Eine neue Statistik zum Armutsrisiko
in NRW versetzt Sozialverbände, Gewerkschaften und Opposition in
Alarmstimmung. Das Statistikamt IT NRW hatte Daten veröffentlicht,
wonach drei Millionen Menschen Gefahr laufen, in Armut abzurutschen. Als
arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient.
Die Armutsschwelle für einen Single lag demnach bei 968 Euro, für eine
vierköpfige Familie bei 2034 Euro. Nach Angaben der Statistiker ist das
Risiko in den vergangenen zehn Jahren gestiegen: Waren 2007 nur 14,5
Prozent der NRW-Bürger von Armut bedroht, stieg dieser Wert im
vergangenen Jahr auf 17,2 Prozent.
„Das ist ein Alarmsignal“
Jeder Sechste in NRW ist von Armut bedroht
„Ein Grund für das höhere Armutsrisiko in NRW
dürfte sein, dass die Einkommensentwicklung deutlich schlechter ausfällt
als im Rest der Republik“, sagte Christoph Schröder, Experte am
Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
„Das ist ein Alarmsignal“, sagte Oppositionsführer
Thomas Kutschaty (SPD) und warnte vor einem Auseinanderdriften der
Gesellschaft: „Was wir jetzt brauchen, sind gezielte Hilfen für die
betroffenen Menschen. Dazu gehören eine gute Qualifikation, faire Löhne,
ein höherer Mindestlohn und ein sozialer Arbeitsmarkt, in dem nach
Tarif bezahlt wird.“
Laut Statistik hat der Bildungsstand großen
Einfluss auf die soziale Stellung. In der Gruppe der
Hochschulabsolventen, Meister und Menschen mit höheren
Bildungsabschlüssen beträgt der Anteil armutsgefährdeter Personen nur
6,1 Prozent. Bei Menschen mit höchstens Fachhochschulreife,
abgeschlossener Ausbildung oder Abitur beträgt er schon 14,2 Prozent.
Bei denjenigen, die höchstens einen Haupt- oder Realschulabschluss
vorweisen können oder die Schule abgebrochen haben, liegt die Quote bei
42,4 Prozent. IW-Forscher Schröder meint, dass NRW hier zurückliege,
dürfte insbesondere am strukturschwachen Ruhrgebiet mit seinem großen
Niedriglohnsektor und der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote
liegen.
„Der beste Schutz vor Armut sind Bildung, eine
qualifizierende Berufsausbildung und eine entsprechende Tätigkeit“,
sagte Luitwin Mallmann, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands
Unternehmer NRW. Er nannte als weiteren Faktor die Zuwanderung: „Viele
neu Zugewanderte leben – noch – von Transferleistungen und fallen
deshalb unter die Armutsschwelle. Hinzu kommt, dass diese Menschen nach
deutschen Maßstäben oft keine höheren Qualifikationen aufweisen.“
NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte:
„Der beste Schutz vor Arbeits- und Perspektivlosigkeit ist eine
Ausbildung. Menschen in Arbeit zu bringen, ist daher Grundpfeiler von
Armutsbekämpfung.“ Er ergänzt: „Unser Ziel muss sein, dass Armut nicht
vererbt wird. Kinder brauchen in der Familie Vorbilder, die einem
geregelten Arbeitsleben nachgehen. Hierauf konzentrieren wir uns bei
unseren Projekten und auch beim sozialen Arbeitsmarkt. Mir ist
allerdings auch wichtig festzuhalten, dass Armut in Deutschland zunächst
einmal relative Armut ist. Unsere Grundsicherung schützt verlässlich
vor existenzieller Armut. Wichtig ist, dass wir unsere Gesellschaft so
gestalten, dass Menschen immer wieder eine Chance erhalten, um durch
Bildung und Fleiß aus dieser Situation aufzusteigen.“
Die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds in
Nordrhein-Westfalen, Anja Weber, forderte als Sofortmaßnahme eine
grundlegende Neu-Bemessung der Hartz-IV-Regelsätze, die den
tatsächlichen Bedarf deckten und wirksam vor Armut schützten. „Genauso
wichtig ist es aber, präventiv zu handeln: Bildungsbenachteiligungen,
Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit müssen wirksam bekämpft werden“,
forderte Weber. Zudem seien eine Ausbildungsgarantie, der soziale
Arbeitsmarkt, eine Qualifizierungsoffensive für Geringqualifizierte und
eine bessere Tarifbindung nötig.
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