Hilfen für Arme viel zu niedrig: Gewerkschaftlich-kirchliche Initiative wirft der Bundesregierung vor, gegen soziale Menschenrechte zu verstoßen

 

Aus: Ausgabe vom 20.12.2018, Seite 5 / Inland

Reste statt Rechte

Hilfen für Arme viel zu niedrig: Gewerkschaftlich-kirchliche
Initiative wirft der Bundesregierung vor, gegen soziale Menschenrechte
zu verstoßen

Von Susan Bonath
 
Nur noch Reste: Weihnachtsbäume sind in den
Regelsätzen von Hartz IV, Sozialhilfe und den Asylbewerberleistungen
nicht vorgesehen

Kinder lieben Weihnachtsbäume. Für Arme ist ein solcher aber nicht
vorgesehen. Auch Dinge wie Malstifte, Schwimmflügel oder Spielzeug ließ
die Bundesregierung aus den Regelsätzen bei Hartz IV, Sozialhilfe und
den Asylbewerberleistungen kleinlich herausrechnen. Windeln für
Säuglinge und Kleinkinder plus sämtliche Pflegeprodukte sollen
betroffene Eltern von genau 9,12 Euro finanzieren. Das ist der Betrag,
den die Politik den Jüngsten für Gesundheitspflege zugesteht. Auch für
Bücher fehlt das Geld, gibt es doch für Bildung nur 62 Cent im Monat.
Jene Dinge, an denen es armen Kindern in Deutschland mangelt, waren am
Dienstag an einem Baum im Gewerkschaftshaus München zu finden. Mit ihrer
Aktion »Hartz-IV-Christbaum« machte die bayerische Initiative »Rechte
statt Reste« auf »gravierende Lücken in der Grundsicherung« aufmerksam.

Der Zusammenschluss aus kirchlichen Sozialverbänden, wie Diakonie und
Caritas, sowie der Gewerkschaft Verdi appellierte an die
Bundesregierung, soziale Grundrechte einzuführen. Nur damit sei Armut zu
überwinden. Dafür müsse die Grundsicherung »neu ausgerichtet« werden,
erklärte die Initiative. Im Herbst hatte sie sich gemeinsam mit 14
anderen zivilen Organisationen am Prüfverfahren der Vereinten Nationen
(UN) in Genf zur Einhaltung des Sozialpakts beteiligt. Die Ergebnisse (jW berichtete) waren erschütternd.

So warf der UN-Sozialausschuss der Bundesregierung vor, soziale
Menschenrechte zu verletzen. Die Grundsicherung, welche mit Hartz IV,
Sozialhilfe oder Asylbewerberleistungen abgedeckt werde, ist danach »zu
gering bemessen, um ein angemessenes Leben zu führen«. Durch Sanktionen
auf die Minileistungen bis zu 100 Prozent werde das Grundrecht auf
Menschenwürde missachtet. Die Androhung der Strafen und weitreichende
Zumutbarkeitsregeln zwängen Betroffene, jeden Job anzunehmen. Ferner
übernehme der Staat viel zu geringe Wohnkosten angesichts exorbitant
gestiegener Mieten. Auch dadurch sei die Zahl der Obdachlosen in
Deutschland auf etwa 1,2 Millionen gestiegen, erklärte das Gremium (jW berichtete).

Die Initiative erinnerte ferner an eine weitere Rüge des
UN-Ausschusses: die wachsende Energiearmut. So stellten die Anbieter
2016 rund 328.000 Haushalten wegen unbezahlter Rechnungen den Strom ab.
Vergangenes Jahr traf es bereits 344.000 Familien, wie der in diesem
November vorgestellte aktuelle Bericht der Bundesnetzagentur ausweist.
»Zur Wahrung der Menschenrechte empfehlen die UN der Bundesregierung
unter anderem, die Grundsicherung zu erhöhen, höhere Grenzen bei der
Übernahme der Wohnkosten einzuführen, Stromsperren in armen Haushalten
zu verhindern und das Existenzminimum nicht durch Sanktionen zu
gefährden«, mahnte die Initiative und wies darauf hin: »Von Energiearmut
sind insbesondere Grundsicherungsempfänger betroffen.«

Imko mmenden Jahr steigt der Regelsatz für Alleinstehende um acht auf 424
Euro. Kinder erhalten aktuell 240 Euro, ab 2019 werden es 245 Euro sein.
Von den Beträgen sind 8,42 Prozent für die Stromrechnung vorgesehen.
Das sind aktuell 35 Euro für Einpersonenhaushalte. Das Vergleichsportal
Check 24 hatte am Montag eine Analyse veröffentlicht, wonach die
Hartz-IV-Sätze diesen Kosten immer mehr hinterherhinken. Dieser zufolge
ist Schleswig-Holstein das teuerste Pflaster. Dort müssten
Alleinstehende im Schnitt 710 Euro pro Jahr – 60 Euro im Monat – für
Strom ausgeben, heißt es. Betroffene müssen also monatlich etwa 25 Euro
von den Leistungen abzweigen, die für Lebensmittel (145 Euro) oder
andere Grundbedürfnisse vorgesehen sind. Erneut haben mehrere Konzerne
für nächstes Jahr spürbare Erhöhungen angekündigt. Bezieher von Hartz IV
und Sozialhilfe können meist wegen fehlender Bonität den Anbieter nicht
wechseln.

Der Regierung ist seit vielen Jahren bekannt, dass die
Lücke zwischen Preisen und Grundsicherung wächst. Sie denkt aber nicht
daran zu handeln. Die nächste komplette Neuberechnung der Sozialsätze
werde es vermutlich erst 2021 geben. Die aktuellen Beträge basieren noch
immer auf der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 2013. Diese EVS
gibt das Statistische Bundesamt im Fünfjahresrhythmus um zwei Jahre
zeitversetzt heraus. Zwischendurch werden die Regelsätze willkürlich
minimal erhöht. Bei der letzten Angleichung stand die Regierung in der
Kritik, sie gezielt klein gerechnet zu haben.

https://www.jungewelt.de/artikel/345787.hartz-iv-reste-statt-rechte.html