche Aufstiegsmobilität von Generation zu Generation abgenommen
hat“. Vor allem den um das Jahr 1960 geborenen Menschen sei es „häufiger
gelungen, einen niedrigen beruflichen oder Bildungsstatus der
Elterngeneration zu überwinden und einen Aufstieg mindestens in den
mittleren Status zu erreichen“, heißt es im Regierungsbericht. Im
Gegensatz dazu sei die Wahrscheinlichkeit, einen solchen sozialen
Aufstieg zu erreichen, für die zwischen 1970 und 1986 Geborenen nur noch
etwa halb so hoch.
Die Schlussfolgerungen aus dem Armutsbericht fallen inner- wie
außerhalb der Bundesregierung sehr unterschiedlich aus. Die Union
verwies darauf, gute wirtschaftliche Rahmendaten seien die Voraussetzung
für Wohlstand. SPD-Ministerin Nahles forderte einen „Pakt für
anständige Löhne – im Handel etwa, in der Pflege oder bei anderen
Dienstleistungen“.
Wer den Leuten weismachen will, Armutsbekämpfung bekäme man zum Nulltarif, streut Sand in die Augen.
Ulrich Schneider, Paritätischer Wohlstandsverband
Sozialverbände warfen der Regierung vor, die Ungleichheit bei
Einkommen und Vermögen nur zu beschreiben, aber keine Rezepte für ihre
Bekämpfung anzubieten. Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte ein
Gesamtkonzept gegen Armut und Ausgrenzung. „Wer den Leuten weismachen
will, Armutsbekämpfung bekäme man zum Nulltarif, streut Sand in die
Augen“, sagte der Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Der Präsident
des Sozialverbandes SoVD Adolf Bauer forderte, nun müssten konkrete
Maßnahmen folgen.
Das Problem, sich angesichts unterschiedlicher Interessen auf eine
gemeinsame Sicht der Realität zu verständigen, hatte auch die
Ressortabstimmung des Berichts gezeigt. So war etwa folgender,
ursprünglich vom Arbeitsministerium in den Bericht geschriebene Satz
gestrichen worden: „Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung
ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen
Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird.“
Mehr als eine Million Menschen haben 2016 Leistungen der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erhalten. Wie das
Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte, waren das im Vergleich zum
Jahr zuvor 1,2 Prozent weniger Personen, die staatliche „Stütze“ in
Anspruch nehmen konnten. Ein wesentlicher Grund dafür könnte sein, dass
das Wohngeld gestiegen ist. (mit dpa)
http://www.fr.de/wirtschaft/bericht-umstrittener-armuts-und-reichtumsber...
12.04.2017
Armuts- und Reichtumsbericht:
Paritätischer Wohlfahrtsverband kritisiert Bericht und fordert steuer-
und sozialpolitisches Gesamtkonzept
Pressemitteilung
Von: Janina Trebing
Deutliche Kritik am Armuts- und Reichtumsbericht der
Bundesregierung äußert der Paritätische Wohlfahrtsverband anlässlich
seiner heutigen Befassung im Kabinett. Zugleich mahnt der Verband
dringenden politischen Handlungsbedarf an. Der neue Armuts- und
Reichtumsbericht der Bundesregierung belege zwar faktenreich die
zunehmende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen. Zu deren Bekämpfung
biete er jedoch nur ein „Sammelsurium von Konjunktiven“.
„Der Umfang der sozialen Polarisierung steht in einem krassen Gegensatz zu
den nun veröffentlichten Plänen und angekündigten Maßnahmen der
Bundesregierung. Es wird nicht erkennbar, dass die Bundesregierung Armut
entschieden bekämpfen will“, kritisiert Ulrich Schneider,
Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Wir brauchen
einen sozial- und steuerpolitischen Richtungswechsel, keine heiße Luft“.
Der Armuts- und Reichtumsbericht dokumentiere beispielsweise, dass 84
Prozent der Bevölkerung zwischen 2010 und 2015 eine Zunahme von Armut
festgestellt hätten und dass in der Vergangenheit auch Kinderarmut und
Ungleichheit gewachsen seien. Die Bundesregierung formuliere in ihrer
erstmals veröffentlichten Schlussfolgerung dennoch nur wenige,
unzusammenhängende Vorschläge dagegen.
Der Paritätische forderte deshalb ein Gesamtkonzept gegen Armut und Ausgrenzung, für sozialen
Zusammenhalt. „Die Bundesregierung ist aufgefordert, verbindliche Ziele
und Maßnahmen zum Abbau von Armut und sozialer Ungleichheit zu
formulieren. Stückwerkpolitik hilft nicht “, betont Schneider.
Zwingende Voraussetzung für eine effektive Armutsbekämpfung sei eine
solidarische Steuerpolitik. „Wer den Leuten weismachen will,
Armutsbekämpfung bekäme man zum Nulltarif, streut Sand in die Augen“, so
Schneider.
http://www.der-paritaetische.de/presse/detail/News/armuts-und-reichtumsb...