Frankfurter Rundschau, Donnerstag den 28.08.2014 Politik 4
Härtere Strafen für Zuwanderer
Bundesregierung bringt Gesetz zur Armutseinwanderung aus Südosteuropa auf den Weg / Einreisesperren
Die Bundesregierung will künftig verstärkt gegen die sogenannte
Armutseinwanderung aus Südosteuropa vorgehen. Das Kabinett brachte am
Mittwoch ein entsprechendes Gesetz auf den Weg. Grundlage ist der
Abschlussbericht einer im Januar zu dem Thema eingesetzten
Staatssekretärsrunde. Dieser sieht härtere Strafen bei Sozialmissbrauch
durch Zuwanderer und finanzielle Hilfen für die besonders betroffenen
Städte wie etwa München, Frankfurt, Offenbach, Duisburg und
Gelsenkirchen vor. In diesem Jahr soll es für die Kommunen 25 Millionen
Euro Soforthilfe geben.
Der Gesetzesinitiative zufolge sollen
EU-Migranten, die für die Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung
falsche Daten angeben, künftig bestraft werden. Bei Betrug drohen
befristete Einreisesperren. Außerdem sollen Zuwanderer aus EU-Staaten
künftig nur noch ein halbes Jahr Zeit haben, um Arbeit zu finden.
Zur Vermeidung von Missbrauch soll das Kindergeld künftig nur noch
unter Angabe der steuerrechtlichen Identifikationsnummer gezahlt werden.
So soll verhindert werden, dass für ein Kind mehrfach Kindergeld
bezogen wird. Zusätzlich sollen Scheinselbstständigkeit und
Schwarzarbeit stärker bekämpft werden. Bundesinnenminister Thomas de
Maizière (CDU) unterstrich die Bedeutung der Freizügigkeit innerhalb der
EU. „Allerdings dürfen wir die Augen vor den damit verbundenen
Problemen nicht verschließen“, sagte er. Der Bericht habe ergeben, dass
es sich bei der sogenannten Armutszuwanderung nicht um ein
„flächendeckendes Problem“, sondern um das einzelner Kommunen handelt.
Eine Verschärfung gesetzlicher Bestimmungen könne jedoch nicht die
alleinige Lösung sein. Geplant sei, in den entsprechenden Städten
Integrationskurse anzubieten. Auch die Ausbeutung der Menschen in Form
von Mietwucher und „Arbeiterstrich“ müsse stärker geahndet werden.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) unterstrich die
Notwendigkeit, die Kommunen finanziell zu unterstützen. Bereits im März
sagte der Bund 200 Millionen Euro zu. Die Mittel für Unterkunft oder
Heizung werden nun um weitere 25 Millionen Euro aufgestockt. Hinzu
kommen zehn Millionen Euro für die medizinische Versorgung und rund 40
Millionen Euro für Sprachkurse. Die Migrations-Beauftragte der
Bundesregierung, Aydan Özoguz, begrüßte den Gesetzentwurf. Der im Januar
eingesetzte Staatssekretärsausschuss, die Grundlage des Gesetzpakets,
habe „nicht nur eine aufgeheizte Debatte versachlicht, sondern zudem
schnell die Grundlage für Dinge geschaffen, die den betroffenen Kommunen
wirklich helfen.“ Auch der Deutsche Städtetag und der Paritätische
Wohlfahrtsverband befürworteten die angekündigten Hilfen für besonders
betroffene Kommunen.
Linken-Parteivorstand Katina Schubert
bezeichnete den Begriff „Armutszuwanderung“ als diskriminierend. Statt
einer Gesetzesverschärfung sei der Ausbau von Beratungsstellen für
Migranten notwendig. Auch die Grünen hatten in den vergangenen Tagen das
Papier missbilligt.
Diakonie und Caritas kritisierten die Pläne
scharf. Missbrauchsfälle seien die Ausnahme, sagte Maria Loheide,
Vorstand Sozialpolitik der Diakonie. Caritas-Präsident Peter Neher warf
der Politik vor, ein verfälschtes Bild zu zeichnen. „Die aktuelle
Debatte um vermeintliche Armutszuwanderung und das betrügerische
Erschleichen von Sozialleistungen durch EU-Zuwanderer macht Vorurteile
und Diskriminierung salonfähig.“ Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund
(DGB) befand das Papier für mangelhaft. Der Bericht analysiere fast nur
den Zuzug aus den mittel- und osteuropäischen Ländern.
Herausforderungen, die sich aus der Abwanderung aus den südeuropäischen
Krisenländern ergeben, würden ausgeblendet. epd Seite 11
Frankfurter Rundschau, Donnerstag den 28.08.2014 Politik 4
Harms: Einreiseverbote verletzen Recht auf Freizügigkeit
Im Europaparlament regt sich Kritik an der Gesetzesinitiative der Bundesregierung / EU-Kommission schweigt
Von Peter Riesbeck
BRÜSSEL. Die EU-Kommission schwieg am Mittwoch zu den
Beschlüssen in Berlin. Immerhin hatte der scheidende EU-Sozialkommissar
László Andor im Februar bei einem Besuch in Duisburg-Hochfeld
eingestanden: „Ich habe heute viel gelernt.“ Duisburg habe es
„zweifellos mit einer neuen Qualität der Einwanderung zu tun“, fügte
Andor hinzu. Der Lernprozess war schmerzlich. Und er war lehrreich für
die Sicht der EU-Kommission auf die Welt. Monatelang hatte die Brüsseler
Behörde das Problem der sogenannten Armutszuwanderung aus Bulgarien und
Rumänien in deutsche Kommunen geleugnet. Statistisch gebe es diesen
Effekt nicht. Das stimmt statistisch. Nur sagt die EU-weite Statistik
nichts über die Lage in einzelnen Stadtteilen von Duisburg, Mannheim
oder Berlin-Neukölln. Das hat Andor mittlerweile eingesehen. Aber er hat
längst ein anderes Problem.
Seit auch der britische
Premierminister David Cameron gegen das Prinzip der
Arbeitnehmerfreizügigkeit polemisiert, muss er dieses europäische
Grundprinzip ehern verteidigen. Umso auffälliger ist das Schweigen der
EU-Kommission vom Mittwoch. Andere waren kritischer. Die
SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel nannte „die ganze Debatte
unehrlich“. „Die vermeintlichen ‚betrügerischen Osteuropäer‘ tauchen im
Bericht nirgends auf! Solche Stammtischsprüche sind purer Populismus“,
erklärte Sippel.
Unsichtbare Grenzen
Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms stellte fest: „Die geplanten
Einreiseverbote für EU-Bürger verstoßen eindeutig gegen das Recht auf
Freizügigkeit. Die Bundesregierung zieht so unsichtbare Grenzen in der
Europäischen Union.“ Die unsichtbaren Grenzen gibt es längst. Es ist
eine Armutsgrenze. Und es ist Diskriminierung. „Statt ausschließlich
über härtere Strafen zu reden, sollte die Bundesregierung gemeinsam mit
den übrigen EU-Staaten die Ursachen der Migration in den wirtschaftlich
schwächeren Mitgliedsländern angehen“, forderte Harms.
Zu
nennen wäre etwa der Rassismus gegenüber Roma in vielen Ländern der EU.
Die von der EU-Kommission aufgelegten Programme verpuffen wirkungslos.
Nicht nur statistisch gesehen. Der Forscher Klaus-Michael Bogdal stellt
in seinem Buch „Europa erfindet die Zigeuner“ fest: „Die Fähigkeit der
Entzivilisierung ist den europäischen Gesellschaften nicht
abhandengekommen. Muster der Wahrnehmung der Fremden, die bleiben,
Bedrohungsszenarien sind tief verankert und werden immer dann sichtbar,
wenn die eigene Ordnung gefährdet scheint. Beginnt nicht die Geschichte
von neuem, wenn die afrikanischen und arabischen Einwanderer an den
Küsten Europas stranden? Die zivilisatorischen Grenzen werden neu
vermessen. Für die Roma in Ungarn, Rumänien, im Kosovo, in der Slowakei
beginnt die Ausgrenzung erneut, jetzt in den heimischen Siedlungen und
überall dort, wo sie Europas offene Grenzen überschreiten.“ Anders
gesagt: Wer keine Heimat hat, hat es auch nicht leicht mit der
Freizügigkeit.
Frankfurter Rundschau, Mittwoch den 27.08.2014 Politik S.4
DGB rügt Bericht zu Migration. Lage der EU-Zuwanderer „nicht analysiert“
Von Daniela Vates
Vor acht Monaten hat die CSU mit ihrem Spruch „Wer betrügt, der fliegt“ die Debatte um EU-Zuwanderer zugespitzt. Am heutigen Mittwoch berät das Kabinett nun den Bericht eines Staatssekretärs-Ausschusses zum Thema. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert den Bericht als fast durchgehend mangelhaft. Schon bei den Grundlagen machen die Gewerkschafter gravierende Mängel aus: „Eine differenzierte Analyse der Arbeitsmarktsituation von EU-Bürgern fehlt weitgehend“, heißt es in dem elfseitigen Positionspapier, das der FR vorliegt. Der Staatssekretärs-Ausschuss bewerte Daten zu Sozialversicherungs- und Lohnbetrugsverfahren oder aus Schwarzarbeits-Kontrollen nicht. Stattdessen stütze sich der Ausschuss auf allgemeine Zahlen. „Der Vorwurf des Sozialleistungsbetruges wird weder entkräftet noch durch Daten belegt“, schreibt der DGB. Schlussfolgerungen der Staatssekretäre blieben oberflächlich. Mit ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, Lohn- und Versicherungsbetrug durch Arbeitgeber und menschenunwürdiger Unterbringung von Saisonarbeitern hätten sich die Staatssekretäre nicht befasst. Dies sei „völlig unverständlich“, zumal es deutliche Hinweise auf Ausbeutungsstrukturen und Regelungslücken gebe. „Zu den zentralen Problembereichen gehört, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Lohn vorenthalten und in- und ausländische Sozialversicherungen betrogen werden.“ Auch mit den vorgeschlagenen Rechtsänderungen ist der DGB nicht zufrieden: Die Befristung des Aufenthalts von EU-Bürgern zur Arbeitssuche sei „nicht rechtsklar formuliert“. Die Veränderungen beim Familiennachzug verschlechterten den Status von Familienangehörigen. Die geplanten Wiedereinreisesperren von bis zu fünf Jahren verstießen gegen die Vorschrift, nach der EU-Bürger nicht schlechter gestellt werden dürften als Personen aus Nicht-EU-Ländern. Eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren für eine Einreise trotz Einreiseverbot sei unverhältnismäßig. Komplett verwerfen will aber selbst der DGB den Bericht nicht. Es sei sicher sinnvoll, die finanzielle Situation der Kommunen zu verbessern, heißt es in dem Papier. Auch da gibt es ein Aber: Den Staatssekretären zufolge sollen die Impfkosten von Kindern von den Krankenkassen übernommen werden. Es sei fraglich, so der DGB, ob statt der Versicherung nicht doch der Bund für diese Kosten aufkommen müsse.
27. August 2014 | 12.29 Uhr
Kabinett beschließt Maßnahmenpaket
Wie die Regierung Sozialmissbrauch durch EU-Bürger verhindern will
http://www.rp-online.de/politik/deutschland/wie-die-regierung-sozialmiss...
Betrüger müssen draußen bleiben
28.08.2014 | 00:20 Uhr
http://www.derwesten.de/nrz/politik/betrueger-muessen-draussen-bleiben-a...
27. August 2014 - 16:36 Uhr
Gesetz gegen «Armutsmigration» auf dem Weg
http://www.wz-newsline.de/home/politik/inland/gesetz-gegen-armutsmigrati...