Kinderarmut : Große Unterschiede, hohes Risiko für Flüchtlinge. Regierungsbezirk Düsseldorf belegt den vorletzten Platz

11.01.2016

Neue Auswertung

Kinderarmut in Deutschland: Große regionale Unterschiede, hohes Risiko für Flüchtlinge

Fast jedes fünfte Kind in Deutschland (19 Prozent) lebt in einem
Haushalt, der von Einkommensarmut betroffen ist. Im Verlauf der letzten
Jahre stagnierte die Kinderarmut auf diesem hohen Niveau, sie ist
allerdings im Vergleich zum Höchststand Mitte der 2000er Jahre gesunken.
Höhe und Entwicklungstendenzen der Kinderarmut unterscheiden sich
regional stark. Während in Bremen 33,1 Prozent, in Sachsen-Anhalt 28,7
Prozent und im Regierungsbezirk Düsseldorf 25,1 Prozent der Kinder und
Jugendlichen in armen Haushalten leben, sind es in den
Regierungsbezirken Oberbayern, Oberpfalz und Tübingen lediglich 9,1 bis
10,5 Prozent. Das zeigen die neuesten verfügbaren Daten aus dem
Mikrozensus, die das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut
(WSI) der Hans-Böckler-Stiftung für alle Bundesländer und detailliert
für insgesamt 39 Regionen der Bundesrepublik ausgewertet hat.

Vor dem Hintergrund der starken Zuwanderung könnte die Kinderarmut in
den kommenden Jahren spürbar steigen, erwartet WSI-Sozialexperte Dr.
Eric Seils. Entscheidender Faktor, um Kinderarmut zu verhindern, seien
Berufstätigkeit und existenzsichernde Einkommen der Eltern.

Als arm gelten nach gängiger wissenschaftlicher Definition Haushalte,
deren Einkommen weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren
Einkommens beträgt. Für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren
liegt die Armutsschwelle derzeit bei einem verfügbaren Nettoeinkommen
von weniger als 1926 Euro im Monat. Im Jahr 2014, dem letzten, für das
aktuell Mikrozensus-Daten vorliegen, lebten rund 2,47 Millionen Kinder
in Armut, zeigt Seils´ Auswertung, die heute im Verteilungsmonitor des
WSI online veröffentlicht wird. Dort finden sich alle Daten im Überblick
und zum Download.

Bundesweit hat die Kinderarmutsquote über das vergangene Jahrzehnt
leicht, die absolute Zahl armer Kinder spürbar abgenommen. Mit 19
Prozent sind Kinder jedoch weiterhin deutlich häufiger arm als der
Durchschnitt der Bevölkerung (15,4 Prozent).

Zudem fiel die Entwicklung regional sehr unterschiedlich aus, zeigt
die WSI-Analyse. Den größten Einfluss auf Höhe und Entwicklung der
Armutsquote hat laut Seils die Situation am Arbeitsmarkt. Aber auch die
Familienstruktur spiele eine erhebliche Rolle, weil Alleinerziehende und
ihre Kinder besonders häufig von Armut betroffen sind. In
Ostdeutschland sank der Anteil armer Kinder mit abnehmender
Arbeitslosigkeit deutlich – von 29 Prozent 2005 auf 24,6 Prozent 2014.
Trotzdem ist Kinderarmut in den neuen Ländern weiterhin weitaus
verbreiteter als in den alten, wo die Quote 17,8 Prozent beträgt. Auch
in Bayern ist die Kinderarmut im Zehn-Jahresvergleich merklich gesunken.
Dagegen hat sie in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz
zugenommen, in den übrigen Ländern stagnierte sie. Auch innerhalb
einiger Bundesländer gibt es erhebliche Unterschiede, etwa in Bayern und
Sachsen. So leben im Regierungsbezirk Mittelfranken 16 Prozent der
Kinder in armen Haushalten, während es in Oberbayern 9,1 Prozent sind.
Der Großraum Leipzig verzeichnet eine Kinderarmutsquote von 27 Prozent.
In der Region Dresden sind es dagegen nur 18,7 Prozent.

Stark gestiegen ist in den vergangenen Jahren die Zahl der nach
Deutschland geflüchteten Kinder und Jugendlichen. So kamen im Oktober
2015, dem letzten Monat, für den derzeit Daten vorliegen, 14.100 Kinder
und Jugendliche als Asylbewerber nach Deutschland. Gut zwei Drittel von
ihnen stammten aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. „Selbstverständlich
sollte zunächst im Vordergrund stehen, dass diese Kinder durch ihren
Aufenthalt in der Bundesrepublik Krieg und Terror entgangen sind“, sagt
WSI-Forscher Seils. Viele von ihnen trügen aber ein hohes Risiko, in
Armut aufzuwachsen. Das legen Daten zur Armutsquote von Familien nahe,
die bereits früher aus diesen Regionen eingewandert sind. So haben 34
Prozent der Familien mit Kindern, bei denen die Eltern aus dem Nahen und
Mittleren Osten nach Deutschland kamen, nur ein Einkommen unterhalb der
Armutsschwelle. Bei Familien aus Serbien und aus Afrika beträgt die
Armutsquote sogar über 40 Prozent. Das liege nicht nur an einer höheren
Arbeitslosigkeit in Migrantenfamilien, erklärt Seils. Gleichzeitig
stünden Eingewanderte aus diesen Herkunftsregionen seltener in
Beschäftigung und hätten häufiger als der Bevölkerungsdurchschnitt nur
einen Minijob.

„Das zeigt die Herausforderung, vor der wir insgesamt bei der
Bekämpfung der Kinderarmut stehen“, sagt der Forscher. „Um aus der Armut
herauszukommen, brauchen solche Eltern nicht irgendeinen Job, sondern
eine möglichst gute Integration in den Arbeitsmarkt.“ Der Schlüssel dazu
seien verstärkte Investitionen in Bildung und Qualifikation. Zudem sei
eine weitere Verbesserung der öffentlichen Kinderbetreuung nötig,
schreibt der Wissenschaftler. Diese stelle für viele Familien eine
Voraussetzung dafür dar, in existenzsicherndem Umfang zu arbeiten.
Flankierend wirke ein adäquater Mindestlohn, der Lohndumping bei
geringer qualifizierten Tätigkeiten begrenzt.

Weitere Informationen:

Die Auswertung im WSI-Verteilungsmonitor

Kontakt:

Dr. Eric Seils
WSI, Sozialexperte

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

http://www.boeckler.de/63056_63096.htm

 

Kinderarmut in NRW nimmt zu

In NRW sind mehr Kinder arm als in den meisten anderen Bundesländern.
FOTO: dpa, ppl;cse dbo lof

Düsseldorf. 19.2.2016

Nach einer Studie des Forschungsinstituts WSI leben hierzulande immer mehr
Kinder in prekären Verhältnissen. Der Regierungsbezirk Düsseldorf belegt
den vorletzten Platz in Westdeutschland.

Von Kirsten Bialdiga

Trotz aller bisherigen Anstrengungen der
rot-grünen Landesregierung hat die Kinderarmut in NRW gegen den
Bundestrend in den vergangenen Jahren zugenommen. Einer aktuellen Studie
der Hans-Böckler-Stiftung zufolge lebte im Jahr 2014 fast jedes vierte
Kind (23,6 Prozent) in einem Haushalt, der von Einkommensarmut betroffen
ist und damit 2,7 Prozent mehr als 2010. Bundesweit sind es 19 Prozent.
"Die Bilanz für Nordrhein-Westfalen fällt hingegen unerfreulich aus",
schreibt Eric Seils, Autor der Studie, und Sozialexperte des
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der
gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Der Studie zufolge gibt es in NRW im Verhältnis zur Einwohnerzahl
mehr arme Kinder als in den meisten anderen Bundesländern. Der
Regierungsbezirk Düsseldorf belegt mit einer Quote von 25,1 Prozent
sogar den zweitschlechtesten Platz in Westdeutschland - nach dem
Stadtstaat Bremen, wo 33,1 Prozent der Kinder in Armut leben. Die
niedrigste Kinderarmut verzeichnen die bayerischen Regierungsbezirke
Oberbayern (9,1 Prozent) und Oberpfalz (9,6 Prozent). Hauptursachen für
Kinderarmut sind dem WSI zufolge Arbeitslosigkeit der Eltern und das
Aufwachsen in Haushalten mit nur einem Elternteil.

Die Studie des WSI kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie zuletzt auch
die Paritätischen Wohlfahrtsverbände, die ihren neuesten Armutsbericht
am kommenden Dienstag vorlegen. Sie basiert auf den jüngsten Daten des
Mikrozensus, die das Institut für alle Bundesländer und im Einzelnen für
insgesamt 39 Regionen aufgeschlüsselt hat. Der Mikrozensus ist eine
großangelegte, jährliche Befragung von Haushalten in Deutschland, die
unter Experten als die valideste Datenquelle gilt, wenn es um die
Ermittlung von Armutsquoten in Deutschland geht.

Das Ergebnis der WSI-Studie weckt Zweifel, ob die von der
Landesregierung angestoßenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut
ihre Ziele erreichen können. "Wenn jedes vierte Kind in
Nordrhein-Westfalen arm ist, dann ist das eine besondere Herausforderung
für die Politik", sagt Friedhelm Güthoff, Geschäftsführer des
Kinderschutzbundes in Nordrhein-Westfalen.

Aber auch die Wirtschaft sei gefordert, etwas gegen die wachsende
Kinderarmut zu unternehmen. "Die Unternehmen dürfen nicht erst dann
kommen, wenn sie feststellen, dass es einen Fachkräftemangel gibt", so
Güthoff.

SPD und Grüne in NRW hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf
verpflichtet, der Bekämpfung von Kinderarmut "einen besonderen
Stellenwert" einzuräumen. Noch immer entscheide der soziale Hintergrund
der Eltern über die Chancen und Möglichkeiten der Kinder. "Das wollen
wir ändern", betonten die Regierungsparteien. Zudem hat
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) das Thema unter dem Titel
"Kein Kind zurücklassen!" zur Chefsache gemacht und sich zusammen mit
der Bertelsmann-Stiftung vor fünf Jahren zum Ziel gesetzt, die
Rahmenbedingungen für Kinder in NRW zu verbessern. Das Projekt sei
langfristig angelegt, hieß es gestern in einer Stellungnahme der
Landesregierung, "umso ermutigender ist es, dass bereits jetzt Erfolge
messbar sind." An erster Stelle müsse jedoch die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit als Armutsverursacher Nummer eins stehen, teilte die
Staatskanzlei mit, und verwies auf eine Vielzahl von Initiativen, auch
zur Einführung des Mindestlohns.

Quelle: RP

http://www.rp-online.de/nrw/panorama/kinderarmut-in-nrw-nimmt-zu-aid-1.5...