Soziale Ungleichheit nimmt zu
Die Reichsten der Welt verdoppeln in der Pandemie ihr Vermögen. Zugleich rutschen gut 160 Millionen Menschen neu in Armut ab
VON THOMAS MAGENHEIM
Der Titel des Jahresreports zur Entwicklung sozialer Ungleichheit ist zumindest im englischsprachigen Original drastisch gewählt. „Inequality kills“ – Ungleichheit tötet – hat ihn die internationale Nothilfeorganisation Oxfam genannt und in deutscher Übersetzung „Gewaltige Ungleichheit“ daraus gemacht. Eigentlich sollte der Bericht zum Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos vorgestellt werden. Das ist aber coronabedingt abgesagt, weshalb der Sozialreport nur in digitaler Form veröffentlicht wird.
Die Spuren der Pandemie durchziehen ihn auch inhaltlich. Seit deren Ausbruch ist das Vermögen aller 2755 Milliardär:innen weltweit demnach um 4,4 auf gut zwölf Billionen Euro gestiegen. Das sei ein größerer Zuwachs als in den 14 Jahren vor der Pandemie zusammen. „Für Milliardäre gleicht die Pandemie einem Goldrausch“, sagt Manuel Schmitt als Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland. Auch hierzulande haben Superreiche ihr Vermögen seit März 2020 massiv vermehrt, was vor allem auf Aktienbesitz und die Werte von ihnen kontrollierter Firmen zurückgeht. So verfügt mittlerweile allein ein Stamm der Aldi-Familie Albrecht über ein Vermögen von rund 38 Milliarden Euro. Er rangiert damit auf Rang 31 der weltweit Superreichsten.
Ugur Sahin als Miteigner und Chef des Corona-Impfstoffherstellers Biontech hat es mit einem geschätzten Vermögen von 11,5 Milliarden Euro 2021 neu auf Rang 161 der globalen Reichenliste geschafft. Schon fast bescheiden nimmt sich das allerdings im Vergleich zum reichsten Weltenbürger Elon Musk aus. Dem US-Milliardär, der Elektroautos und Raketen baut, wird ein Vermögen von fast 257 Milliarden Euro zugeschrieben. Blickt man auf die Geldspeicher der zehn Reichsten weltweit, konnten die deren Inhalt sogar verdoppeln, sagen die Studienmacher. Sie berufen sich dabei auf Schätzungen der US-Zeitschrift Forbes.
Zugleich seien binnen zwei Jahren weltweit 163 Millionen weitere Menschen in Armut verfallen. Damit lebten nun rund 3,4 Milliarden Erdenbürger unterhalb der von der Weltbank definierten Armutsgrenze von 4,80 Euro am Tag. Zum Todesfallrisiko erhebt Oxfam Armut, weil Menschen, die sich keine medizinische Versorgung leisten können, jedes Jahr millionenfach sterben.
Die von der Pandemie verschärfte Armut trifft nach Oxfam-Erkenntnissen vor allem Frauen. Mindestens 13 Millionen hätten seit ihrem Ausbruch Arbeit und Einkommen verloren. Für potenziell von Rassismus betroffene Menschen nichtweißer Hautfarbe sei das Risiko, an Corona zu sterben, um bis zu dreimal größer als für Hellhäutige.
Ungerecht ist nach Ansicht von Oxfam nicht nur die Verteilung von Reichtum, sondern auch die von Corona-Impfstoffen. Drei Milliarden Menschen, vorwiegend in Industrienationen, seien doppelt gegen das Virus geimpft. Dagegen hätte nicht einmal jeder zehnte mit niedrigem Einkommen zumindest eine Impfdosis erhalten. Oxfam fordert deshalb eine Aufhebung des Patentschutzes auf Impfstoffe.
Die Bundesregierung solle dazu einen Vorstoß bei der Welthandelsorganisation WTO unterstützen, fordert der deutsche Oxfam-Ableger. Diesem Ansinnen erteilte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) eine Absage. „Ich bezweifle, dass die Entwicklungsländer leichter an Impfstoffe herankommen, wenn wir die Patente freigeben“, sagte Schulze den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Hilfreich seien Unternehmenspartnerschaften für die Produktion der mRNA-Impfstoffe in Lizenz. Das Know-how dazu müsse „in Entwicklungsländer weitergegeben werden“, forderte die Ministerin.
Schulze bestritt, bei den Patenten den Konflikt mit den Herstellern zu scheuen. „Ich bin hier für Pragmatismus. Theoretische Fundamentalpositionen bringen uns nicht weiter“, mahnte sie. „Es kommt darauf an, dass die Produktion läuft. Und das geht gerade jetzt in der Pandemie am besten und am schnellsten mit den Unternehmen zusammen.“
Fr
Oxfam: Corona-Pandemie verschärft soziale Ungleichheiten
Die Corona-Pandemie macht die Reichsten viel reicher und die Ärmsten noch ärmer - das zeigt ein neuer Oxfam-Bericht. Die Organisation fordert deshalb unter anderem höhere Steuern für Superreiche.
Davos/Berlin - Die Corona-Pandemie hat aus Sicht der Organisation Oxfam soziale Ungleichheiten verschärft.
Während sich das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre verdoppelt habe, lebten über 160 Millionen Menschen zusätzlich in Armut, heißt es in einem Bericht, den Oxfam kurz vor Beginn einer digitalen Konferenz des Weltwirtschaftsforums vorstellte. Auch in Deutschland habe die Konzentration der Vermögen weiter zugenommen.
Oxfam forderte von den Regierungen weltweit, Konzerne und Superreiche zur Finanzierung sozialer Grunddienste stärker zu besteuern, für globale Impfgerechtigkeit zu sorgen und die Wirtschaft am Gemeinwohl auszurichten.
Mittlerweile seien über drei Milliarden Menschen zweifach gegen Covid-19 geimpft, doch nur rund neun Prozent der Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen habe mindestens eine Impfdosis erhalten, so Oxfam: „Millionen Menschen, die hätten gerettet werden können, sind wegen der ungerechten Impfstoffverteilung an der Pandemie und ihren Folgen gestorben.“ Die Impfstoffe müssten als öffentliches Gut behandelt werden, auch weil Regierungen ihre Entwicklung mit viel Steuergeld gefördert hätten.
Milliardäre im Goldrausch
Manuel Schmitt, Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland, kommentierte: „Für Milliardäre gleicht die Pandemie einem Goldrausch. Regierungen haben Milliarden in die Wirtschaft gepumpt, doch ein Großteil ist bei Menschen hängengeblieben, die von steigenden Aktienkursen besonders profitieren. Während ihr Vermögen so schnell wächst wie nie zuvor und Einige Ausflüge ins All unternehmen, hat die weltweite Armut drastisch zugenommen.“
Von der Bundesregierung forderte Oxfam Deutschland, Konzerne und sehr Vermögende stärker in die Verantwortung zu nehmen. So müsse die Vermögensteuer wieder eingeführt werden und es brauche eine einmalige Abgabe auf sehr hohe Vermögen. Der Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe müsse ausgesetzt werden.
Weltwirtschaftsforum verschoben
Die für diese Woche geplante Jahreskonferenz des Weltwirtschaftsforums in Davos war wegen der Corona-Lage verschoben worden. Stattdessen bringt die Stiftung digital Spitzenpolitiker zusammen, so will Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch eine Rede halten.
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