25.12.2014
Zehn Jahre Hartz IV: Ziele verfehlt, großer Reformbedarf
Am 1. Januar 2005 trat das so genannte
Hartz-IV-Gesetz in Kraft. Die Ziele waren hoch gesteckt, wurden aber
weitgehend verfehlt, so der DGB in einer Analyse: Die Chancen für
Hartz-IV-Empfänger am Arbeitsmarkt sind weiterhin "sehr ungünstig", die
Arbeitsförderung wurde "massiv gekürzt". Die DGB-Analyse sieht deshalb
umfassenden Reformbedarf.
"Hartz IV wurde nicht nur schlecht
gemacht, sondern hat zentrale Eckpfeiler und die Grundarchitektur des
bundesdeutschen Sozialsystems massiv verschoben", so ein Fazit der
DGB-Analyse zu zehn Jahren Hartz IV. DGB/Simone M. Neumann
"Schlecht umgesetzt"
"Die Ziele dieses Umbaus von Sozialstaat und Arbeitsförderung waren
hoch gesteckt. Insbesondere sollte eine ganzheitliche Betreuung und
bessere Kombination von Arbeitsförderung und sozialen Hilfen eröffnet
und eine Leistung 'aus einer Hand' sichergestellt werden", heißt es in
der DGB-Analyse zu zehn Jahren Hartz IV.
Allerdings seien die entsprechenden Maßnahmen zum Teil schlecht
umgesetzt worden oder "beschönigten oder verschleierten die
tatsächlichen Absichten".
"Hartz IV wurde nicht nur schlecht gemacht, sondern hat zentrale Eckpfeiler und
die Grundarchitektur des bundesdeutschen Sozialsystems massiv
verschoben", so ein Fazit der DGB-Analyse.
Beschäftigungseffekte umstritten
Die Beschäftigungseffekte der Reform seien äußerst umstritten und
trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung gelinge es bis heute kaum, die
Zahl der Menschen, die auf Fürsorgeleistungen angewiesen sind, deutlich
zu reduzieren. "Auch 10 Jahre nach Errichtung dieses Systems sind immer
noch mehr als 6 Millionen Menschen auf Hilfen zur Sicherung des
Existenzminimums angewiesen", so die Analyse des DGB. "Die Fortschritte
beim Abbau des Hilfebezugs sind relativ bescheiden, wenn auch Mitte 2014
noch 9,5 Prozent der Bevölkerung von der Geburt bis zur
Regelaltersgrenze auf diese Fürsorgeleistung angewiesen sind und dies
bei insgesamt relativ guter Wirtschaftssituation und
Beschäftigungsentwicklung."
Kaum Integrationschancen in den Arbeitsmarkt
Die Integrationschancen von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern
in den Arbeitsmarkt seien weiterhin niedrig, so eine weitere Kritik des
DGB. Bei genauerer Betrachtung seien "die Chancen für Hartz-IV-Empfänger
generell sehr ungünstig. Die Abgangsrate in Beschäftigung am ersten
Arbeitsmarkt zeigt nur leichte konjunkturelle Schwankungen und ist 2014
nicht höher als noch 2008."
Arbeitsförderung massiv gekürzt
Deutliche Kritik übt der DGB auch an den gekürzten Mitteln für die
Arbeitsförderung. "Die sozialen und arbeitsmarktpolitischen Ansätze für
Arbeitslose mit schlechten Vermittlungschancen greifen zu kurz. Neue
Instrumente und Hilfen für sie wurden kaum geschaffen. Zwar werden immer
wieder neue Sonderprogramme für Langzeitarbeitslose aufgelegt, die die
vorangegangene Kürzung der Fördermittel aber nicht einmal haben
kompensieren können."
Hartz IV hat Auswirkungen bis in die Mitte der Gesellschaft
Besonders kritisch sieht der DGB auch die Effekte, die die Angst vor sozialem Abstieg und vor Hartz IV auf die gesamte Arbeitswelt und Gesellschaft geschaffen habe. "Sowohl
in Betrieben wie im sozialen Umfeld der Beschäftigten wird die Gefahr
eines sozialen Abstiegs erkennbar und beeinflusst das Klima. Eine
Fürsorgeleistung auf Sozialhilfeniveau, scharfe Sanktionen und
Zumutbarkeitsregeln entfalten ihre disziplinierende Wirkung auf die
gesamte Arbeitnehmerschaft. Dies wirkt so in die Mitte von Arbeitswelt
und Gesellschaft zurück."
Hartz IV habe die Bereitschaft von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erhöht, Lohnabstriche und prekäre Beschäftigung in Kauf zu nehmen. Das habe die Ausweitung des Niedriglohnsektors zur
Folge gehabt. "Genau dies war die Intention der 2003/2004 politisch
Verantwortlichen", so die DGB-Analyse.
Reformbedarf
Die DGB-Analyse formuliert Reformbedarf beim Hartz-IV-System unter anderem zu folgenden Punkten:
- Das Hartz-IV-System muss entlastet und die vorgelagerten
Sicherungssysteme (insbesondere die Arbeitslosenversicherung) ausgebaut
werden. So sollten befristet Beschäftigte bei Jobverlust einen besseren
Zugang zur Arbeitslosenversicherung erhalten und über ein
Mindest-Arbeitslosengeld die Zahl jener reduziert werden, die nach
Job-Verlust unmittelbar auf staatliche Fürsorge abrutschen.
Sozialversichert Beschäftigte mit aufstockendem Hartz IV sollten
gleichfalls von der Arbeitslosenversicherung betreut werden. - Die Arbeitsförderung muss ausgebaut werden. So sollte die Dominanz
des "Forderns" zugunsten des Förderns korrigiert und Rechte für die
Betroffenen auf Förderung ausgebaut werden. - Existenzgefährdende Sanktionen müssen aufgehoben werden.
Sozialstaatliche Zumutbarkeitsregelungen sind ebenso notwendig, die
keine Sanktionen mehr bei nicht existenzsichernder Arbeit vorsehen. - Insbesondere die Mittel für Weiterbildung müssen erhöht und
finanzielle Anreize für Hartz-IV-Empfänger geschaffen werden, die einen
Berufsabschluss anstreben. Bisher sind sie finanziell schlechter
gestellt als jene, die einen Ein-Euro-Job ausüben. - Die sozialen Integrationshilfen und das Ziel der sozialen Teilhabe
müssen für jene ausgebaut werden, die auf absehbare Zeit keine Chance
auf dem regulären Arbeitsmarkt haben. Dies sollte mit einer besseren
Zusammenarbeit und Kooperation unterschiedlicher Institutionen – wie den
Jobcentern und den Krankenkassen – verknüpft werden. - Arbeitsförderung sollte eine "neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt"
unterstützen. Prekäre Beschäftigung muss zurückgedrängt und auch
Langzeitarbeitslosen Mindestlöhne von 8,50 Euro gezahlt werden. - Um Armut von Erwerbstätigen mit Kindern wirksamer bekämpfen zu
können, sollte ergänzend zum Mindestlohn der Kinderzuschlag sowie das
Wohngeld für Geringverdiener ausgebaut werden. - Notwendig sind zudem soziale Standards in der Arbeitswelt, die der
Leiharbeit wie den Werkverträgen sozialstaatliche Grenzen setzen und
Scheinselbständigkeit wirksam bekämpfen.
Mehr in der DGB-Analyse "Zehn Jahre Hartz IV: Ein Grund zum Feiern?":
DGB-Analyse - Zehn Jahre Hartz IV: Ein Grund zum Feiern?
(PDF,
244 kB)
http://www.dgb.de/themen/++co++159cb73c-8a9e-11e4-8341-52540023ef1a