Nahverkehr
»Offensichtlich hat der Druck der Politik gewirkt«
Verkehrsverbund und Linkspartei in Leipzig fordern den
fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehr. Ein Gespräch mit Franziska
Riekewald
Interview: Markus Bernhardt
Straßenbahn der Leipziger Verkehrsbetriebe GmbH (LVB)
FOTO: Peter Endig/dpa
Franziska Riekewald (Die Linke) ist designierte Stadträtin in Leipzig und Mitglied der »AG fahrscheinloser ÖPNV« der Partei
21 Okt 2014 - 18:12
Ausgerechnet der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) hat
sich kürzlich öffentlich für die Einführung eines fahrscheinlosen
Nahverkehrs einsetzt. Wie erklären Sie sich dieses für einen
Verkehrsverbund ungewöhnliche Engagement?
Ich freue mich darüber, offensichtlich hat der Druck der Politik
gewirkt. Seit Jahren fordert die Leipziger Linke den MDV auf, nach
alternativen Finanzierungsformen zu suchen. In den vergangenen Jahren
gab es jährlich im August eine Preiserhöhung. So kann das nicht
weitergehen, wenn man will, dass möglichst viele den öffentlichen
Personennahverkehr (ÖPNV) nutzen. Der MDV hat nun endlich Alternativen
zur jetzigen Finanzierung vorgelegt, die sich aus Zuschüssen der
öffentlichen Hand und dem Fahrscheinverkauf zusammensetzt. Eine davon
ist der fahrscheinlose ÖPNV.
Dass der MDV diese Variante benennt, finde ich nicht sehr
ungewöhnlich, denn ein solidarisch finanzierter Nahverkehr würde ihm ein
sicheres und kalkulierbares Fundament verschaffen. Das ist ja auch ein
Grund von vielen, warum wir den fahrscheinlosen Nahverkehr unterstützen.
Der MDV bzw. hier die Leipziger Verkehrsbetriebe brauchen endlich eine
sichere Finanzierung. Was allerdings nicht heißen darf, dass dann die
Zuschüsse durch die öffentliche Hand kleiner werden.
Ihre Forderung klingt gut und schön – aber wie ließe sie sich finanzieren?
Wir haben vor über einem Jahr in Leipzig einen Arbeitskreis
gegründet, der sich genau mit dieser Frage beschäftigte. Für uns muss
der fahrscheinlose Nahverkehr solidarisch finanziert werden – das heißt,
alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich an den Kosten. Wir waren
uns allerdings auch einig, dass sich die Wirtschaft stärker beteiligen
muss.
Für uns ist vor allem die soziale Komponente wichtig. Gerade für
Familien mit niedrigem Einkommen ist der Nahverkehr eine Möglichkeit, am
öffentlichen Leben teilzunehmen. Familien mit Kindern würde der
fahrscheinlose ÖPNV entlasten; im Gegensatz zum Vorschlag des MDV wollen
wir Kinder bis zum Alter von 16 Jahren generell kostenfrei fahren
lassen. Wenn die Zuschüsse vom Land und von der Stadt stabil bleiben,
wäre ein Abgabe von 25 Euro pro Monat für jeden Erwachsenen realistisch.
Eine deutliche Entlastung, wenn man die jetzigen Kosten einer
Abo-Monatskarte für fast 53 Euro dagegen hält.
Ihre Partei hat sich schon im vergangenen Kommunalwahlkampf
für einen Bürgerentscheid zum Thema fahrscheinloser Nahverkehr stark
gemacht. Wie wollen Sie diesen nun auf den Weg bringen?
Als erstes müssen sich jetzt die Stadtratsfraktion meiner Partei und
der neue Stadtrat in Leipzig konstituieren. Danach werden wir an die
Arbeit gehen und versuchen, unser Kommunalwahlprogramm umzusetzen. In
dem steht, dass die Linke einen Bürgerentscheid zu diesem Thema bis zum
Jahr 2019 initiieren will.
Bis dahin ist aber noch viel zu tun. Wir benötigen ein
Finanzierungskonzept, das rechtlich auf sicheren Füßen steht. Dazu
bedarf es weiterer Prüfungen, da eine Kommune ja nicht so einfach eine
Steuer einführen darf. Wir müssen jetzt erst einmal in die Diskussion
mit den Bürgerinnen und Bürgern kommen, damit das Ganze eben nicht als
Zwangsticket empfunden wird. Da stehen wir noch ganz am Anfang. Dass das
Thema bewegt, sieht man an den vielen Reaktionen auf die
MDV-Ankündigung. Die Einführung des fahrscheinlosen ÖPNV kann gelingen,
wenn sich die Akzeptanz des Nahverkehrs erhöht, dazu bedarf es einer
Angebotsausweitung, aber auch einer Qualitätsverbesserung.
Und Sie gehen davon aus, dass Sie dafür eine Mehrheit bekommen?
Ja, ich bin sehr zuversichtlich, wenn man die Vorteile mit allen
offen diskutiert, dass sich die Mehrheit der Leipzigerinnen und
Leipziger für die Einführung eines solchen Tickets entscheiden würde.
Die Studenten in Leipzig haben es vorgemacht. Sie haben sich in einer
demokratischen Abstimmung für ein solidarisch finanziertes Ticket
entschieden. Auch hier waren die Diskussionen zum Teil sehr heftig,
trotzdem hat am Ende eine Mehrheit für die Einführung votiert.
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