IWF prangert Ungleichheit an
Von Markus Sievers
Kritisiert die wachsende Ungleichheit: IWF-Chefin Christine Lagarde.
Foto: REUTERS
Regierungen sollen die Gewinne aus der Globalisierung fairer verteilen.
IWF-Chefin Lagarde ruft auf der Jahrestagung auf, mehr für Arbeitnehmer
mit mittleren und unteren Einkommen zu tun.
IWF-Chefin Christine Lagarde hat die
wachsende Ungleichheit vor allem in den reichen Ländern kritisiert. Auf
der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington
rief sie die Regierungen am Donnerstag auf, mehr für Arbeitnehmer mit
mittleren und unteren Einkommen zu tun. Andernfalls werde der Widerstand
gegen Globalisierung, freien Handel und auch die fortschreitende
Digitalisierung weiter zunehmen, warnte die IWF-Chefin.
„In
vielen Industrieländern und einigen Schwellenländern hat die zu
langsame Anpassung an den technischen Wandel und die Globalisierung die
Lohnsteigerungen für Arbeitnehmer mit mittleren und niedrigen
Qualifikationen reduziert, während die Gewinne für das Kapital und
hochqualifizierte Beschäftigte gestiegen sind“, heißt es in einem von
Lagarde herausgegebenen Papier zu den dringlichsten
wirtschaftspolitischen Aufgaben.
Der rasante
Wandel durch offene Märkte und digitale Anwendungen begünstigt einige
wenige. Die große Masse in den Vereinigten Staaten und Europa muss um
ihren Status kämpfen. Gerade in der Mittelschicht können viele den
gewohnten Wohlstand nicht halten.
Diese
Sichtweise auf die Weltwirtschaft machen sich seit einiger Zeit
zunehmend die politischen Verantwortlichen zu eigen. Sie übernehmen
damit zum Teil die Position von Globalisierungskritikern, wie das
Statement von Lagarde verdeutlicht. Allerdings bewertet sie die
Globalisierung grundsätzlich positiv. Falsch sei nur die politische
Reaktion gewesen. Als etwa China durch seinen Eintritt in den Weltmarkt
die reichen Nationen mit billigen Produkten versorgte und die Konkurrenz
verschärfte, hätten die Regierungen die Gewinne aus diesen
Veränderungen fairer verteilen müssen.
Dies sei
keine leichte Aufgabe, räumte Lagarde ein. Aber die Staaten könnten und
müssten mehr leisten, um etwa die Chancen von Jugendlichen und Frauen zu
verbessern. Sie sollten auch mehr Hilfe anbieten für die Menschen, die
sich beruflich neu orientieren müssten. Grundsätzlich aber habe die
Weltwirtschaft in einem gewaltigen Ausmaß von der Globalisierung und den
technischen Innovationen profitiert.
Die
Verbraucher in Deutschland, Australien oder Mexiko zählen aus IWF-Sicht
zu den Nutznießern, weil sie unzählige Produkte und Dienstleistungen
viel günstiger einkaufen können. Aber auch die Arbeitnehmer gewinnen,
jedenfalls in Schwellenländern wie China. Dort ist Hunderten Millionen
der wirtschaftliche Aufstieg gelungen. Die Armut ist in diesen Regionen
in einem enormen Tempo zurückgegangen.
Bereits im
vergangenen Jahr hatten die Staats- und Regierungschefs der G 20 in
ihrer gemeinsamen Gipfel-Erklärung betont, dass sie sich mehr um
sozialen Ausgleich kümmern müssten. Dahinter steckt die Furcht, dass die
Verlierer der Globalisierung gegen offene Märkte aufbegehren und eine
Abschottung ihrer Länder verlangen könnten. Ein solches politisches
Klima begünstige eine nach innen gerichtete Politik und erschwere
Reformen, meinte Lagarde. Als Beleg dafür gilt die Entscheidung der
Briten, die Europäische Union zu verlassen, um nationale Belange auf der
Insel einfacher regeln zu können.
Sorgen
bereiten dem IWF auch die massiven Proteste vor allem in Deutschland
gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP. Und in den USA sind weiße
Arbeiter so frustriert über die wirtschaftliche Entwicklung, dass beide
Präsidentschaftskandidaten vom traditionellen liberalen Kurs ihres
Landes abrücken. All dies trifft auf eine äußerst wacklige
Weltkonjunktur. Daher sieht der IWF ein steigendes Risiko, dass
Protektionismus und Abschottung die wirtschaftlichen Probleme
verschärfen und den Weg in die nächste Krise weisen könnten.
AUTOR
http://www.fr-online.de/wirtschaft/jahrestagung-iwf-iwf-prangert-ungleic...