Leistungsverzicht: Mindestens ein Drittel verzichtet auf Hartz-IV-Anspruch
25. Juni 2018
Freiwilliges Leben unter dem Existenzminimum – was
widersinnig klingt ist für etliche Menschen in Deutschland Realität.
Studien gehen davon aus, dass zwischen 34 und 50 Prozent der Menschen,
die eigentlich Hartz-IV-Leistungen beziehen könnten, auf ihren Anspruch
verzichten. Unter den Erwerbstätigen sind es Schätzungen zufolge sogar
bis zu zwei Drittel der Anspruchsberechtigten.
Erwerbsfähige Bürger können in Deutschland Leistungen aus der
Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II bzw. „Hartz IV“)
nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) beantragen. Ein Anspruch auf
Hartz IV besteht dann, wenn Antragsstellende hilfebedürftig im Sinne des
SGB II sind. Hilfebedürftigkeit liegt zum Beispiel dann vor, wenn
Personen kein oder nur unzureichendes Einkommen unterhalb der
Hartz-IV-Regelsätze erzielen.
Doch nicht alle, die nach dieser Definition theoretisch
hilfebedürftig und damit leistungsberechtigt sind, stellen Antrag auf
Hartz-IV-Leistungen. Unterschiedliche Studien aus den Jahren 2012 bis
2017 ermittelten, dass mindestens ein Drittel der eigentlich
Leistungsberechtigten auf Hartz IV verzichtet – und damit unter dem
Existenzminimum lebt.
Verzichtsquote von 34 bis 50 Prozent
In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag nennt die Bundesregierung
insgesamt sechs Studien, die sich mit dem Verzicht auf
Grundsicherungsleistungen befassen. Die ermittelte Verzichtsquote reicht
von 33,8 bis sogar 49,9 Prozent. Fünf der Studien nutzten das
Sozioökonomische Panel (SOEP) als Datenquelle.
Deutlich höher ist der Leistungsverzicht unter Erwerbstätigen. Die
von der Bundesregierung genannten Studien schätzen, dass mindestens die
Hälfte der Anspruchsberechtigten mit Einkommen aus Erwerbstätigkeit
freiwillig auf Hartz-IV-Leistungen verzichten. Je nach Erhebung wurde
für diese Gruppe eine Verzichtsquote von 48,4 bis 63 Prozent berechnet.
Leistungsverzicht bedeutet auch verdeckte Armut
Offiziell gab es im Jahr 2017 laut Statistik der Bundesagentur für
Arbeit (BA) rund 4,36 Millionen erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger.
Ausgehend von einer Verzichtsquote von 33,8 Prozent hätten in diesem
Jahr weitere rund 2,22 Millionen Erwerbsfähige einen Hartz-IV-Anspruch
gehabt. Stellen diese Personen jedoch keinen Antrag auf
Grundsicherungsleistungen, tauchen sie auch nicht in der
Grundsicherungsstatistik der BA auf. Die offizielle statistische
Berichterstattung kann insofern nur einen Teil der Menschen abbilden,
die an oder unter dem Existenzminimum gemessen an der
Grundsicherungsschwelle leben.
Hohe Bürokratische Hürden für Antragssteller
Die genannten Studien weisen daher darauf hin, dass
Hartz-IV-Leistungen ihre Zielgruppe der Hilfebedürftigen nicht
angemessen erreichen. Als ein Grund für diese Problematik wird die
Komplexität des sozialen Sicherungssystems genannt. Antragsstellende
könnten bereits bei der Auswahl der richtigen Sozialleistung –
Arbeitslosengeld, Wohngeld oder Kinderzuschlag – oder schließlich von
der Antragsstellung überfordert sein. Wenn der Hartz-IV-Anspruch dann
auch noch zum Beispiel aufgrund von anrechenbarem Einkommen sehr gering
ausfällt, ist der Anreiz zur Antragsstellung noch geringer.
Unklar ist auch, inwiefern soziale Stigmatisierung oder das Prinzip
„Fördern und Fordern“ im Hartz-IV-System den Leistungsverzicht
begünstigt. Potenzielle Leistungsberechtigte könnten von den
gesetzlichen Verpflichtungen, die der Bezug von ALG II mit sich bringt,
abgeschreckt werden. Denn Hartz-IV-Empfänger sind gesetzlich dazu
verpflichtet, ihre Hilfebedürftigkeit aktiv zu verringern oder zu
beenden. Hierzu müssen sie unter anderem jede zumutbare Arbeit aufnehmen
und sich der Arbeitsvermittlung der Jobcenter zur Verfügung stellen,
andernfalls drohen Sanktionen (O-Ton berichtete).
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