Zu viel Armut im reichen Deutschland

 

Mittwoch, 20. März 2024, Darmstadt / Politik

Zu viel Armut im reichen Deutschland

Die Menschenrechtskommissarin des Europarates,
Dunja Mijatovic, kritisiert, dass für sozial Bedürftige sowie
Kinder und gegen Rassismus zu wenig getan wird / Von Sven Christian
Schulz

Die europäische Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatovic hat
Deutschland aufgefordert, den Schutz der Menschenrechte
voranzutreiben und die soziale Situation der Bürgerinnen und Bürger
zu verbessern. Das „hohe Maß an Armut und sozialer Ausgrenzung“
stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum Deutschlands. Zwar habe die
Bundesregierung Maßnahmen zur Reform des Sozialsystems ergriffen. Es
seien jedoch deutlich mehr Anstrengungen erforderlich, um gegen die
„wachsende Ungleichheit“ in Deutschland anzugehen.

Die Regierung müsse die Langzeitfolgen von Armut auf Gesundheit,
Bildung und Arbeitsplatzaussichten minimieren. Auch müsse
Deutschland mehr tun, um den Kreislauf der Armut bei Kindern, die
Armut bei älteren Menschen und bei Personen mit Behinderungen zu
bekämpfen. Kritisch äußerte sich die Menschenrechtskommissarin des
Europarates zum Recht auf Wohnraum. Zu den größten Problemen für
ein menschenwürdiges Wohnen zählten die hohen Mietpreise in vielen
deutschen Städten. Mijatovic spricht sich für Eingriffe in den
Wohnungsmarkt aus. „Umfassende und langfristige Maßnahmen,
inklusive durch entsprechende Änderungen des Mietrechts, sind
erforderlich, um Obdachlosigkeit zu verhindern und zu beseitigen.“
Sie forderte die Behörden auf, eine auf den Menschenrechten
basierende Wohnungsstrategie zu entwickeln und einen Nationalen
Aktionsplan zur Überwindung von Obdachlosigkeit zu verabschieden.

Die Bundesregierung hatte sich zum Ziel gesetzt, jährlich 400 000
Wohnungen zu bauen, davon 100 000 Sozialwohnungen. Doch 2022 wurden
lediglich 295 000 fertiggestellt, für 2023 geht das Ifo-Institut von
rund 245 000 Wohnungen aus. Nach Angaben der
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren 2022 in
Deutschland mehr als 600 000 Menschen zeitweise wohnungslos. Etwa 50
000 von ihnen lebten auf der Straße. Deutlich mehr muss Deutschland
bei der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung und der
Durchsetzung von Kinderrechten tun, so Mijatovic. Auch hätten
wachsende Fremdenfeindlichkeit und Rassismus das Potenzial, den
sozialen Zusammenhalt zu untergraben und demokratische Institutionen
zu destabilisieren. Erst im Herbst hatte eine Studie der EU-Agentur
für Grundrechte (FRA) gezeigt, dass Rassismus gegenüber Schwarzen
in Deutschland so groß wie in keinem anderen untersuchten EU-Land
ist. Mijatovic hatte mit ihrem Team im November und Dezember des
vergangenen Jahres Deutschland besucht und mit Behörden,
Menschenrechtsaktivist:innen, zivilgesellschaftlichen Organisationen
und Kinder- und Jugendvertreter:innen gesprochen.

Kommentar Seite 11

Frankfurter Rundschau