Mehr Jobs, mehr Ungleichheit
Von Eva Roth 1.9.15
Anpacken bei sommerlichen Temperaturen: Trotz der traditionellen Sommerflaute hat sich die Beschäftigung im August gut gehalten. Foto: dpa
Trotz Rekordbeschäftigung gibt es mehr Haushalte mit geringem Einkommen. An den niedrigen Löhnen liegt das nur bedingt, das Problem sind die Arbeitszeiten.
In Deutschland herrscht Rekordbeschäftigung. Seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der Erwerbstätigen um mehrere Millionen gestiegen. Gleichzeitig ist jedoch auch die Zahl der Haushalte mit geringem Einkommen gewachsen. Verantwortlich dafür ist aber nicht nur die Ausbreitung von Niedriglohn-Jobs. Das zeigt eine neue Studie.
Die Forscher der Universität Duisburg-Essen haben im Rahmen eines Projekts der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erkundet, wie sich die finanzielle Lage von Haushalten in Deutschland entwickelt hat. Zwischen 1992 und 2013 ist die Zahl der Erwerbstätigen um rund vier Millionen Menschen gewachsen. Gleichzeitig ist der Anteil der Haushalte, die nur ein geringes Einkommen erzielen von 30 auf 35 Prozent gestiegen. Diese Geringverdiener-Haushalte erzielten weniger als 60 Prozent des mittleren Markteinkommens. Zum Einkommen zählen Bruttogehälter, Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit, Erträge aus Vermögen und private Renten.
„Die Einkommensungleichheit hat in Deutschland stärker als in vielen anderen europäischen Ländern zugenommen“, heißt es in der Studie. Denn gewachsen ist auch die Zahl der Haushalte mit überdurchschnittlich hohen Einkünften. Geschrumpft sind dagegen die mittleren Einkommensklassen.
Der Sozialstaat verringert die Ungleichheit durch Steuern und Sozialtransfers. Allerdings habe er das Auseinanderdriften der Markteinkommen nicht vollständig ausgeglichen, befinden die Forscher. Das wird deutlich, wenn man das tatsächlich verfügbare Netto-Einkommen inklusive aller Sozialleistungen und staatlicher Renten betrachtet. Um die Jahrtausendwende gehörten der Studie zufolge zehn bis elf Prozent der Haushalte nach staatlicher Umverteilung zur sogenannten Unterschicht, dieser Anteil stieg auf zuletzt rund 14 Prozent.
Mehr noch: Trotz der Rekordbeschäftigung sind diese Haushalte stärker als früher vom Staat abhängig. Die Grenze zwischen Unter- und Mittelschicht haben die Forscher wieder bei 60 Prozent des mittleren Einkommens gezogen, nur diesmal eben nach staatlicher Umverteilung, also inklusive aller staatlichen Leistungen und abzüglich der Steuern. Ein Single gehörte demnach zuletzt zur untersten Schicht, wenn er im Monat weniger als 1030 Euro zur Verfügung hat. Für Paare mit zwei kleinen Kindern liegt die Grenze bei 2160 Euro. Diese Menschen werden auch als armutsgefährdet bezeichnet.
Geringe Stundenlöhne
Der Boom der Niedriglohn-Jobs ist ein Grund dafür, dass viele Haushalte nur ein bescheidenes eigenes Einkommen erzielen. Hinzu kommt aber, dass die Arbeitszeiten auseinanderdriften. Beschäftigte aus der „Unterschicht“ haben viel seltener als früher eine volle Stelle: Mitte der 1990er-Jahre arbeiteten noch 62 Prozent dieser Arbeitnehmer Vollzeit. Zuletzt waren es nur noch 42 Prozent. Die Mehrheit muss sich mit Minijobs oder Teilzeit begnügen.
Dabei würden die meisten gerne länger arbeiten, das zeigen Befragungen. Vollkommen anders sieht es in der „Oberschicht“ aus, in Haushalten also, die mindestens das Doppelte des mittleren Netto-Einkommens zur Verfügung haben. Hier hatten bereits früher 79 Prozent der Beschäftigten einen Vollzeitjob. Das hat sich kaum verändert, zuletzt waren es 78 Prozent.
Und diejenigen aus finanzstarken Haushalten, die eine Teilzeit-Stelle haben, sind meist damit zufrieden. Weniger zu arbeiten, kann angenehm sein, wenn das Gehalt stimmt. Den mit Abstand höchsten Stundenlohn von über 50 Euro erzielen denn auch Oberschicht-Paare, die beide Teilzeit arbeiten.
Es sei besorgniserregend, dass die Markteinkommen trotz der guten Beschäftigungsentwicklung auseinanderdriften, betonen die Studienautoren. Wichtigstes Ziel müsse es sein, die ungleiche Verteilung der Einkommen zu verringern. Der Mindestlohn sei ein erster Schritt, dem eine Erhöhung der Tarifbindung folgen müsse.
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