Pressemitteilung vom 19.08.2015
Reale Nettovermögen der Privathaushalte in Deutschland sind in den Jahren 2003 bis 2013 geschrumpft
DIW-Verteilungsforscher haben die Vermögensentwicklung
unter Berücksichtigung der Inflation untersucht – Anlageverhalten der
Deutschen ist einer der wesentlichen Faktoren für sinkende Realvermögen –
Ergebnisse widersprechen den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen
Die Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland haben sich in
den Jahren 2003 bis 2013 äußerst schwach entwickelt: Sie stiegen nur um
durchschnittlich 500 Euro oder 0,4 Prozent. Berücksichtigt man die
Inflation, haben die Privathaushalte sogar fast 15 Prozent ihrer
Nettovermögen verloren – das entspricht im Durchschnitt gut 20.000 Euro.
Der reale Wert, also die Kaufkraft des Vermögens, ist somit deutlich
gesunken. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW
Berlin) im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung anhand von Daten aus der
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes
herausgefunden. Auch dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) zufolge sind
die realen Nettovermögen der Privathaushalte in Deutschland gesunken: um
mehr als elf Prozent in den Jahren 2002 bis 2012 – und das trotz einer
konstant hohen Sparquote von meist mehr als neun Prozent jährlich. Die
Studienautoren Markus Grabka und Christian Westermeier sehen den Grund
dafür vor allem in der schwachen Wertentwicklung selbstgenutzter
Immobilien. Aber auch das Anlageverhalten der Deutschen habe seinen Teil
dazu beigetragen: „Viele Menschen investieren ihr Vermögen bevorzugt in
risikoarme, dafür aber renditeschwache Anlagen wie Sparbücher,
Girokonten, Bausparverträge oder Riesterrenten, die oftmals nicht einmal
die Inflation ausgleichen“, so Grabka. Angesichts der Ergebnisse
sprechen sich die Wirtschaftsforscher für eine gezieltere Förderung des
individuellen Vermögensaufbaus aus – auch, um die hohe
Vermögensungleichheit in Deutschland zu reduzieren.
Mieterinnen und Mieter haben geringste Vermögen
Weil es sich beim SOEP um eine Wiederholungsbefragung handelt, in
regelmäßigen Abständen also dieselben Personen Auskunft über ihr
Vermögen geben, konnten die DIW-Forscher Grabka und Westermeier zudem
die Vermögensmobilität untersuchen: Dabei stellten sie fest, dass in den
Zeiträumen von 2002 bis 2007 und von 2007 bis 2012 jeweils rund 40
Prozent der Erwachsenen real Vermögen verloren haben. Bei gut einem
Achtel blieb es nahezu unverändert, während knapp 45 Prozent der
Personen ihr Vermögen real steigern konnten – am stärksten die 30- bis
39-Jährigen, die im Mittel in beiden Zeiträumen zwischen 8.000 und 9.000
Euro hinzugewannen.
Relevant für den Vermögensaufbau ist neben regelmäßigem Sparen auch
das Tilgen von aufgenommenen Krediten. Besonders stark gestiegen sind
die Vermögen bei denjenigen, die Schenkungen oder Erbschaften erhalten
haben. Auch Änderungen des Familienstands oder der Wohnform können die
Vermögenshöhe beeinflussen: Positiv wirkt sich eine Heirat aus, während
bei einer Trennung oder Scheidung Kosten entstehen, die häufig aus
vorhandenem Vermögen bestritten werden. Dauerhaft zur Miete lebende
Personen hatten sowohl zwischen 2002 und 2007 als auch zwischen 2007 und
2012 die geringsten Nettovermögen: im Mittel weniger als 3.000 Euro.
Auch die Vermögenszuwächse waren bei Mietern gering. „Das ist insofern
problematisch, als dass schon kurzfristige Engpässe beim laufenden
Einkommen das Vermögen aufzehren können“, sagt Westermeier. „Zudem
bietet ein so geringes Vermögen keinen wirksamen Schutz vor
Altersarmut.“
Abweichendes Bewertungskonzept für Immobilien führt zu unterschiedlichen Ergebnissen
Die Ergebnisse des DIW Berlin zur Entwicklung der realen
Nettovermögen der Privathaushalte in Deutschland widersprechen den
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR). Diese weisen für die Jahre
2003 bis 2013 ein reales Plus in Höhe von 20 Prozent aus. Theoretisch
wäre es möglich, dass die Top-Vermögenden – also die Multimillionäre und
Milliardäre, die in den EVS- und SOEP-Stichproben faktisch untererfasst
sind – für den Anstieg verantwortlich sind. Grabka und Westermeier
haben jedoch die vom Manager Magazin geschätzten Top-Vermögen in
Deutschland ausgewertet und für die Personen, die zu zwei Zeitpunkten in
der Liste enthalten waren, festgestellt, dass die höchsten Vermögen in
den Jahren 2007 bis 2012 nahezu konstant geblieben sind.
Wahrscheinlicher ist, dass die VGR zu anderen Ergebnissen kommen,
weil sie – neben weiteren methodischen Unterschieden bei der Erfassung
von Vermögen – vor allem den Wert von Gebäuden anders berechnen. Den VGR
zufolge sind diese von 2003 bis 2013 real um knapp 19 Prozent
gestiegen. Dass sie aber eher gesunken sind, darauf deuten neben den
EVS- und SOEP-Stichproben auch andere Quellen hin. So weist der
Preisindex des Statistischen Bundesamtes für bestehende Wohnimmobilien
für den Zeitraum von 2000 bis 2010 ebenfalls rückläufige Werte aus.
Die Unterrepräsentation der Top-Vermögen in Bevölkerungsumfragen und
die mangelnde Vergleichbarkeit verschiedener Bewertungsmethoden sind aus
Sicht von Grabka und Westermeier ein Beleg dafür, dass die
Dateninfrastruktur für Vermögensanalysen in Deutschland grundsätzlich
verbesserungswürdig ist: „Eine gesellschaftlich derart relevante Größe
wie die Entwicklung der Privatvermögen sollte nicht mit so vielen
Unsicherheiten behaftet sein, wie es derzeit in Deutschland der Fall
ist“, so Grabka.
Stichwort SOEP
Das Sozio-oekonomische Panel
(SOEP) ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre
Langzeitstudie in Deutschland. Das SOEP im DIW Berlin wird als Teil der
Forschungsinfrastruktur in Deutschland unter dem Dach der
Leibniz-Gemeinschaft von Bund und Ländern gefördert. Für das SOEP werden
seit 1984 jedes Jahr vom Umfrageinstitut TNS Infratest Sozialforschung
mehrere tausend Menschen befragt. Zurzeit sind es etwa 30.000 Befragte
in etwa 15.000 Haushalten. Die Daten des SOEP geben unter anderem
Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung, Gesundheit und
Lebenszufriedenheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden,
können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die
gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut
analysiert werden.
http://www.diw.de/de/diw_01.c.512694.de/themen_nachrichten/reale_nettove...