Aus: Ausgabe vom 30.10.2018, Seite 5 / Inland
Wenige haben viel
Studie: Ungleichheit in der BRD auf Rekordniveau. Haushalte im Osten im Schnitt deutlich ärmer
Von Nico Popp
Arme wohnen hier nicht: Wohnhäuser mit Bootsanlegestellen am Westhafen in Frankfurt am Main
Foto: Arne Dedert/dpa
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Zumindest eine Sache hat sich in der Bundesrepublik in den
vergangenen Jahrzehnten prächtig entwickelt: die Ungleichheit der
Einkommen und Vermögen. Die neueste Analyse dieses oft mehr empfundenen
als sachlich dokumentierten Tatbestandes – noch vor wenigen Jahren
wurden fast ausschließlich Daten zu den Einkommen und hier überwiegend
auch nur zu den niedrigen und mittleren wissenschaftlich ausgewertet –
stammt von Dorothee Spannagel vom Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und
Anita Tiefensee vom Paritätischen Gesamtverband. Ihr Aufsatz
»Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in Deutschland« wurde soeben in
den Mitteilungen des WSI veröffentlicht. Die beiden Autorinnen
haben unter anderem Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP)
ausgewertet. Das SOEP ist eine seit 1984 jährlich wiederholte
repräsentative Befragung von etwa 12.000 Haushalten in der
Bundesrepublik.
Spannagel/Tiefensee beschreiben die Entwicklung
der Einkommensverteilung seit 1990 sowie den aktuellen Stand der
Vermögensverteilung. Der Befund: Die verfügbaren Einkommen in der
Bundesrepublik waren seit den 1970er Jahren nie so ungleich verteilt wie
heute. Im Vergleich noch viel ausgeprägter ist die Konzentration der
Vermögen.
Der Untersuchung zufolge stieg die Ungleichheit der
Einkommen insbesondere zu Beginn der 2000er Jahre stark an und erreichte
2005 einen ersten Höhepunkt. Danach blieb sie für mehrere Jahre stabil
auf hohem Niveau. Seither sind deutlich mehr Menschen von
Einkommensarmut betroffen als zu Beginn der 1990er Jahre. Waren 1991
etwas mehr als elf Prozent der Bevölkerung von dieser Form der Armut
betroffen, so waren es 2015 16,8 Prozent. Spannagel/Tiefensee sprechen
von einem »wellenförmigen« Anstieg: »Mitte der 1990er Jahre waren die
Armutsquoten leicht rückläufig, um dann zwischen 1998 und 2009 deutlich
von 10,6 Prozent auf 15,1 Prozent anzusteigen.« In den vergangenen
Jahren hat die Einkommensungleichheit in einer Phase kapitalistischer
Konjunktur und eines Höchststandes bei der Zahl der Erwerbstätigen
erneut zugenommen. Ablesen lässt sich das am sogenannten
Gini-Koeffizienten. Die statistische Zahl ist ein gängiges Maß für die
Ermittlung von materieller Ungleichverteilung. Bei einem Gini-Wert von
»Null« würden alle Personen in einer Gesellschaft über gleich viel
Einkommen und/oder Vermögen verfügen, bei einem Wert von »Eins« würde
eine Person alles besitzen und alle anderen nichts. In der
Bundesrepublik stieg der Gini-Wert für verfügbare Einkommen zwischen
1991 und 2015 von 0,25 auf 0,29.
Aussagekräftig hinsichtlich der materiellen Realität der
Klassengesellschaft ist aber erst der Blick auf die Vermögen. Irgendein
mickriges Einkommen haben fast alle erwachsenen Deutschen; ein
nennenswertes Vermögen hat nicht einmal die Hälfte. Das Vermögen einer
Person oder eines Haushalts besteht aus Sach- und Finanzvermögen. Nach
Abzug eventueller Verbindlichkeiten erhält man das Nettovermögen. Das
bewegt sich beim ärmsten Drittel der Bevölkerung entweder im
Minusbereich (hier werden also am Ende Schulden bilanziert) oder
ziemlich genau bei Null.
Für das Vermögen ist die Datenlage
deutlich schlechter als für das Einkommen, und deshalb sind Vergleiche
auf einer Zeitachse schwierig. Allerdings lasse sich, so die beiden
Autorinnen, sicher sagen, dass die Vermögensungleichheit in der
Bundesrepublik seit einem Jahrzehnt höher als zuvor und weiter
unverändert hoch ist. 2012 betrug der Gini-Koeffizient bei den Vermögen
0,78 – im europäischen Vergleich ist das einer der höchsten Werte. Die
Vermögen sind hierzulande ungleicher verteilt als in fast allen anderen
europäischen Ländern.
Ein ins Auge fallendes Detail ist der
Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland: Im Osten liegt das
mittlere Pro-Kopf-Vermögen bei rund 8.000 Euro, im Westen bei 21.000
Euro. Im Osten ist auch die Eigentümerklasse im Vergleich nicht ganz so
reich: Im Westen besitzt das reichste Zehntel doppelt soviel Vermögen
wie das entsprechende Zehntel im Osten. Da im Osten auch deutlich
weniger vererbt wird, dürfte sich daran wenig ändern: Rund ein Drittel
des Vermögens wird im Westen durch Erbschaften oder Schenkungen
erworben.
Etwas hilflos wirken die Maßnahmen gegen die wachsende
Ungleichheit, die Spannagel/Tiefensee empfehlen: Eine stärkere
Tarifbindung soll es richten, im Zweifelsfall soll die Politik
Tarifverträge in bestimmten Branchen für allgemeinverbindlich erklären.
Damit würden aber allenfalls Lohn- und Gehaltsunterschiede zwischen
etwas besser und ganz schlecht verdienenden Lohnabhängigen ausgeglichen
werden, Spitzeneinkommen und die Vermögen blieben davon ganz unberührt.
Die Tarifbindung soll von einer konsequenteren Durchsetzung und einer
Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns flankiert werden. Ergänzend raten
die Autorinnen zu höheren Steuern auf sehr hohe Einkommen und Vermögen
beziehungsweise auf Erbschaften.
https://www.jungewelt.de/artikel/342583.verm%C3%B6gensverteilung-wenige-...