UN-Analyse: Dreiviertel Milliarde Menschen hungern
Ungefähr jeder zehnte Mensch auf der
Welt muss hungern. Fünf große UN-Organisationen legen dazu eine
ernüchternde Bilanz vor. Trotz ehrgeiziger Ziele ist kaum Besserung in
Sicht. Was sind die Gründe?
Rom -
Eigentlich wollten die Vereinten Nationen den Hunger auf der Welt bis
2030 besiegen. Corona und die Folgen des russischen Angriffskrieges in
der Ukraine lassen das Ziel nun jedoch in weite Ferne rücken. Nach den
neuesten Zahlen leiden knapp eine dreiviertel Milliarde Menschen über
den Globus verteilt an Hunger oder Unterernährung. Das geht aus einem
Bericht hervor, den mehrere UN-Organisationen in Rom veröffentlichten:
2022 waren im Durchschnitt 735 Millionen Kinder und Erwachsene von
verschiedenen Formen des Hungers betroffen.
Das waren fast so viele wie 2021
mit 739 Millionen - und deutlich mehr als vor Beginn der Pandemie: 2019
litten 613 Millionen Menschen Hunger. Der Trend sei ernüchternd, heißt
es im neuesten Report zur Lebensmittelsicherheit und Ernährung, dem „The
State of Food Security and Nutrition in the World 2023“. Der Bericht
wird von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten
Nationen (FAO), dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche
Entwicklung (IFAD), dem UN-Kinderhilfswerk Unicef, dem
Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) und der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellt.
„Eine Welt ohne Hunger ist möglich“
UN-Generalsekretär
António Guterres forderte „intensive und sofortige Anstrengungen
weltweit“. Ein baldiges Ende des Hungers bleibt aber illusorisch. Im
Vorwort des Reports schreiben die Chefs der fünf UN-Organisationen nun,
dass 2030 noch mit 600 Millionen Hungernden gerechnet wird - 600
Millionen statt null! Bereits im Frühjahr hatten FAO, WFP und
Europäische Union in einer anderen Studie dargelegt, dass gut eine
Viertelmilliarde Menschen teils dramatisch hungern. Aktuell zählt die
Weltbevölkerung etwa acht Milliarden Menschen.
„Eine Welt ohne Hunger ist
möglich“, meinte IFAD-Präsident Alvaro Lario. „Was uns fehlt, sind
Investitionen und der politische Wille, Lösungen in großem Maßstab
umzusetzen. Wir können den Hunger ausrotten, wenn wir ihn zu einer
globalen Priorität machen.“
Ursachen und Appell zur Bekämpfung des Hungers
Seit
Beginn des Jahrtausends war die Zahl der Hungernden für einige Jahre
gesunken - zuletzt aber stieg sie wieder deutlich an. Gründe dafür sind
Konflikte wie in Syrien oder im Jemen, die teils dramatischen
Konsequenzen des Klimawandels auf die Landwirtschaft, die
Corona-Unsicherheiten sowie der russische Angriffskrieg gegen die
Ukraine mit seinen Folgen für die Getreideversorgung in ärmeren Länder.
„Das ist die „neue Normalität“, in
der der Klimawandel, Konflikte und wirtschaftliche Instabilität jene
Menschen am Rande der Gesellschaft noch weiter von der Sicherheit
wegdrängen“, klagt FAO-Chef Qu Dongyu. Er mahnt: „Wir können nicht
einfach weitermachen wie bisher.“
Die
Statistiken sind dramatisch: 2,4 Milliarden Menschen und damit fast 30
Prozent der Weltbevölkerung hatten 2022 keinen regelmäßigen Zugang zu
Essen. In der Analyse wird darüber hinaus von 3,1 Milliarden Menschen
(42 Prozent der Weltbevölkerung) berichtet, die sich 2021 keine gesunde
Ernährung leisten konnten. Für 2022 gibt es dazu noch keine Zahlen. Wie
so oft ist Afrika am schlimmsten betroffen. Etwa jeder fünfte Mensch
dort ist mit Hunger konfrontiert. Zum Vergleich: Weltweit ist es nur
etwa jeder zehnte.
Als humanitäre Organisationen
„stehen wir vor der größten Herausforderung, die wir je erlebt haben“,
sagte WFP-Chefin Cindy McCain. „Die Weltgemeinschaft muss schnell, klug
und mitfühlend handeln, um den Kurs zu ändern und den Hunger zu
besiegen.“
Verzögertes Wachstum bei Kindern
Auch
Kinder gehören zu den großen Leidtragenden. 2022 litten 148 Millionen
Mädchen und Jungen unter fünf Jahren unter verzögertem Wachstum. 45
Millionen waren schwer mangelernährt, was WHO-Generaldirektor Tedros
Adhanom Ghebreyesus als „inakzeptabel hoch“ einstuft. Immerhin gingen
die Zahlen in den vergangenen Jahren leicht zurück.
Zugleich sieht die WHO „keine Fortschritte“ im Kampf gegen Übergewicht bei Kindern: In anderen Regionen der Welt waren vergangenes Jahr 37 Millionen Kinder übergewichtig. dpa
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