10. Juni 2015 | 06.22 Uhr
Kriminalitätsrate
So gefährlich ist NRW
Statistiken zur NRW-Kriminalitätsrate FOTO: Ferl
Nordrhein-Westfalen.
Jährlich werden in NRW 1,5 Millionen Straftaten verübt. Nur etwa die Hälfte wird
aufgeklärt. Die Polizei setzt bei der Bekämpfung auf Prävention und ein
neues Computerprogramm. Von J. Dobrick, C. Schwerdtfeger und C. Skiba
Alle zehn Minuten schlagen in Nordrhein-Westfalen Einbrecher zu.
In keinem anderen Bundesland wird so häufig in Wohnungen und Häuser
eingestiegen. Die Zahl der registrierten Wohnungseinbrüche lag im
vergangenen Jahr bei 52794 – was allerdings einem leichten Rückgang um
3,9 Prozent im Vergleich zu 2013 entspricht. Erschreckend gering ist die
Aufklärungsquote: Nur etwa jeder siebte Einbruch wird aufgeklärt.
Immer öfter werden die Täter tagsüber zwischen sechs und 21 Uhr
aktiv. Ein Ermittler erklärt den Grund: "Dann stehen die Häuser meistens
leer, weil die Bewohner arbeiten sind. Abends hingegen riskieren die
Einbrecher eine Konfrontation." Am häufigsten wird im Januar
eingebrochen. Von Einbrüchen waren der Kriminalitätsstatistik zufolge
2014 besonders die Städte Düsseldorf, Essen, Dortmund, Bonn und Köln
betroffen.
In der Domstadt ist die Lage besonders dramatisch: Der dortige
Polizeipräsident musste öffentlich eingestehen, dass er die Situation
nicht mehr in den Griff bekommt. Auch auf den Fluren der anderen
Polizeipräsidien ist es ein offenes Geheimnis, dass man den gut
organisierten Banden kaum etwas entgegenzusetzen hat.
Es mehren sich bei Polizei und in der Landespolitik die Stimmen,
die die Ursache dieser Entwicklung in der Öffnung der europäischen
Grenzen sehen. So einfach scheint es allerdings nicht zu sein.
Entscheidend ist wohl eher, wie man in der Grenzregion gegen
Kriminalität vorgeht.
Blickt man auf die Deutschlandkarte der Kriminalitätsraten, so
fällt auf: In Bayern ist die Zahl der Straftaten 2014 zwar auch um 2,5
Prozent auf 650 868 gestiegen, im Vergleich zu allen anderen
Bundesländern werden im Freistaat aber besonders wenige Straftaten
begangen. Und das, obwohl Bayern das größte deutsche Flächenland ist und
nach NRW mit 12,6 Millionen die zweitmeisten Einwohner hat. Auch
verfügt Bayern über eine deutlich längere Grenze zu Nachbarstaaten als
NRW.
Was macht die Polizei in Bayern also besser als in NRW? "Die
Polizeiarbeit genießt bei uns einen höheren Stellenwert als in anderen
Ländern", betont Michael Siefener, Sprecher der bayerischen
Staatskanzlei. Während andere Bundesländer Stellen bei der Polizei
abbauten, habe Bayern mit etwa 40000 Beamten den höchsten Personalstand
aller Zeiten. "Zudem haben wir bereits vor 20 Jahren als erstes
Bundesland die Schleierfahndung eingeführt, die den Grenzraum und die
Durchgangsstraßen absichert", sagt Siefener.
Die Schleierfahndung ist ein Ausgleich für die weggefallenen
Grenzkontrollen: Polizei und Bundesgrenzschutz kontrollieren Personen
auch ohne konkreten Verdacht. Die mobilen Schleierfahnder kämpfen in
Bayern vor allem gegen den Handel mit der Modedroge Crystal Meth, gegen
Einbrecherbanden und Autodiebe.
Programm soll Einbrüche vorhersehen
Im Kampf gegen die Wohnungseinbrüche setzt das Innenministerium
von NRW große Hoffnungen in ein Programm, das Einbrüche vorhersehen
kann. Auch wenn sich die Projektgruppe "Vorausschauende Polizeiarbeit"
des Landeskriminalamtes (LKA) bereits seit mehr als einem Jahr mit dem
System beschäftigt, ist es von einer Einsatzreife noch weit entfernt.
"Es gab eine Ausschreibung über ein Vergabeportal, wir haben uns dann
für eine IBM-Software entschieden", sagt LKA-Sprecher Frank Scheulen.
Die Software, die mit statistischem Material gefüttert wird, sei bereits
beschafft und werde gerade installiert; Mitarbeiter würden geschult. In
der zweiten Jahreshälfte soll die Prognose-Software in den
Polizeipräsidien Köln/Leverkusen und Duisburg getestet werden.
Frühestens 2017 könnte das System in Serie gehen.
Nicht nur bei Einbrüchen, sondern auch auf vielen anderen
Verbrechensfeldern gilt NRW als Hochburg in Deutschland – wie die
aktuelle Bundeskriminalstatistik belegt. Demnach gab es bundesweit im
Jahr 2014 etwas mehr als sechs Millionen Straftaten, davon allein 1,5
Millionen in NRW. Mit 8543 Straftaten pro 100000 Einwohner liegt NRW auf
Platz fünf der gefährlichsten Bundesländer. Trotz der hohen Zahl konnte
die Polizei in NRW in einigen Bereichen der Kriminalitätsbekämpfung
aber auch Erfolge erzielen: So gab es 2014 weniger Raubdelikte, die
Kinder- und Jugendkriminalität ging zurück. Auch die Gesamtzahl der
Gewaltdelikte, also vor allem schwere und leichte Körperverletzung, ist
um 1,7 Prozent auf knapp 46 000 Taten gesunken. Sorgen bereitet der
Polizei aber die Zahl der Taschendiebstähle, die um 8,5 Prozent auf
53759 gewachsen ist und damit einen neuen Höchststand erreicht hat.
Für die CSU reicht die positive Entwicklung in ihrem Land übrigens
noch nicht aus: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer fordert seit
Längerem härtere Strafen für Einbrecher. Demnach sollen
Einbruchdiebstähle nicht mehr als minderschwere Fälle gewertet werden.
Die Delikte sollen mit Haft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren
geahndet werden. Bislang werden die Fälle mit einer Strafe von drei
Monaten bis fünf Jahren belegt. Außerdem soll die elektronische
Kommunikation von Einbrecherbanden besser überwacht werden können. Die
rot-grüne NRW-Landesregierung lehnt härtere Strafen dagegen ab und setzt
stattdessen auf Prävention. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD)
versichert: "Die Polizei wird auch künftig alles daransetzen, die
Sicherheit der Menschen zu gewährleisten."