Stellungnahme/Pressemitteilung zum geplanten 39-Euro-Ticket

 

Stellungnahme/Pressemitteilung zum geplanten 39-Euro-Ticket
Ab Dezember: „Deutschlandticket Sozial“ in NRW
Am 1. Dezember, mit 7-monatiger Verspätung, führt NRW ein bundesweit nutzbares Sozialticket zum
Preis von 39 € ein („DeutschlandTicket Sozial“). Damit reagiert das Land auf massive Forderungen von
Sozialverbänden und Betroffenenorganisationen.
Wir freuen uns, dass es damit auch für Menschen mit wenig Geld möglich wird, sich zu einem
pauschalen Monatspreis überall in der Republik mit Mitteln des Nahverkehrs zu bewegen. Dies ist ein
großer Gewinn gegenüber den bisher auf enge Tarifgebiete begrenzten Sozialticket-Angeboten der
Verkehrsverbünde.
Durchaus positiv sehen wir auch die Nachricht, dass dieses Ticket in NRW auch allen
Wohngeldbezieher- Innen zugänglich gemacht werden soll.
Gleichwohl bleibt der zwischen Landesregierung und NRW-Verkehrsverbünden
ausgehandelte Preis weit hinter unseren Vorstellungen zurück. Wir hatten zusammen mit den
Sozialverbänden, dem VCD und anderen einen Abgabepreis von maximal 29 € pro Monat gefordert.
Dies aus mehrerlei Gründen: Wer wenig Geld hat, muss genau überlegen, für was er dies ausgeben
will. Zwar beträgt der im Bürgergeld vorgesehene Regelsatzanteil für „fremde Verkehrsdienstleistungen“
mittlerweile 40,58 € (2023), etwas mehr also als die geplanten 39 Euro, dochist der gesetzliche Regelsatz,
verschärft noch durch die galoppierende Inflation, insgesamt so knappbemessen, dass es für ein würdiges
Leben vorne und hinten nicht reicht. Das lässt sich nicht zuletzt an den hohen Armutsquoten in NRW ablesen.
Weitere Kritikpunkte im Detail:

Auch AsylbewerberInnen gehören zum Berechtigtenkreis, doch ein alleinstehender Asyl
bewerber beispielsweise verfügt nur über ein monatliches Taschengeld von 182 Euro. Ein Ticketpreis
von 39 Euro ist für diese Personengruppe daher völlig unerschwinglich. Hier könnte die
Landesregierung
durch kostenlose Ticketverteilung Abhilfe schaffen.

Das geplante Ticket ist unseres Erachtens auch im Verhältnis zu anderen Sonderformen des
Deutschlandtickets (JobTicket, DeutschlandTicket Schule) zu teuer. Niemand kann uns erklären,
wieso Berufstätige, die ein von der Firma unterstütztes JobTicket besitzen, mit einem Eigenanteil
von 34,30 € im Monat für die gleiche Leistung weniger auf den Tisch legen müssen als Menschen
ohne eigenes Einkommen. Dass es auch anders geht, zeigen die Bundesländer Berlin, Hessen und
Hamburg (sowie etliche deutsche Städte).

Das DeutschlandTicket Sozial wird es (wie das „normale Deutschlandticket auch) nur im Abo geben.
Das aber schließt erstens Leute aus, deren Bonität und/oder Zahlungsmoral vom jeweiligen
Verkehrsunternehmen als zu schlecht eingestuft wird, um mit ihnen einen Abo-Vertrag zu schließen
(eine Einschränkung, die leider allzu häufig Leute mit wenig Geld trifft).
Das Abo-Angebot ist zweitens auch für Menschen unattraktiv, die keine Vielfahrer*innen sind.
Wenn – wie vielerorts auf dem Lande – das Angebot für die täglichen Wege nicht ausreicht, lohnt
sich selbst ein Monatsticket für 39 Euro nicht.
Wir erwarten, dass die Verkehrsverbünde künftig als Alternative ermäßigte Vierertickets anbieten.
Sollte es allerdings bei dem knappen ̚ PNV-Angebot auf dem Lande bleiben, das muss man
hinzufügen, dann wird das auch mit der angestrebten Verkehrswende nichts.

Und auch was das Bonitätsproblem angeht, erwarten wir eine alltagstaugliche Lösung. Das
einfachste wäre, das ermäßigte Deutschlandticket würde in NRW auch als einzelne Monatskarte
verkauft. Aus unserer Sicht völlig indiskutabel ist jedoch der Verweis der betreffenden Kunden auf
die „normalen“ Sozialticket-Angebote des Verkehrsverbunds, denn das hieße für sie noch deutlich
höhere Kosten bei viel geringerer Leistung. (1)
Wenn das die Antwort auf unser Drängen in den letzten
Monaten sein soll, dann können wir künftig das Papier für Briefe oder Resolutionen sparen!
Insgesamt gesehen ist das Beharren von Bundesverkehrsminster Wissing
auf einer Abo-Lösung aus unserer Sicht eine Fehlentscheidung, da sie nur unnötige Probleme schafft
und zudem für einen Teil potentieller ̚ PNV-Nutzer*innen abschreckend wirkt.
Die aktuelle Diskussion um die weitere Finanzierung des Deutschlandtickets ab 2024 macht deutlich,
wie fragil solche Regelungen sind. Eine Erhöhung des Preises für das Deutschlandticket würde
vermutlich sofort auch eine Erhöhung des Preises für ermäßigte Deutschlandticket nach sich ziehen.
Wir fordern daher das Land NRW auf, das Angebot von Sozialtickets für armutsbetroffene Bürger*innen
als dauerhafte Aufgabe des ̚ PNV in NRW gesetzlich abzusichern. Ihre Finanzierung durch das Land
darf nicht von politischen Stimmungslagen oder der jeweiligen Kassenlage abhängig gemacht werden.
Um die Nachhaltigkeit des Sozialtickets zu gewährleisten, sind die bereitgestellten Mittel außerdem zu
dynamisieren.

Dortmund/Wesel 12.10.2023

Bündnis Sozialticket NRW
Ansprechpartner (für Rückfragen):
Klaus Kubernus-Perscheid, Pastor Wolf Str. 12, 46487 Wesel, klaus.kubernus@t-online.de, Tel.: 02803 8303
Heiko Holtgrave, Huckarder Str 12, 44147 Dortmund, info@akoplan.de, Tel. 0231 580 34 250
www.buendnis-sozialticket-nrw.de

 
1
Siehe die entsprechenden Ausführungen in der VRR-Drucks. M/X/2023/0588 v. 29.8.23. Dort heißt es auf S. 23:
>>Das derzeitige VRR-Sozialticket wird als Monatskarte auf Papier und als Abonnement auf Chipkarte
ausgegeben. Nach Rücksprache mit dem MUNV (Landesverkehrsministerium; HH) müssen alle
bisherigen Tarifangebote bestehen bleiben. Hierdurch wird ebenfalls sichergestellt, dass sozial Bedürftige
ein vergünstigtes Ticketangebot als Monatskarte ohne Bonitätsprüfung und ohne monatliche Zahlungsverpflichtung
erwerben können.<<
Zusatzbemerkung: Das VRR-Sozialticket wird laut den jüngsten Tarifbeschlüssen im kommenden Jahr 45,10 €
kosten (Einzelkarte; im Abo 39,60 €). Vermutlich wieder mit der alten räumlichen Kulisse (!), denn die Ausdehnung
der Geltungsraums auf den gesamten Verbundraum läuft nach jetziger Beschlusslage Ende November 2023 aus.