Hilfswerke schlagen Alarm: Eine Milliarde Menschen hungern
Corona und Klimawandel, Konflikte und Heuschrecken: Helfer schlagen Alarm
angesichts einer Verdichtung von Krisen in vielen Ländern.
Die Zahl der hungernden Menschen weltweit drohe auf eine Milliarde
anzusteigen, warnte die Welthungerhilfe am Dienstag. „Corona ist der
Brandbeschleuniger der sowieso vorhandenen Krisen“, sagte die
Präsidentin der Hilfsorganisation, Marlehn Thieme.
Wegen Klimakrise und Kriegen sinke die Zahl der Hungernden nicht mehr wie jahrzehntelang.
Der Klimawandel bleibe „einer der größten Hungertreiber“, Konflikte
machten in der Pandemie keine Pause. Die Lage der Ärmsten etwa in
Syrien, Jemen, Südsudan oder Afghanistan werde sich in diesem Jahr noch
deutlich verschlimmern, befürchtete Thieme.
Das Hilfswerk Misereor wies besonders auf die Lage in Kenia und Äthiopien hin. Dort
sei die Lebensgrundlage von hunderttausenden Menschen bedroht. Schon
seit Beginn des Jahres kämpfen beide Länder mit der schlimmsten
Heuschreckenplage seit Jahrzehnten, so das Hilfswerk. Nach Corona und
den Einschränkungen des öffentlichen Lebens hätten nun starke Regenfälle
zu Überflutungen in Kenia geführt.
Die Häufung der Notlagen überfordere die lokalen Verwaltungen, erklärte die
Kenia-Länderreferentin bei Misereor, Katharina Götte: „Es gibt nicht
genügend finanzielle Ressourcen, um der Bevölkerung zu helfen.“ Im Zuge
der Corona-Einschränkungen hätten viele Menschen ihre Arbeit verloren,
Lebensmittelpreise seien stark angestiegen.
Äthiopien-Länderreferentin Dorothee Zimmermann warnte zudem vor weiteren Schäden durch die nächste
Generation der Insektenschwärme. Dies betreffe insbesondere den
ländlich geprägten Süden des Landes. „Dabei sind die Weideflächen vieler
Viehhirten bereits jetzt vernichtet. Die von der Landwirtschaft lebende
Bevölkerung hat schon große Teile der Ernten verloren.“
In Asien sind laut World Vision derzeit 110 Millionen Kinder von Hunger
bedroht. Nach einer Umfrage der Organisation sind vor allem finanziell
schwache Familien von den Covid-19-Maßnahmen betroffen, weil sie kaum
über Reserven verfügten. Dies gelte auch für andere Weltregionen: In
Venezuela gab jedes dritte befragte Kind an, momentan hungrig zu Bett zu
gehen.
Die Hilfswerke mahnten ein rasches Handeln an. Die Welthungerhilfe-Chefin warnte davor, Lockdowns
als Allheilmittel in der Pandemie zu betrachten und darüber die
entstehenden Kollateralschäden zu unterschätzen. So gingen die
Investitionen in Entwicklungsländern zurück. Der Vorstandschef von World
Vision, Christoph Waffenschmidt, betonte: „Ohne sofortige Maßnahmen
riskieren wir eine Zunahme von extremer Armut und Hunger, wie es sie
seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat.“ (kna)
https://www.fr.de/wirtschaft/hilfswerke-schlagen-alarm-13824732.html