Armut und Reichtum
Wer hat, hat bald noch mehr
Reiche wurden auch 2018 immer reicher und Arme
immer ärmer. Das zeigt ein Bericht, den die Entwicklungsorganisation
Oxfam im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlicht hat.
Die soziale Kluft wächst: Auf dem Hohenzollernring in Köln versucht ein Mann, ein paar Euro zu erbetteln.
Die Vermögen aller 1892 Milliardäre weltweit sind voriges Jahr um
zwölf Prozent gestiegen während die der ärmeren Hälfte der Menschheit
um elf Prozent abgenommen haben. Das hat die Hilfsorganisation Oxfam in
ihrem traditionell zum Weltwirtschaftsforum in Davos erscheinenden
Bericht zur sozialen Ungleichheit ausgerechnet. Demnach hätten
Milliardäre 2018 in der Summe täglich 2,5 Milliarden Dollar
dazugewonnen, die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung dagegen eine halbe
Milliarde Dollar verloren. Diese Entwicklung brandmarkt Oxfam als
sozialen Spaltpilz und Gefahr für Demokratien. Auch Deutschland liege im
Trend. Die Vermögen deutscher Milliardäre seien 2018 sogar um ein
Fünftel gewachsen.
Das reichste Prozent der Deutschen verfüge damit im
Jahresvergleich unvermindert über ebenso viel Vermögen wie die 87
ärmeren Prozent der Bevölkerung, sagt Oxfam. Im internationalen
Vergleich zähle Deutschland damit zu den Industrienationen mit der
größten Vermögensungleichheit. Bereits 2017 sei in dieser Hinsicht
hierzulande ein Negativrekord erreicht worden. Fast jeder sechste
Deutsche gelte seitdem als von Einkommensarmut betroffen. Jedes fünfte
Kind in Deutschland gelte als arm.
Allgemein treffe soziale Ungleichheit vor allem Frauen und Mädchen.
Im globalen Durchschnitt würden Männer 50 Prozent mehr Vermögen besitzen
als Frauen, die im Schnitt um fast ein Viertel niedrigere Löhne und
Gehälter erhielten und die Last der Mängel im Gesundheits- sowie
Bildungsbereich zu tragen hätten. Pro Jahr würden speziell Frauen
weltweit unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit im Wert von zehn Billionen
Dollar leisten.
Die von Oxfam angeprangerten Missstände sind in eine langjährige
Entwicklung eingebettet. In den reichen Ländern dieser Erde seien die
Spitzensteuersätze auf Einkommen zwischen 1970 und 2013 von im Schnitt
62 auf 38 Prozent gefallen. In bedeutenden Wirtschaftsnationen wie
Großbritannien oder Brasilien würden die ärmsten zehn Prozent der
jeweiligen Bevölkerung mittlerweile einen höheren Anteil ihres
Einkommens für Steuern aufwenden als die reichsten zehn Prozent.
Die 26 reichsten Milliardäre haben so viel Vermögen wie die 3,8 Milliarden ärmsten Menschen.
Die Oxfam-Zahlen sind in ihrer vermeintlichen Exaktheit angreifbar.
Sie beruhen zwar auf einer Auswertung seriöser Quellen wie dem globalen
Reichtumsbericht der Schweizer Großbank Credit Suisse oder der
Forbes-Liste der Superreichen. Die wiederum basieren aber teils auf
Schätzungen oder lückenhaften Statistiken. Dieses Problem gesteht Oxfam
auch offen ein. Die Tendenzen, die im jährlichen Report der Organisation
sichtbar werden mit immer größerer Vermögenskonzentration in den Händen
weniger wird allgemein allerdings kaum bestritten.
2018 hätten die 26 weltweit reichsten Milliardäre so viel Vermögen
angehäuft wie die mit 3,8 Milliarden Menschen ärmere Hälfte der
Menschheit, sagt Oxfam auf Basis verfügbarer Daten. Vor zwei Jahren
waren weltweit noch 49 Milliardäre nötig, um auf so viel Vermögen zu
kommen wie die ärmere Hälfte der Menschheit. 2017 bedurfte es dazu 44
Superreicher. Vor allem in den zehn Jahren weltweiter Finanz- und
Wirtschaftskrise ist die Schere zwischen Arm und Reich nach
Oxfam-Erkenntnissen weiter auseinander gegangen. Die Zahl der weltweiten
Milliardäre hat in dieser Zeitspanne fast verdoppelt. Allein 2018 ist
im globalen Maßstab rechnerisch jeden zweiten Tag ein Superreicher
Milliardär geworden.
Als Kehrseite der Medaille bemängelt Oxfam im diesjährigen Bericht
eine weltweite Unterfinanzierung in den Bereichen Bildung, Gesundheit
und soziale Sicherungen, was maßgeblich Ungleichheit zementiert oder sie
sogar verstärkt. Die Organisation fordert höhere Steuern für Reiche und
einen effektiven Kampf gegen Steuervermeidung. Gefordert werden
weltweite Mindeststeuersätze, ein schwarze Liste für große Steuersünder
und ein Austrocknen internationaler Steueroasen. Das Tempo, in dem
extreme Armut abnimmt, habe sich seit 2013 im globalen Maßstab halbiert.
In Teilen Afrikas steige sie sogar wieder. Südlich der Sahara wachse so
die Zahl derer, die von weniger als 1,90 Dollar am Tag leben müssen.
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