Soziale Menschenrechte - UN-Sozialrat wirft Deutschland Defizite vor

 

20.12.2018

Soziale Menschenrechte UN-Sozialrat wirft Deutschland Defizite vor

Beim Umgang mit Armen und Alten sieht das Gremium der Vereinten Nationen gravierende Mängel. Grüne und Linke nennen den Bericht "beschämend".

 

Wegen Personalmangel sind die Bedingungen in der Pflege in Deutschland oft schlecht.Foto: imago/photothek/Ute GrabowskY

 

Der UN-Sozialrat wirft Deutschland Defizite bei der Umsetzung der sozialen Menschenrechte vor. Man sei besorgt über die Lage älterer Menschen, „die unter entwürdigenden Bedingungen leben, auch in bestimmten Pflegeheimen“, heißt es in den abschließenden Bemerkungen zum sechste Staatenbericht des Gremiums, der dem Tagesspiegel vorliegt. Außerdem werde zu wenig gegen Kinderarmut getan, die Grundsicherung sei zu niedrig und die Mindestlöhne müssten besser durchgesetzt werden.

 

Grüne und Linke nannten den Bericht "beschämend" für Deutschland. Die Regierenden haben nun in fünf Jahren darüber zu berichten, wie sie mit den Empfehlungen des UN-Gremiums umgegangen ist. Bei drei sensiblen Bereichen soll die Rechenschaft bereits in zwei Jahren erfolgen: bei der Pflege, dem sozialen Wohnungsbau und dem Thema Kinderarmut.

Zu viele bürokratische Hürden für Bedürftige

Moniert wird darin unter anderem, dass 14 Millionen Menschen in Deutschland prekär beschäftigt seien, dass 1,2 Millionen Menschen ihren Lohn mit Sozialleistungen aufstocken müssten, dass auch die Leistungen für Hartz IV nicht reichten. Wie schon im Bericht von 2011 wird die Regierung ermahnt, "unverzüglich" mehr Geld für die Ausbildung von Pflegern bereitzustellen sowie Pflegeheime "häufiger und gründlicher zu kontrollieren".

 

Besorgt zeigen sich die Experten auch über die Kinderarmut in Deutschland. Dem Staatenbericht zufolge leben in Deutschland 2,55 Millionen Kinder in Armut, der Großteil von ihnen bei nur einem Elternteil. Der Sozialrat kritisiert vor allem mangelnde Informationen und bürokratische Hürden, die verhinderten, dass betroffene Eltern die ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch nähmen.

 

Allerdings bezweifeln die Experten auch , dass die Leistungen - vom Kindergeld über den Kinderzuschlag bis zum Teilnahme-Paket - ausreichen, um den grundlegenden Bedarf zu decken.

Kinderhilfswerk fordert bessere Familienförderung

Das Deutsche Kinderhilfswerk forderte Bundestag und Bundesregierung auf, die Mahnung ernst zu nehmen und endlich Bedingungen für ein gutes Aufwachsen armer Kinder in Deutschland zu schaffen. Die Kritik an der zu hohen Kinderarmut in Deutschland dürfe "nicht wirkungslos verpuffen", sagte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann.

Kinder müssen finanziell so abgesichert sein, dass sie unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern gut aufwachsen könnten. Hier fordert das Kinderhilfswerk "eine grundsätzliche Lösung in Form einer bedarfsgerechten Kindergrundsicherung, die das Existenzminimum von Kindern unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Familie, der Familienform und dem bisherigen Unterstützungssystem gewährleistet". Das bisherige System der Familienförderung bleibe "für zu viele Menschen undurchsichtig", weshalb sie ihnen zustehende Leistungen nicht beantragten.

Ein ähnliches Problem sieht der Bericht für die Grundsicherung. Die Autoren befürchten, dass sie zu niedrig ist, um den Empfängern „einen ausreichenden Lebensstandard zu ermöglichen“. Zudem zeigen sie sich besorgt über die Leistungskürzungen bei Pflichtverletzungen von Hartz-IV-Empfängern - und die Definition von „zumutbarer“ Beschäftigung, die Arbeitsuchende in Deutschland annehmen müssen, um ihren Leistungsanspruch nicht zu verlieren.

Grüne: Kinderarmut darf in einer Zeit wachsender Wirtschaft und sprudelnder Steuereinnahmen keinen Platz haben

Der UN-Sozialrat lege "den Finger in die Wunde", sagte Grünen-Fraktionschefin Kathrin Göring-Eckardt dem Tagesspiegel. Es sei "beschämend, dass die Bundesregierung immer noch zu wenig dagegen tut, dass in einem wohlhabenden Land zahllose ältere Menschen unter entwürdigenden Bedingungen untergebracht sind". Erst am Mittwoch habe sie "mit dem bürokratischen Minimalkonsens beim Fachkräftegesetz wieder eine Chance vertan", so die Grünen-Politikerin. "Wir hätten tausenden Geduldeten einen Spurwechsel in Pflegeberufe eröffnen können, stattdessen hat die Bundesregierung die Anforderungen für gut integrierte Geduldete eher noch verschärft."

Dass der UN-Sozialrat die Grundsicherung in Deutschland als nicht ausreichend bewerte, sei "peinlich für Andrea Nahles und die SPD, die ein neues Konzept zum Lackmustest für das Weiterbestehenden der schwankenden Koalition machen wollte", so Göring-Eckardt weiter. Und den Kindern verbaue Armut Chancen und Möglichkeiten in der Zukunft. "Wir erleben eine Zeit wachsender Wirtschaft und sprudelnder Steuereinnahmen, Kinderarmut darf da keinen Platz haben. Deshalb brauchen wir mehr Investitionen in Familien, in Bildung, in Schulen und Kindergärten.

Linke nennt neuerliche Maßregelung "absolut beschämend"

Es sei "absolut beschämend, dass der UN-Sozialrat Deutschland erneut schwere Defizite bei der Umsetzung der sozialen Menschenrechte vorwerfen muss", meinte auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Fraktion im Bundestag, Jan Korte. Bereits vor sieben Jahren habe der UN-Unterausschuss unter anderem die "unzureichenden Bemühungen" Deutschlands, die Situation älterer Menschen in Pflegeheimen zu verbessern, kritisiert. "Passiert ist wenig bis nichts. Nach wie vor müssen zahllose ältere Menschen unter entwürdigenden Bedingungen leben, nach wie vor reicht die Grundsicherung für Hunderttausende hinten und vorne nicht."

Die Bundesregierung müsse "den Bericht endlich ernst nehmen und konkrete Taten folgen lassen", sagte Korte dem Tagesspiegel. Es sei "überhaupt nicht akzeptabel, dass 2,55 Millionen Kinder hierzulande in Armut leben müssen und sich die Bundesregierung wegduckt". Ein Mindestlohn von zwölf Euro und seine konsequente Durchsetzung wären ein erster wichtiger Schritt.

Regierung nimmt Empfehlungen "sehr ernst"

Die Bemerkungen des Ausschusses stellten keine konkreten Menschenrechtsverletzungen fest, betonte dagegen eine Sprecherin des Sozialministeriums. Sie enthielten vielmehr „Empfehlungen zur Umsetzung der im UN-Sozialpakt verankerten Rechte“. Die Umsetzung dieses Sozialpakts sei eine Daueraufgabe – und die Bundesregierung nehme die Empfehlungen des Gremiums „sehr ernst“.

Korrekt heißt der UN-Sozialrat „Ausschuss über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen“. Es handelt sich dabei um ein UN-Gremium mit 18 Experten, das die Umsetzung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) überwacht.

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