Wohnungsnot bedroht auch den Mittelstand. Caritas und Betroffene fordern eine Zweckentfremdungssatzung

 

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Düsseldorf

Zu knapp, zu teuer: Wohnungsnot hat den Mittelstand längst erreicht

 

Franco Gianserra (79) wollte ins Parterre ziehen. Doch nach einer Sanierung ist diese Wohnung für ihn zu teuer.
FOTO: Hans-Juergen Bauer

Düsseldorf.Caritas und Betroffene fordern eine Zweckentfremdungssatzung. Die Chancen im Rat stehen schlecht.
Von Jörg Janssen

Weniger Sozialwohnungen, kurzfristige
Vermietung an Geschäftsleute und Touristen ("Zweckentfremdung") sowie
Luxussanierungen verschärfen nach Einschätzung der Caritas die Lage auf
dem angespannten Wohnungsmarkt.

"In unserem Don Bosco-Haus für Wohnungslose stellen wir jährlich
einen steigenden Bedarf von circa zehn bis 15 Prozent fest", sagt
Einrichtungsleiter Johannes Böttgenbach. Vor diesem Hintergrund findet
es Caritas-Chef Henric Peeters "fatal", dass die von SPD, Grünen und
Linken befürwortete Zweckentfremdungssatzung in der heutigen Ratssitzung
möglicherweise keine Mehrheit findet. "Natürlich ist das nur einer von
mehreren Hebeln, um der Verknappung von Mietwohnungen entgegenzuwirken,
aber Städte wie München zeigen, dass solche Instrumente greifen", sagt
Peeters. Wie mühsam es sein kann, eine neue Wohnung zu finden oder auch
nur in seinem angestammten Heim zu bleiben, berichten Bürger aus ganz
unterschiedlichen Milieus.

Die Caritas hilft Alaa Hager (gehörlos) aus Syrien bei der Wohnungssuche.
FOTO: Hans-Juergen Bauer
Franco Gianserra Seit 1970 wohnt der gebürtige
Italiener in einer früheren Mannesmann-Werkswohnung in Oberbilk. Für die
74 Quadratmeter in der dritten Etage zahlte er damals 165 D-Mark. "Als
Heizkörper den Kohleofen ersetzten, wurde das auf 190 D-Mark erhöht."
Vor ein paar Jahren kaufte eine neue Gesellschaft die Wohnungen.
Inzwischen berappt der 79-Jährige rund 680 Euro für die Warm-Miete.
Gerne wäre er in diesem Jahr im selben Haus ins Parterre gezogen. Doch
die frei gewordene Wohnung wurde saniert. "Und die Gesellschaft schrieb
mir, dass die Warmmiete künftig bei 1000 Euro liegt, da muss ich bei
1250 Euro Rente leider passen", sagt er. 

Susanne Knaup/Birgit H. Einige
Jahre lebte die heute 44-Jährige mit ihrer Tochter im Schatten des
Landtages in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Dann kam die
Eigenbedarfskündigung. Gegen die ging sie vor, weil gleich mehreren
Parteien mit derselben Begründung gekündigt wurde. Als nach einem Urlaub
wegen Sanierungsarbeiten das Wasser abgestellt war, gab sie auf und
wich in möblierte Wohnungen aus. Erst nach fünf Monaten fand sie in
Friedrichstadt ein neues Heim mit gut 100 Quadratmetern. "Das kostet
1400 Euro warm, zahlen kann ich das nur, weil ich wieder in einer
Partnerschaft lebe", sagt sie. Ganz ähnlich geht es Birgit H. Von ihrer
120-Quadratmeter Altbauwohnung in Unterbilk schwärmt sie bis heute. Gut
1000 Euro zahlte die Familie damals. Dann gab es zwei Verkäufe in nur
einem Jahr und eine Eigenbedarfskündigung. Heute wohnt sie mit Kindern
und neuem Partner in einer 84-Quadratmeter-Wohnung auf der vierten
Etage. "Ein Haus ohne Aufzug aus den 1960ern mit labilen Stromleitungen,
aber dafür mit moderater Miete von 850 Euro."

Markus Plaza zahlt für 16-Quadratmeter 460 Euro. "Düsseldorf kann ich mir kaum leisten", sagt er.
FOTO: H.-J. Bauer
Markus Plaza Der 41-Jährige lebt in einer
Wohngemeinschaft in Benrath. Sein Zimmer ist 16 Quadratmeter groß. 460
Euro zahlt der gelernte Einzelhandelskaufmann dafür. "Inklusive Strom
und Internetnutzung", fügt er hinzu. Bekommen hat er das Zimmer, "weil
ein guter Freund von meinem Cousin den Vermieter kannte." Ansonsten, da
ist er sicher, hätte er in Düsseldorf mit seinem damaligen Ein-Euro-Job
wohl keine Chance gehabt. In zwei Wochen beginnt er einen Job bei einer
Zeitarbeitsfirma. Die setzt ihn in einem Logistikzentrum in Kempen ein.
"Wird daraus eine Festanstellung, würde ich über einen Umzug nachdenken.
Düsseldorf kann ich mir eigentlich nicht mehr leisten."
Quelle: RP
http://www.rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/zu-knapp-zu-teuer-wohnun...

 

Caritas will mehr Wohnraumschutz für Düsseldorf

Düsseldorf.  

 

Der Sozialverband kritisiert die
Zweckentfremdung tausender Wohnungen im Stadtgebiet – ein entsprechendes
Gesetz wird im Stadtrat besprochen.

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Düsseldorf ist schon lange kein Geheimnis mehr. Die Mieten steigen jährlich auf ein Rekordhoch, der Raum für Wohnflächen wird knapp und wenn gebaut wird, dann augenscheinlich eher für Besserverdienende.

„Familien,
Alte und einkommensschwache Menschen werden somit zunehmend aus
Stadtvierteln verdrängt“, sagt der Düsseldorfer Caritas-Chef Henric
Peeters. Grund dafür sei unter anderem auch das Wegfallen tausender
Wohnungen, die dem Markt fehlten, weil sie auf Plattformen wie Airbnb
zweckentfremdet würden, so Peeters weiter.

 

Ampel-Regierung konnte sich bislang nicht einigen

Die Caritas will deshalb die Politik bei der Planung einer Wohnraumschutzsatzung unterstützen.
Damit soll einer Zweckentfremdung entgegengewirkt werden, so dass
leerstehende Wohnungen nicht mehr einfach als Ferienwohnungen lukrativ
vermietet werden. „Rund 6000 bis 8000 Wohnungen werden in Düsseldorf
derzeit zweckentfremdet“, sagt Johannes Böttgenbach, Leiter der
Wohnungslosenhilfe beim Don Bosco Haus Düsseldorf.

Die Politik in Düsseldorf
müsse sich dem Thema endlich annehmen: „In Köln, Münster, Bonn und
Berlin gibt es schon längst den Schutz von Wohnraum. Sogar in München
muss bei Zweckentfremdung Strafe gezahlt werden. Wann wird man da in
Düsseldorf endlich aktiv?“ so der Leiter. Das Thema soll Donnerstag im
Rat besprochen werden. Die Ampel konnte sich bislang nicht auf eine
Satzung einigen, weil die FDP sich dagegen ausgesprochen hatte.

Kampf um Wohnraum zwischen Geringverdienenden

Während Besserverdienende noch vergleichsweise einfach an Wohnungen kommen,
bricht vor allem in den unteren Einkommensschichten der Kampf um
Wohnraum aus. Schon längst konkurrieren Wohnungslose mit Hartz
IV-Empfängern, Alleinerziehenden, Studenten aber auch immer mehr
Menschen aus der Mittelschicht um ein Dach über dem Kopf: „Das Thema ist
somit in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, kommentiert
Böttgenbach die Entwicklung am Wohnungsmarkt.

Birgit H. etwa wurde 2010 samt ihrer zwei Kinder aus ihrer „günstigen Wohnung
entmietet, weil das Haus an einen Investor verkauft wurde“, wie die
41-Jährige erzählt. Über ein Jahr habe es gedauert, eine gerade noch
bezahlbare Bleibe zu finden: „Der psychische Druck war enorm groß. Eine
Wohnung zu finden ist in Düsseldorf leider Glückssache.“

Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen

Franco Gianserra lebt seit 60 Jahren in Düsseldorf und sucht seit fünf Jahren eine barrierearme Wohnung:
„Ich wohne derzeit im dritten Stock. Die Wohnung ist gut, aber ich weiß
nicht, wie lange ich es noch schaffe, die vielen Treppen zu steigen“,
so der 79-Jährige. Einen Aufzug gibt es in seinem Wohnhaus nicht. Zwar
wird in der ersten Etage eine Wohnung frei, „doch die
Wohnbaugesellschaft verlangt wegen Modernisierungsmaßnahmen deutlich
mehr Miete“, so Gianserra.

https://www.nrz.de/staedte/duesseldorf/caritas-will-mehr-wohnraumschutz-...

 

 

Düsseldorf

Wohnungsnot bedroht auch den Mittelstand

Fast 50 Prozent aller Düsseldorfer haben Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein.

  Henric Peeters (Caritas-Vorstand) machte auf die Wohnungsnot aufmerksam.  

Bauer

Henric Peeters (Caritas-Vorstand) machte auf die Wohnungsnot aufmerksam.

In Düsseldorf fehlt es immer mehr an bezahlbarem Wohnraum. Das
ist die Überzeugung der Caritas, die deshalb jetzt Alarm schlägt. Die
Probleme sind vielschichtig: Die Zahl derer, die auf der Straße leben
oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, steigt sehr stark an.
„Zunehmend betrifft es auch Menschen, die zur Mitte der Gesellschaft
zählen. Familien, alte und einkommensschwache Menschen werden aus ihrem
langjährigen Zuhause vertrieben. Und etwa 1000 Menschen leben hier auf
der Straße“, sagt Henric Peeters, Vorstandsvorsitzender Caritasverband
Düsseldorf.

Die Zahl der Sozialwohnungen ist zudem stark rückläufig. Gab es
2008 in der Landeshauptstadt noch 26 302 Wohnungen, waren es 2017 nur
noch 15 878. „Für jede gebaute Sozialwohnung fallen derzeit drei aus der
Mietpreisbindung. Zudem hat sich die Miete in den Ballungsgebieten in
den vergangenen zehn Jahren um 36 Prozent erhöht. Etwa 20- bis 30 000
Sozialwohnungen fehlen zur Zeit allein in Düsseldorf“, erklärt
Fachbereichsleiter René Trenz. Dass Düsseldorf reich und sexy sei, dem
widerspricht er vehement. „Hätten sonst etwa 50 Prozent aller
Düsseldorfer einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein? Legt man
den Mindestlohn zugrunde, kommen viele Menschen nur auf ein
Monatseinkommen von 1500,71 Euro.“

Polizisten, Verkäuferinnen, Erzieherinnen oder
Krankenschwestern, auch immer mehr Menschen aus dem sogenannten
Mittelstand sind betroffen. „Von der Planung bis zur Fertigstellung von
Sozialwohnungen dauert es etwa drei bis vier Jahre. Von daher ist klar,
dass es sehr lange dauern wird, bis man diesen Missstand beheben kann“,
meint Johannes Böttgenbach von der Wohnungslosenhilfe.

Ein weiteres großes Problem ist das sogenannte Home Sharing, bei
dem Privatleute ihre Wohnung zeitweise an Touristen vermieten. „Wir
schätzen, dass dies etwa bei 6000 Wohnungen zutrifft. Deshalb fordern
wir vom Stadtrat, dass er etwas gegen diese Zweckentfremdung
unternimmt“, sagt Böttgenbach. Das Thema steht übrigens auch auf der
Tagesordnung bei der heutigen Ratssitzung.

http://www.wz.de/lokales/duesseldorf/wohnungsnot-bedroht-auch-den-mittel...